Nach heftiger Kritik: Die BBC steht unter Druck
Wie in Deutschland gibt es auch in Großbritannien heftige Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Der neue BBC-Chef verspricht jetzt Reformen.
Tim Davie hatte sein Amt noch nicht einmal übernommen, da geriet der neue Generaldirektor der BBC bereits in einen Sturm der Empörung. Es ging um nichts weniger als die britische Identität. Im Zentrum stand die Frage, ob patriotische Lieder, die traditionell am letzten Abend der Klassik-Konzertreihe „Last Night of the Proms“ gesungen werden, angesichts der Debatte über die britische Kolonialvergangenheit noch zeitgemäß sind.
Eines der Lieder ist „Rule, Britannia!“ (Herrsche, Britannia!), so etwas wie die inoffizielle Nationalhymne. Da die Konzerte wegen der Corona-Pandemie in diesem Jahr ohne Publikum stattfinden, schien das einigen Verantwortlichen eine willkommene Gelegenheit, auch diesen Gassenhauer aus dem Programm zu nehmen. Doch zahlreiche Briten reagierten entrüstet, inklusive Premierminister Boris Johnson.
Am Mittwoch vollzog die BBC dann eine Kehrtwende und entschied, dass „Rule, Britannia!“ genauso wie das ebenfalls umstrittene „Land of Hope and Glory“ nicht nur als Orchesterversion gespielt, sondern auch wieder gesungen werden.
Seine erste Bewährungsprobe: Die Debatte über das Lied „Rule, Britannia!“
Die Debatte veranschaulicht gut, was dem 53-jährigen Davie in den nächsten Jahren bevorsteht. Er übernimmt den Posten von Lord Tony Hall zu einer Zeit, die für die BBC von einer beispiellosen politischen wie finanziellen Ungewissheit geprägt ist. Die „Auntie“, die Tante, wie sie im Volksmund genannt wird, steckt in der Krise.
Denn auch die Kritik an ihrer Berichterstattung über den Brexit reißt nicht ab. Seit dem EU-Referendum im Jahr 2016 wird die auf politische Unabhängigkeit bedachte Rundfunkanstalt von allen Seiten für ihre angebliche Voreingenommenheit attackiert. So werfen sowohl Zuschauer, Kommentatoren als auch zahlreiche Politiker, vor allem aus den konservativen Tory-Reihen, dem ihrer Ansicht nach linkslastigen Sender eine zu Brexit-kritische Berichterstattung vor.
Dass sich auch Pro-Europäer und am linken politischen Spektrum stehende Briten unentwegt über die BBC als angebliches „Sprachrohr der Tories“ beschweren? Geschenkt.
Tim Davie, der bislang die Programmgesellschaft „BBC Studios“ leitete, den kommerziellen Unternehmensarm der Anstalt, trat jetzt seinen Job in Jeans und Jackett sowie mit dem erklärten Ziel an, die BBC zu reformieren. Man sei „eine BBC für alle“, die jedem Teil dieses Landes diene und jeden repräsentiere, sagte er. Er will sich vor allem „für Inhalte von höchster Qualität und Unparteilichkeit“ einsetzen. „Unser Auftrag war noch nie so relevant, wichtig beziehungsweise notwendig wie heute.“
Auch die Briten streiten über die Finanzierung des Rundfunks und die Höhe der Gebühren
Doch Davie muss nicht nur den Vorwurf der angeblichen Voreingenommenheit entkräften. Etliche Politiker, vorneweg Boris Johnson, stellen regelmäßig auch das Finanzierungsmodell der BBC in Frage – und damit ihre Existenzgrundlage.
Es ist eine ähnliche Debatte wie die in Deutschland über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags. Ob der – wie geplant – im nächsten Jahr um 86 Cent auf monatlich 18,36 Euro pro Haushalt steigen kann, ist noch immer völlig ungewiss. Und hängt vor allem von der Zustimmung der Landtagsabgeordneten von Sachsen-Anhalt ab.
In Großbritannien wird, was eine künftige Finanzierung der öffentlich-rechtlichen BBC angeht, gerne auf den Streaminganbieter Netflix verwiesen, auf ein Abomodell also. Die Rundfunkgebühr beläuft sich auf der Insel auf jährlich 154,50 Pfund (174 Euro) und macht 75 Prozent der Gesamteinnahmen der BBC aus, das sind 3,6 Milliarden Pfund. Der Rest ihrer Finanzen speist sich aus dem Verkauf von TV-Produktionen. 2027 muss Tim Davie den Rundfunkstaatsvertrag neu verhandeln. Es werden noch eine Reihe schwieriger Debatten auf ihn zukommen. (mit wida)
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