Özdemir will mehr Tierschutz – und sorgt für Bauern-Ärger
Ein Verbot der Anbindehaltung macht vielen Landwirten Sorgen. Die Grünen sagen wegen Protesten ihren politischen Aschermittwoch ab.
Der Zorn der Bauern wegen der gestrichenen Dieselsubventionen ist noch nicht verraucht, da sorgt der nächste Regierungsplan für Streit zwischen der Ampelkoalition und der Landwirtschaft: Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) will das Tierschutzgesetz verschärfen, wodurch Tausende von Rinderhaltern ihre Existenz bedroht sehen. Kühe dürften den Plänen zufolge schon in wenigen Jahren nicht mehr in Ställen angebunden werden – was gerade auf kleineren Höfen in Süddeutschland noch häufig der Fall ist.
Grünen-Veranstaltung wegen Bauern-Protesten abgesagt
Wie aufgeheizt die Stimmung unter den Landwirten ist, zeigt ein Vorfall im schwäbischen Biberach. Für den Baden-Württemberger Özdemir, dem gute Chancen eingeräumt werden, seinen Parteifreund Winfried Kretschmann als Ministerpräsident zu beerben, hätte der Auftritt beim politischen Aschermittwoch der Grünen ein Heimspiel werden sollen. Doch wegen Protesten wütender Bauern sagte die Partei die gesamte Veranstaltung ab – die Stimmung sei zu aggressiv gewesen, betonte ein Sprecher. Laut Polizei kam es vor der Biberacher Stadthalle zu einer Situation, in der Pfefferspray gegen Demonstranten eingesetzt wurde, um zwei Fahrzeugen den Weg freizuräumen. An einem Wagen wurde eine Scheibe eingeschlagen, durch Würfe mit Gegenständen wurden mehrere Polizisten verletzt. Eine Person wurde demnach festgenommen.
Özdemir nahm die Landwirte insgesamt in Schutz: "Die, die über die Stränge geschlagen haben, das ist nicht die deutsche Landwirtschaft. Das waren Einzelne", sagte er. Zuvor hatte er mit Teilnehmern einer angemeldeten Demonstration von Bäuerinnen und Bauern das Gespräch über deren Anliegen gesucht. Doch das neueste Vorhaben aus Özdemirs Feder taugt kaum dazu, die Wogen zu glätten. Kürzlich ist der Entwurf für das neue Tierschutzgesetz öffentlich geworden. Und anders als von vielen Bauern erhofft, sieht es ein weitreichendes Verbot der Anbindehaltung von Rindern vor – in der Regel geht es dabei um Milchkühe. Bei der von Tierschützern massiv kritisierten Haltungsform wird die Bewegungsfreiheit der Tiere durch Seile, Ketten oder Metallbügel stark eingeschränkt, sie stehen ohne Auslauf an einem festen Platz im Stall. Einschränkungen soll es auch für die sogenannte Kombihaltung geben, bei der sich die Anbindehaltung mit Auslaufphasen abwechselt.
Özdemir: "Das ist nicht die deutsche Landwirtschaft"
Anbindehaltung beenden ist Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag
Bereits im Koalitionsvertrag hatten SPD, Grüne und FDP sich darauf geeinigt, die Anbindehaltung "spätestens in zehn Jahren zu beenden". Bayerns Agrarministerin Michaela Kaniber (CSU) hat schon vor Wochen angekündigt, im Bundesrat gegen das geplante generelle Verbot der ganzjährigen Anbindehaltung und die Einschränkungen bei der Kombihaltung zu kämpfen. Gerade im süddeutschen Raum werden Kühe noch häufig im Sommer draußen gehalten, etwa auf einer Weide oder Alm, im Winter aber im Anbindestall im Dorf – dies müsse auch künftig möglich sein, fordert Kaniber.
Bauernverband: Politik mit der Brechstange
Auch Bernhard Krüsken, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbands, kritisierte das geplante Tierschutzgesetz gegenüber unserer Redaktion scharf: „Das ist Strukturpolitik mit der Brechstange. Die Betriebe brauchen eine Entwicklungsperspektive und das bayerische Modell mit der Kombihaltung ist dafür ein guter Weg.“ Die Zahl der Betriebe mit Anbindehaltung sinke ohnehin seit Langem, doch viele Höfe könnten die Umstellung auf einen Laufstall kaum bewältigen, weil ihnen das Kapital oder schlichtweg der Platz fehle. Es sei unverständlich, dass ausgerechnet jetzt den Landwirten ein weiteres Bündel von Auflagen aufgebürdet werden solle. Das, so Krüsken, stehe "im Widerspruch zu Ankündigungen von Bürokratieabbau und Entlastungen der Landwirte".
Die Diskussion ist geschlossen.
In §1 unseres Tierschutzgesetzes heißt es schon seit 1972 unmissverständlich: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen. Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Bei der Daueranbindung der Kühe im Stall handelt es sich außerdem unzweifelhaft um einen Verstoß gegen § 2 des Tierschutzgesetzes: 1. muß das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen, 2. darf die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, daß ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden (…)“ Die Formulierung „ohne vernünftigen Grund“ entsprach dem Zeitgeist der 1970er Jahre und ist längst überholt. Wer wie der Generalsekretär des Bauernverbands, Bernhard Krüsken das nicht kapiert, sollte mal Kühe auf Weiden ansehen und insbesondere das Verhalten der Kühe beobachten, die nach dem Zwangsaufenthalt in einem sogenannten Rinder“lauf“stall im Frühjahr wieder auf die Weide gelassen werden. Und wenn ihm das nicht reicht, sollte er sich für 14 Tage auf engem Raum kurz mit einem Strick um den Hals anbinden lassen.
Vor über 40 Jahren hat man hier schon Laufställe für die Kühe gebaut. Wenn es die "kleinen Bauern" bis heute nicht schaffen, dass sie ihre Kühe im Stall laufen lassen können, dann sollen sie halt die Tierhaltung beenden. Die Bauern, die jetzt noch diese Anbindehaltung praktizieren, haben ja schon einen "Uralt-Stall" von ihrem Vater geerbt. Die Ställe können auch mit nicht so riesengroßem Aufwand tierfreundlich umgebaut werden. Wenn die Bauern das wollen. Und genau daran scheitert es wohl.
Hallo, Frau Frey!
Ich lernte den ersten Anbindestall sogar schon 1946 in der Lüneburger Heide kennen, als meine Eltern uns drei Kinder (Alter zw. 11 und - ich - 5 Jahren) während der Ferien auf drei Bauernhöfen unterbrachten und selbst Fischprodukte in den umliegenden Dörfern verkauften. Nach dem Melken der Kühe gingen wir mit den Tieren zur Weide, von wo wir sie zum abendlichen Melken wieder zurückholten. Das war ein annehmbarer, guter Kompromiss. Ich verstehe es nicht, dass sich einige Milchviehhalter weigern, ihren Tieren mehr Lebensqualität zu bieten, denn die Anbindehaltung der Zuchtsauen wurde schon in den 1980er Jahren verboten.