Im Bürgerkrieg werden Blumen gepflanzt
Die Menschen in der Ukraine wollten eine Revolution – und stehen vor dem Scherbenhaufen ihrer Ideale. Sie pflanzen Blumen – und ein paar Straßen weiter ist fast Bürgerkrieg.
Donezk blüht. In weißer Pracht leuchten die vielen Robinien, deren Holz einst im Bergbau gebraucht wurde. Im sommerheißen Sonnenschein flanieren junge Paare durch die Parks. Auf den ersten Blick erinnert hier nichts an einen drohenden Bürgerkrieg zwischen prorussischen Separatisten und ukrainischen Nationalisten. Glaubt man Russlands Präsident Wladimir Putin, steckt das Land ja schon in einem „echten Bürgerkrieg“. Für den – das klingt fast nach Kalter-Krieg-Rhetorik – die USA mitverantwortlich seien.
Aber in Donezk, der Kohlestadt mit ihren gut eine Million Einwohnern im Osten der Ukraine, aus dem seit Wochen immer wieder Schießereien mit Toten gemeldet werden, in Donezk also sei „alles normal“, sagt Alisja Fedorenko. „Wir leben unser Leben, wie es sich gehört.“ Die Gärtnerin pflanzt Blumen am Prospekt Mira, an der Straße des Friedens. Alles sei normal – bis zu den Barrikaden vor der Regionalverwaltung. Dort haben sich seit zwei Monaten die Separatisten verschanzt. Sie haben eine „Volksrepublik Donbass“ ausgerufen. Donbass, so nennt man das Industriegebiet im Südosten der Ukraine.
Die Gefahr einer Spaltung des Landes ist längst nicht gebannt. Am Donnerstag erst starben bei Gefechten zwischen Separatisten und Regierungstruppen südlich von Donezk mindestens 36 Menschen. Auch gestern gab es wieder Tote.
Nichts ist normal im Osten der Ukraine. Auch nicht in Donezk.
Alle schauen auf den König von Donbass
Das wird am Sonntag nicht anders sein, wenn die Bürger einen neuen Präsidenten wählen. Gewinnen wird vermutlich der Oligarch Petro Poroschenko, auch wenn dazu wohl eine Stichwahl am 15. Juni nötig ist. Ob er seine Macht auch in Donezk durchsetzen kann, hängt von den Separatisten ab. Und natürlich von Putin. Das entscheidende Wort könnte einem anderen Mann zufallen: Rinat Achmetow, ungekrönter „König des Donbass“.
In dem Industrierevier gehört dem 47-Jährigen fast alles. Der reichste Mann der Ukraine herrscht über ein Imperium aus rauchenden Schloten und quietschenden Förderbändern. Er hat aber auch ein funkelndes Fußballstadion bauen lassen, die Donbass-Arena, die bei Nacht einem leuchtenden Riesendiamanten gleicht. Der Oligarch hat „seine“ Metropole zumindest in Teilen zum Blühen gebracht – unabhängig von der Jahreszeit.
Wie weit der Arm des Oligarchen reicht, zeigte sich zu Beginn dieser Woche. Da rief er die Bürger zum Protest gegen die Separatisten auf. Zehntausende legten die Arbeit nieder, gingen auf die Straße und setzten mit Hupkonzerten lautstarke Zeichen für die Einheit der Ukraine. Achmetow selbst wetterte einen Tag später öffentlich gegen die Separatisten, die „unsere Bevölkerung in Geiselhaft nehmen“.
Was den Oligarchen dazu bewogen hat, sich auf die Seite der Kiewer Regierung zu stellen, ist nicht bekannt. Dass es Absprachen gegeben haben muss, liegt auf der Hand. Wer die Hintergründe verstehen will, muss zurückblicken. Achmetow gelangte wie all die anderen Oligarchen der Ukraine in den 90er Jahren zu Reichtum und Macht – in einer Zeit, die von Mafiakriegen und Chaos geprägt war. Julia Timoschenko, selbst Oligarchin, sagte einmal: „Jeder, der damals auch nur einen Tag in der ukrainischen Wirtschaft eine führende Funktion innehatte, könnte eingesperrt werden.“
Die Oligarchen, zu denen die wichtigsten Präsidentschaftskandidaten Poroschenko, Timoschenko und Serhi Tihipko zählen, haben große Teile des ehemals sowjetischen Volkseigentums in ihr Privateigentum überführt. Die Maidan-Revolution im Februar ist angetreten, diese Herrschaft zu brechen. Gelungen ist das nicht. Im Zeichen der Krim-Krise und russischer Drohgebärden sind „bewährte“ Kräfte gefragt. Im Internet kursiert bereits der Satz: „Die Oligarchie ist tot. Es lebe die Oligarchie!“
Und was heißt das für die Kinder vom Maidan, fast 600 Kilometer Luftlinie entfernt in Kiew im Westen des Landes? Es ist Mai, aber der große metallene Weihnachtsbaum mitten auf dem Platz der Unabhängigkeit steht immer noch. Das Gerüst ist mit Plakaten übersät und so etwas wie das Schwarze Brett der Revolution. Im Winter hing hier ein Porträt von Timoschenko, dann bis vor wenigen Wochen ein Konterfei Putins mit Hitler-Bart.
