Hitze, Dürre, Ernteausfälle und Waldbrände haben diesen Sommer geprägt. Haben wir es mit einer seltenen Wetter-Abweichung zu tun oder trifft uns jetzt der Klimawandel?
Svenja Schulze: Man kann nie ein einzelnes Wetterereignis eindeutig auf den Klimawandel zurückführen. Aber wir werden jetzt mehr dieser Extreme erleben, von Starkregen bis Dürre. Das ist genau das, was uns die Klimaforscher immer vorausgesagt haben. Die fünf heißesten Jahre seit Beginn der Wetteraufzeichnungen waren alle nach 2010. Dagegen hilft nur konsequenter Klimaschutz, damit wir Menschen unseren Planeten nicht völlig aus dem Gleichgewicht bringen. Und wir werden uns an die jetzt schon nicht mehr vermeidbaren Folgen des Klimawandels anpassen müssen.
Gerade die schweren Waldbrände haben vielen Menschen Angst gemacht, sogar in der Hauptstadt Berlin war der Qualm tagelang zu riechen. Wie lässt sich verhindern, dass solche Feuer überhand nehmen?
Schulze: Brandstiftung kann man leider nie ausschließen. Aber wir müssen uns stärker auf extreme Trockenheit einstellen. Laubwälder brennen seltener als Nadelwälder. Wenn wir auf Mischwälder setzen, können wir die Wälder besser vor dem Klimawandel und damit auch vor erhöhter Waldbrandgefahr schützen. Aber die Wetterveränderungen werden auch jeden einzelnen Bürger betreffen.
Wie zum Beispiel?
Schulze: Gerade war ich beim Bundesamt für Strahlenschutz. Die Experten dort warnen eindringlich davor, dass die Hautkrebsgefahr durch UV-Strahlen immer weiter steigt. Wir werden das Netz der Messstationen deshalb ausbauen. Der Spruch „Zwischen elf und drei sonnenfrei“ ist aktueller denn je. Über die Mittagszeit sollten die Menschen wenn überhaupt nur geschützt, also mit Kappe und langärmeliger Kleidung in die Sonne gehen, um nur zwei Möglichkeiten zu nennen. Wir werden mehr Schattenplätze an Schulen und Kindergärten brauchen. Und dass Kinder etwa bei Bundesjugendspielen Stunden auf dem ungeschützten Sportplatz verbringen, das geht heute fast nicht mehr.
Unter der Trockenheit hat gerade die Landwirtschaft sehr gelitten. Wie müssen die Bauern mit dem Klimawandel umgehen?
Schulze: Darüber sind wir mit den Landwirten im Gespräch. Es wird darauf hinauslaufen, dass der Ackerbau künftig ein anderer sein wird. Mit schonender Bodenbearbeitung, mehr Hülsenfrüchten, vielfältigeren Fruchtfolgen. Die Landwirtschaft muss robuster gegenüber Klimaveränderungen werden und sie muss selbst klimaverträglicher wirtschaften und sorgsamer mit Böden, Wasser, Luft und Natur umgehen. Dabei dürfen wir die Landwirtinnen und Landwirte aber nicht alleine lassen, sondern sie durch die Neuausrichtung der Europäischen Agrarförderung unterstützen.
Die Bundesregierung ist aber damit gestartet, dass sie gleich die Klimaziele für 2020 beerdigt hat. Vorreiter unter internationaler Musterschüler beim Klimaschutz ist Deutschland schon längst nicht mehr...
Schulze: Wir haben uns bei den Klimazielen erstmal ehrlich gemacht. Da haben wir die letzten 20 Jahre viel zu wenig getan. Jetzt ziehen wir einen Strich drunter und lernen daraus. Warum ist denn so wenig passiert bei Verkehr, Energie, Gebäuden oder Landwirtschaft? Ich sage: Weil die Verbindlichkeit für die einzelnen Bereiche fehlte. Das werden wir nun ändern.
Welche konkreten Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um die EU-Klimaziele zu erreichen?
