Wer bezahlt am Ende für die bessere Pflege?
Die Regierung will mehr Personal in der Pflege einsetzen und ihm höhere Löhne zahlen lassen. Damit könnte sie aber viele alte Menschen zum Sozialfall machen.
Es ist ein klassisches Dilemma: Die Bundesregierung will die krassen Missstände in der Pflege lindern und könnte damit die Lage der Senioren gleichzeitig verschlechtern. Der Grund dafür ist Geldmangel im System. Werden mehr Pflegerinnen und Pfleger eingestellt, die auch noch mehr verdienen, müssten parallel dazu die Zuzahlungen aus der eigenen Tasche steigen. Viele Senioren könnte das finanziell überlasten. Sie müssten dann im hohen Alter noch zum Sozialamt gehen und dort um Aufstockung bitten. Am Ende eines langen Lebens mit viel Arbeit für viele eine erniedrigende Vorstellung.
Ein Bündnis aus Diakonie, Arbeiterwohlfahrt und der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi verlangt von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), das Dilemma schnellstens aufzulösen. „Die Eigenanteile müssen jetzt eingefroren werden“, forderte Maria Loheide aus dem Vorstand der Diakonie. Im zweiten Schritt soll Spahn die Pflegeversicherung nach den Vorstellungen der drei Sozialverbände zu einer Vollversicherung umbauen. „Das ist eine Pflegeversicherung, die den tatsächlichen Bedarf finanziert“, erklärt Loheide. Heute kommt sie nur für einen Teil der Kosten auf, die für die Pflege in einem Heim oder zu Hause anfallen.
Zuzahlung nur für Pflege in Bayern um 18 Prozent gestiegen
Das Thema drängt. Neue Zahlen des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) zeigen einen enormen Anstieg der Eigenanteile, die Senioren im Heim für die eigentliche Pflege aufbringen müssen. Die Zuzahlung kletterte in Bayern 2019 im Vergleich zum Vorjahr im Schnitt von 733 Euro pro Monat auf 864 Euro. Das entspricht einem Zuwachs von 18 Prozent. In Baden-Württemberg stieg der Eigenanteil um 15 Prozent – von 829 Euro im Monat auf 953 Euro. Hinzu kommen für Heimbewohner außerdem noch Kosten für Unterkunft, Verpflegung und Investitionen in den Einrichtungen. Im Bundesmittel summieren sich die Zuzahlungen aus eigener Tasche auf durchschnittlich 1900 Euro monatlich.
Vollversicherung hieße aber auch, dass der Pflegebeitrag der Versicherungspflichtigen angehoben werden müsste. Aktuell beträgt er 3,05 Prozent des Bruttolohnes, der je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern getragen wird. Kinderlose ab 23 Jahre berappen noch einen Zuschlag von 0,25 Prozentpunkten. Diakonie, Verdi und AWO wollten nicht beziffern, wie stark der Beitrag zulegen müsste. Sie verweisen auf Berechnungen des Gesundheitsökonomen Heinz Rothgang von der Universität Bremen. Demnach bräuchte es für die Vollversicherung bei dem aktuellen Personal und Lohnniveau einen halben Beitragspunkt mehr.
Eine Pflegekraft verdient im Schnitt 2980 Euro brutto
Kommt aber die von der Bundesregierung versprochene und dringend benötigte Aufstockung des Personals und die bessere Bezahlung, reichte das Beitragsplus nicht aus. Derzeit lässt die Bundesregierung eine Studie erstellen, wie viel Pflegerinnen und Pfleger für eine wirksame Bekämpfung der Personalnot gebraucht werden. Die Ergebnisse sind noch unveröffentlicht. Laut Verdi empfehlen die Experten aber, 200.000 Stellen mehr zu schaffen. Dadurch würde aber der Eigenanteil zwischen 400 und 500 Euro pro Monat nach oben schnellen.
Ohne höhere Löhne würden sich aber wiederum nicht genügend Bewerber finden, die den fordernden Pflegeberuf ausüben wollen. „Viele junge Menschen sehen ihre Zukunft nicht in der Pflege, weil soziale Berufe in Wertschätzung und Bezahlung weit abgehängt sind“, sagte AWO-Chef Wolfgang Stadler. Seinem Verband zufolge verdient eine Pflegekraft im Westen 2980 Euro brutto, im Osten 2560 Euro.
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