Franzosen setzen Zeichen gegen Gelbwesten - mit roten Schals
Viele Franzosen haben genug von der ständigen Gewalt bei den Demonstrationen und setzen ein Zeichen. Was hinter der neuen „Mode“ steckt.
Wer ist das französische Volk und wer darf in dessen Namen sprechen? Gibt es eine laute Minderheit auf der einen Seite, die in gelben Warnwesten bekleidet weniger Steuern und mehr direkte Demokratie fordert, teilweise aber auch den Rücktritt von Präsident Emmanuel Macron oder gleich einen gewaltsamen Putsch – und eine schweigende Mehrheit auf der anderen, die diese Entwicklungen erschüttert beobachtet?
Diese Diskussion ist entbrannt, nachdem am Wochenende einerseits zum elften Mal in Folge Anhänger der „Gelbwesten“ ihren Unmut auf die Straße getragen haben. Diesmal waren es 69.000 im ganzen Land und 4000 Menschen in Paris. Gleichzeitig formierte sich in der französischen Hauptstadt am Sonntag eine Gegenbewegung der „Rotschals“. Gut 10.000 Demonstranten forderten bei einem „republikanischen Marsch für die Freiheiten“ Dialog und den Schutz der Demokratie. „Stoppt die Gewalt!“ stand auf vielen Plakaten. Vor allem im Dezember waren am Rande von Kundgebungen der „Gelbwesten“ zahlreiche Schaufenster zerschlagen und Gebäude beschädigt, Autos und Mülleimer angezündet oder Geschäfte geplündert worden.
Das Klima bei den Gelbwesten-Protesten bleibt angespannt
Zwar kam es zuletzt nicht mehr zu solchen Exzessen, doch das Klima bei den Demonstrationen bleibt angespannt. Eine Mehrheit der Bevölkerung steht zwar weiterhin hinter den „Gelbwesten“. Sie aber demonstriere für ein Ende dieser Gewalt, aber auch der aufrührerischen Slogans, sagte die Rentnerin Monique, einen roten Schal um den Hals tragend. „Tief in mir weine ich, wenn ich diese Schäden sehe, ob in Paris oder anderswo.“
Die „Gelbwesten“ erscheinen aber keineswegs als geschlossene Gruppe. So lehnt ein Teil von ihnen die Ankündigung einer ihrer Sprecherinnen, der 31-jährigen Krankenpflegerin Ingrid Levavasseur, bei den EU-Wahlen anzutreten, heftig ab. Auch die Anwendung von Gewalt ist umstritten – verschafft sie der Bewegung einerseits Gehör, so bringt sie diese andererseits in Misskredit. Zu Zielscheiben wurden Abgeordnete der Regierungspartei, Journalisten und vor allem Polizisten, welche die Attacken oft mit großer Härte erwiderten. Unter den tausenden Menschen, die inzwischen bei den Zusammenstößen teils schwer verletzt wurden, befinden sich Demonstranten wie Sicherheitskräfte. Der Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern durch die Polizei, vor allem aber von Hartgummigeschossen, steht immer mehr in der Kritik. Am Wochenende wurde einer der Wortführer der „Gelbwesten“, Jérôme Rodrigues, schwer am Auge verletzt.
Anhänger der "Rotschals": Manche verteidigen auch Präsident Macron
Unterstützen viele der Anhänger der „Rotschals“ mehr oder minder offen die Regierung, beteiligten sich auch Mitglieder der Partei Emmanuel Macrons und verteidigten den Präsidenten. Macron sagte am Rande eines Besuchs in Ägypten, er wisse, dass er auf Glatteis gehe. Noch sei unklar, was aus der großen Debatte werde: „Ich weiß aber, dass ich tief greifende Konsequenzen daraus ziehen werde.“
Allerdings geben die meisten „Rotschals“ an, sie wollten sich wie die „Gelbwesten“ nicht politisch vereinnahmen lassen. Entstanden ist auch diese Bewegung in den sozialen Netzwerken, unter anderem auf die Initiative eines Ingenieurs aus Toulouse, Laurent Soulié, hin. Er hatte im Dezember eine Seite mit dem Appell gestartet: „Stopp, es reicht jetzt!“ Drohungen gegen Abgeordnete, aber auch gegen Journalisten hätten ihn schockiert, erklärte er.
Der rote Schal ist eine Anspielung auf ein traditionelles Fest im südfranzösischen Bayonne, wo dieser getragen werde – man wollte ein ebenso einprägsames Symbol wie die gelbe Warnweste.
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