Schulze: Die SPD hat im Koalitionsvertrag mit der Union durchgesetzt, dass wir ein Klimaschutzgesetz bekommen. Darin definieren wir für alle Bereiche verbindlich, wie die geltenden Klimaschutzziele umgesetzt werden sollen. Wir arbeiten zurzeit an diesem Gesetz. Die Herangehensweise ist eine ganz andere als früher. Nicht ich als Umweltministerin mache die Vorgaben und die anderen sagen mir dann, was alles gar nicht geht. Nein, jeder Minister ist für die Maßnahmen in seinem Bereich zuständig, der Verkehrsminister für den Bereich Verkehr und Transport, der Wirtschaftsminister für den Bereich Energie, der Bauminister für die Gebäude und die Agrarministerin für die Landwirtschaft.
Werden die Ministerien bisher ihrer Verantwortung gerecht?
Schulze: Leider ist auf Seiten von CDU und CSU die Bereitschaft, wirklich effektive Maßnahmen zu ergreifen, bislang nicht sehr ausgeprägt. Im Bereich Verkehr, der für knapp 20 Prozent der Treibhausgasausemissionen verantwortlich ist, passiert viel zu wenig, der Ausstoß steigt eher noch. Die Autos werden zwar etwas effizienter, gleichzeitig werden sie immer größer und leistungsstärker. Verkehrsminister Andreas Scheuer wird da liefern müssen. Klimaschutz ist eine große Chance für den Verkehrssektor, weil er unsere Unternehmen fitter macht und auch gut für die Lebensqualität in den Städten sein kann.
Stichwort Verkehr: Der Skandal um manipulierte Abgaswerte hat die Debatte noch verschärft. Verkehrsminister Scheuer spricht sich aber gegen Hardware-Nachrüstungen aus…
Schulze: Zunächst einmal haben viele Leute einen Diesel gekauft, weil sie davon ausgegangen sind, dass das die saubereren Autos sind. Aus Umweltsicht möchte ich auch nicht, dass der Diesel so schnell beerdigt wird, die Autos sind in der Regel sparsamer als vergleichbare Benziner. Für die Übergangsphase auf dem Weg hin zu mehr Elektromobilität ist es gut, den Diesel zu haben – vorausgesetzt er ist sauber. Und deswegen möchte ich zum Werterhalt des Diesels beitragen. Software-Updates sind schön und gut, werden aber nicht reichen, um die Stickoxidwerte entscheidend zu senken. Deshalb möchte ich, dass bei Modellen, wo dies möglich ist, auch Hardware-Nachrüstung gemacht wird. In den stark belasteten Städten wird das helfen. Die Alternative sind Fahrverbote. Und das finde ich keine intelligente Verkehrspolitik. Der Verkehrsminister muss jetzt endlich das Regelwerk für Nachrüstungen schaffen. Das fordern übrigens nicht nur die SPD, sondern auch der ADAC und das deutsche Kraftfahrzeuggewerbe, weil sonst bei Leasingrückläufern und bei auch jungen Gebrauchtwagen ein gewaltiger Wertverlust droht.
Weil bayerische Politiker sich weigern, in München die Einhaltung der Stickstoffdioxid-Grenzwerte durchzusetzen, droht ihnen die Justiz sogar mit Beugehaft. Würden Sie Ministerpräsident Markus Söder gern hinter Gittern sehen, wenn sich bei der Luftreinhaltung nichts bewegt?
Schulze: Das klingt ja erst mal lustig. Aber das ist so ein ernstes Thema, da leiden gerade Kinder und ältere Leute massiv unter der Belastung durch ein Reizgas. Es ist erschreckend, dass sich eine Landesregierung so wenig um das Wohl der Menschen kümmert. Man kann das doch nicht einfach aussitzen, die Stickstoffdioxid-Grenzwerte haben ja einen Hintergrund – das Zeug kann extrem schädlich sein. Dass ein Gericht so weit geht, dass es über so was nachdenkt, ist schon bezeichnend. Und die bayerische Staatsregierung lässt ja auch die Kommunen im Stich, das ist wirklich verantwortungslos.
