Kommentar: Auf die Kanzlerin kommt es an
Heute kehrt die Kanzlerin aus ihrem Urlaub zurück - gut erholt vermutlich, aber auch gut gelaunt? Die vergangenen Monate haben ihr gezeigt, dass eine schwarz-gelbe Koalition alles andere ist als ein Selbstläufer. Kommentar von Rudi Wais
Gerhard Schröder war noch gar nicht gewählt, als er im Frühjahr 1998 seinen ersten Erfolg als Kanzler vermeldete. "Dieser Aufschwung ist mein Aufschwung", protzte der Spitzenkandidat der SPD, als habe bereits die Vorfreude auf den sich abzeichnenden Machtwechsel die Wirtschaft beflügelt. Norbert Blüm, damals noch Sozialminister, konnte es kaum fassen: "Der verwechselt sich mit dem lieben Gott."
Angela Merkel war in der Kunst, sich selbst als große Macherin zu vermarkten, noch nie sonderlich geschickt. Auf die Idee, sich einen Aufschwung derart dreist unter den Nagel zu reißen wie einst ihr Vorgänger, würde sie so schnell jedenfalls nicht kommen - obwohl es mit Ausnahme der im Januar in Kraft getretenen Steuersenkungen auf der Habenseite von Union und FDP noch ziemlich mau aussieht.
Heute kehrt die Kanzlerin aus ihrem Urlaub zurück - gut erholt vermutlich, aber auch gut gelaunt? Die vergangenen Monate haben ihr gezeigt, dass eine schwarz-gelbe Koalition alles andere ist als ein Selbstläufer, dass Konservative und Liberale nicht mehr so viel verbindet wie zu Helmut Kohls Zeiten, dass die Stammwähler der Union misstrauischer geworden sind und die politischen Prozesse unberechenbarer. Und genau deshalb kommt es jetzt weniger auf das Verkaufstalent ihres neuen Sprechers Steffen Seibert an als auf die ganz persönliche Durchsetzungsfähigkeit der Angela Merkel.
Die Krise der Koalition ist ja auch eine Krise ihrer Frontfrau. Je unentschlossener sie agiert, umso unverfrorener nutzen Guido Westerwelle und Horst Seehofer die Freiräume, die sich ihnen eröffnen. Ob Atomkraft, Hartz IV oder Wehrpflicht: Wo die Kanzlerin nicht klar sagt, was sie will, geben eben andere den Takt vor - sei es aus Überzeugung, sei es aus Geltungssucht, sei es aus lustvoll betriebener Obstruktion. Diese Politik der Ichlinge ist es, mit der Union und FDP ihre Reputation verspielen. Sozialdemokraten und Grüne einte 1998 die Absicht, Deutschland nach der Stagnation der Kohl-Jahre moderner, toleranter und weltoffener zu machen. Merkel, Westerwelle und Seehofer haben bisher noch keine Metapher für ein neues Miteinander gefunden, keinen roten Faden, kein gemeinsames Projekt.
Dabei läuft ihnen die Zeit schon jetzt davon. Im nächsten Jahr wird unter anderem in Baden-Württemberg gewählt, einer Hochburg von Christ- und Freidemokraten. Die Versuchung, unpopuläre Entscheidungen auf die Monate danach zu vertagen, ist groß - und die Gefahr, wie in Nordrhein-Westfalen genau daran zu scheitern, auch. Eine Kanzlerin, die mit dieser Politik des Zauderns und Zögerns beherzt bricht, muss die nächste Bundestagswahl nicht fürchten. Eine, die weitermacht wie bisher, schon. Ein Kommentar von Rudi Wais
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