Ein Sozialist geht fremd
Präsident Hollande bezeichnet sich jetzt selbst als „Sozialdemokrat“. Sein Privatleben soll aber Privatsache bleibe.
Wenn François Hollande bislang zeitweise ein Doppelleben führte, dann nicht nur privat. Dass er auch ideologisch „fremdging“, hin- und hergerissen zwischen zwei Strömungen, beschreiben die Journalisten Sophie Coignard und Romain Gubert in ihrem Buch „Die kannibalische Kaste“. Eigentlich kommt er als politischer Ziehsohn des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors aus einer „sozialliberalen“ Richtung, was ihn in Konflikt mit den tiefroten Globalisierungskritikern in seiner sozialistischen Partei bringt.
Doch im Wahlkampf bediente er sich als Herausforderer des rechtskonservativen Präsidenten Nicolas Sarkozy einer linksgerichteten Rhetorik. „Mein wahrer Feind ist die Finanzwelt“, proklamierte er. Eine Reichensteuer von 75 Prozent auf Jahres-Gehälter über einer Million Euro dachte er sich aus. Auf die Frage, ob er für eine sozialdemokratische Politik à la Gerhard Schröder stehe, antwortete Hollande nur ausweichend.
Mit dem Motorroller zur Geliebten
Doch mit der Doppelzüngigkeit scheint es seit Dienstagabend vorbei zu sein. „Ich bin Sozialdemokrat“, verkündete der Staatschef im majestätischen Rahmen der Neujahrs-Pressekonferenz vor 600 Journalisten. Er werbe für eine „Politik des Angebots“. Was er mit einem Feuerwerk unternehmerfreundlicher Ankündigungen untermauerte.
Es war ein vorbereiteter Coup, wohl um diesen wichtigen Termin nicht von den Spekulationen über seine von den Medien enthüllte Liaison mit der Schauspielerin Julie Gayet dominieren zu lassen. Zum Stand seiner Beziehung zu seiner Partnerin Valérie Trierweiler, die seit dem Schock über die Nachricht noch immer im Krankenhaus liegt, wollte der 59-Jährige nichts sagen, abgesehen vom Eingeständnis, „schmerzvolle Momente“ zu durchleben.
Zwar sind die Franzosen vergleichsweise tolerant bei privaten Fehltritten ihrer Politiker. Eine Mehrheit sagt in Umfragen, diese interessierten sie nicht. Doch gerade weil sich Hollande als integres Gegenbild zu Sarkozy stilisiert hatte, der sich verliebt an der Seite des Ex-Models Carla Bruni in den Medien inszenierte, irritieren die Berichte über die Eskapaden. Er fuhr offenbar auf dem Motorroller zur Geliebten und ließ sich dabei nur von einem Bodyguard begleiten. Derweil wuchs sich die immer weiter aus. Nur noch rund ein Viertel der Bürger traut Hollande zu, die Misere überwinden zu können.
Ausgabenkürzung und Arbeitsplätze schaffen: Hollande will Familienkasse 2017 entlasten
Inzwischen suchen 3,3 Millionen Franzosen einen Job. Angesichts von Wachstumserwartungen von nur 0,9 Prozent für das laufende Jahr scheint Besserung nicht in Sicht, auch wenn Hollande an eine „Stabilisierung“ glaubt. In diesem Jahr plant er, die Neuverschuldung von 4,1 auf 3,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zu senken, während die Gesamtlast der Schulden, zuletzt bei 93,4 Prozent des BIP, sogar steigen dürfte. Ökonomen raten Frankreich dringend zu Ausgabenkürzungen.
Diese Richtung scheint Hollande nun einschlagen zu wollen. Zwar hatte er bereits bei seiner Neujahrsansprache einen „Verantwortungspakt“ mit den Unternehmen angekündigt, die im Gegenzug Arbeitsplätze schaffen und den sozialen Dialog modernisieren sollten. Doch nun überrascht das Ausmaß seiner Pläne. Indem er bis 2017 die Unternehmen von Abgaben für die Familienkasse im Umfang von rund 30 Milliarden Euro entlasten will, griff er Forderungen des Arbeitgeberverbandes auf. Dessen Präsident Pierre Gattaz begrüßte den „Schritt in die richtige Richtung“, während die Gewerkschaften zwischen totaler Ablehnung und skeptischem Abwarten schwankten.
Einsparungen unter Beibehaltung des Sozialmodells
Es handele sich nicht um „Geschenke“ an die Unternehmen, versicherte Hollande. Finanziert werden sollen sie mit Einsparungen in Höhe von 50 Milliarden Euro zwischen 2015 und 2017. Diese seien möglich „unter Beibehaltung unseres Sozialmodells“. Von einer angeblichen Wende seiner Politik will der Präsident nichts wissen: „Wer wendet, bremst ab. Doch es geht darum zu beschleunigen.“ Er sei „nicht vom Liberalismus besetzt“, sondern „sozial, reformerisch, realistisch und vor allem patriotisch“.
Hollandes offensives Plädoyer überzeugte überwiegend. „Endlich klare Worte“, kommentierten sogar linke Medien. Die bürgerlich-rechte Oppositionspartei UMP tat sich schwer mit Kritik an Maßnahmen, die sie selbst seit langem fordert.
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