Was erwarten sie von der Kohlekommission, die bis Ende des Jahres einen Termin zum Ausstieg aus der Kohleverstromung festlegen soll?
Schulze: Wir haben die Kommission ganz bewusst Strukturwandelkommission genannt, weil sie nicht nur den Zeitplan für den Ausstieg aus der Kohle festlegen, sondern auch Vorschläge dazu machen soll, was in den betroffenen Regionen danach passiert. Für das rheinische Revier, die Lausitz und das mitteldeutsche Revier muss klar sein, wie neue Arbeitsplätze entstehen können.
Sie kommen aus dem Kohle-Land Nordrhein-Westfalen, gehören der einstigen Kumpel-Partei SPD an, sind Gewerkschaftsmitglied IG Bergbau. Wie zwiespältig sind Ihre Gefühle, wenn es um den Kohle-Ausstieg geht?
Schulze: Klar, der Kohlebergbau hat eine ganz stolze Tradition. Das westdeutsche Wirtschaftswunder haben wir auch dieser Region zu verdanken. Diese Ära geht zu Ende, aber es wird etwas Neues entstehen. Das wollen wir rechtzeitig gestalten. Das gilt gerade auch für ostdeutschen Reviere, wo der letzte Umbruch noch vielen in den Knochen steckt. Deshalb stecken wir ja auch so viel Energie darein, gute Ideen für neue, zukunftsfeste Jobs in den Regionen zu entwickeln.
Die Grünen haben einen Aktionsplan gegen Plastikmüll vorgestellt und fordern etwa die Einführung von Plastikverpackungen, die sich selbst zersetzen. Wäre das sinnvoll?
Schulze: Das wäre sogar kontraproduktiv. Angeblich biologisch abbaubares Plastik, das suggeriert, dass das gutes Plastik ist und bedenkenlos verwendet werden kann, ist eine Einladung zur Verschwendung. Es baut sich aber nur unter ganz bestimmten großtechnischen Bedingungen ab. Und wenn es in den Gelben Sack kommt, macht es sogar Riesenprobleme beim Recycling. Da hätte ich mehr erwartet von den Grünen. Mein Ansatz ist: Unnötiges Plastik vermeiden, Verpackungen durch neue Anreize klüger und ökologischer gestalten und mehr Recycling – darauf kommt es an.
Forscher und Naturschutzverbände beklagen ein dramatisches Insektensterben. Was unternimmt die Bundesregierung?
Schulze: Die Situation ist wirklich erschreckend, die Hälfte der 560 Wildbienenarten ist bedroht. Wir haben die Eckpunkte für einen Aktionsplan zum Insektenschutz vorgestellt, die werden jetzt diskutiert. Da bekommen wir enorm viel Rückmeldung, das beschäftigt viele Menschen sehr. Wir wollen etwa mehr Blütenwiesen, mehr Lebensraum für Insekten. Auch den Einsatz von Pestiziden müssen wir deutlich einschränken, da geht es nicht nur um das umstrittene Glyphosat.
Was tun Sie eigentlich privat für die Umwelt? Welches Auto fahren Sie dienstlich und wie sind sie in der Freizeit unterwegs?
Schulze: Ich esse schon seit meiner Jugend kein Fleisch mehr – allerdings nicht aus Klimaschutzgründen, sondern weil es mir nicht schmeckt. Und ich lege beim Einkauf sehr viel Wert auf regionale Produkte. Mein Dienstwagen hat einen Hybridantrieb, der stammt noch von meiner Vorgängerin. Als Ministerin kann ich Flugreisen nicht vermeiden. Aber privat fahre ich möglichst oft mit dem Fahrrad, wenn es irgendwie geht.
Zur Person Die SPD-Politikerin Svenja Schulze ist seit März neue Bundesumweltministerin. Die 49-jährige gebürtige Düsseldorferin, die Germanistik und Politikwissenschaft studiert hat, war von 2010 bis 2017 Wissenschaftsministerin in Nordrhein-Westfalen. Die einstige Landesschülersprecherin wurde 1997 jüngste nordrhein-westfälische Landtagsabgeordnete.