Putin bleibt Feindbild der Ukraine
Inzwischen sind die Bilder abgehängt. Über das Feindbild Putin herrscht Einigkeit, doch es fehlt eine Ikone für den Präsidentschaftswahlkampf. Euphorie für einen Kandidaten sucht man vergebens. Überhaupt merkt man am Maidan wenig davon, dass am Sonntag ein neuer Präsident gewählt werden soll. „Es tritt nun mal die alte Politikerkaste an. Die Favoriten Poroschenko und Timoschenko hatten schon ihre Chance. Sie sind diskreditiert“, sagt Olja. Die 22-jährige Journalistin hat mit Freunden die Hotline „Euromaidan SOS“ eingerichtet, um Angehörigen bei der Suche nach Vermissten zu helfen. „Es geht wieder nur ums Geld. Und eine neue Politikergeneration hat sich noch nicht entwickelt“, seufzt sie. „Aber wir sind eben in einer Übergangsphase und müssen wohl geduldig sein.“
Von Geduld will Wanusch nichts wissen. Der grauhaarige Mann aus Uschgorod steckt in einem Militär-Anzug und lebt seit fünf Monaten in der Zeltstadt am Maidan. „Wir haben gegen die Korruption gekämpft, und nichts hat sich geändert“, donnert er. „Man muss alle Beamten entlassen, vom niedrigsten bis zum höchsten! Wenn ein Mensch krank ist und er nicht zum Arzt geht, wird er auch nicht gesund.“
Wenige Meter weiter steht das einzige Wahlkampfzelt am Maidan, das der Ärztin Olha Bohomoletz. Die 48-Jährige aus Kiew hat am Aufstand teilgenommen, den Demonstranten von der Bühne aus Mut zugesprochen und als Leiterin eines Koordinierungszentrums viele Verletzte versorgt. Jetzt kandidiert sie fürs Präsidentenamt. Unter den Aktivisten genießt sie großes Ansehen, an einen Erfolg glaubt aber selbst der junge Mann nicht, der vor dem Zelt Broschüren verteilt. „Seien wir ehrlich – sie ist doch viel zu unbekannt“, winkt er mit saurem Gesicht ab. Laut Umfragen kann sie maximal mit zwei Prozent rechnen.
Maidan-Aktivisten in der Übergangsregierung
Nach dem Umsturz hat man immerhin drei Maidan-Aktivisten in die Übergangsregierung geholt. Das Misstrauen gegen das Kabinett, das vor allem aus alten Gesichtern besteht, ist unter den Aktivisten trotzdem groß. Zwischen Skepsis und Hoffnung – so ist auch die Stimmung in der westlichen Provinz. „Die Menschen setzen dennoch ihre Hoffnungen auf die Wahlen“, sagt Tetyana Kloubert. Sie stammt aus Czernowitz tief im Westen der Ukraine. Die junge Frau, die nun als wissenschaftliche Mitarbeiterin für Erwachsenenbildung an der Universität Augsburg arbeitet, ist überzeugt, dass Poroschenko das Rennen macht. „Natürlich ist er ein Oligarch. Aber die Leute wählen ihn trotzdem, weil sie glauben, dass sich ein Mensch ändern kann“, sagt sie unserer Zeitung.
Warum aber fühlen sich die Menschen im Westen des Landes so stark mit Europa verbunden? „Einmal ist es die Tradition. Fast jede Familie bei uns kennt die Geschichten der Urgroßeltern, die mit leuchtenden Augen davon erzählen, wie es im Habsburger Reich war“, sagt Kloubert. Und heute? Viele Westukrainer arbeiten jedes Jahr für einige Monate in EU-Staaten. Augenscheinlich überwiegen die guten Erfahrungen: „Die Leute, die in ihre Dörfer oder Kleinstädte zurückkommen, erzählen natürlich, was sie zum Beispiel in Deutschland erlebt haben. Dass sie meist fair behandelt wurden. Und dass die Menschen sich sicher und frei fühlen und freundlich zueinander sind.“ So, sagt Tetyana Kloubert, wollen die Leute auch in der Ukraine leben. Für dieses Ziel seien sie (noch) bereit, hinzunehmen, dass die Lebenshaltungskosten in der Krise um bis zu 20 Prozent gestiegen sind.
Ein Abgeordneter aus Illertissen schaut genau hin
Karl-Heinz Brunner ist nur schwer zu verstehen. „Gerade läuft Madeleine Albright vorbei, die frühere amerikanische Außenministerin, begleitet von unzähligen Pressefotografen“, schreit er fast in sein Mobiltelefon. Der SPD-Bundestagsabgeordnete aus Illertissen ist seit gestern in Kiew, um als OSZE-Beobachter die Wahl in der Provinz nahe der Hauptstadt zu kontrollieren.
Ausnahmezustand? „Davon kann in Kiew keine Rede sein. Die Sonne scheint, die Straßencafés sind voll.“ Mit Sorglosigkeit habe das nichts zu tun. „Die Leute sind realistisch. Sie wissen, dass die Wahlen im Osten ihrer Heimat nicht überall stattfinden können.“ Dennoch: „Sie sind zuversichtlich und vor allem fest entschlossen, wählen zu gehen.“
Auf dem Maidan blinzelt Taras, ein ehemaliger General aus Lemberg, buntes Trachtenhemd, dicker Fellhut, in die Mai-Sonne. Wenn die Rede auf die Politik kommt, ist das Lächeln schnell verflogen. „Wir brauchen endlich eine starke Führung und neue Gesichter“, sagt der Mann mit dem üppigen Schnauzbart. Den Aktivisten zufolge sollte die Zeltstadt ursprünglich nach der Präsidentschaftswahl abgebaut werden. Davon ist längst keine Rede mehr. Taras spricht aus, was dieser Tage viele am Maidan denken: „Wir bleiben, bis das Land ganz auf Reformen eingestellt ist. Wenn das nicht passiert, wird sich der Maidan eben noch einmal erheben. So lange und so oft, wie es nötig ist.“ (n-ost)
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