Rösler: Patienten sollen beim Arzt Vorkasse leisten
Berlin - Gesetzlich Versicherte sollen ihren Arzt künftig häufiger freiwillig selbst bezahlen und sich das Geld von der Krankenkassen erstatten lassen.
Mit dem schnellen Abbau von Hürden bei entsprechenden Wahltarifen will Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) die Finanzierung gesetzlicher Kassen stärker am Vorbild privater Versicherungen ausrichten. Langfristig will er dieses Prinzip der Kostenerstattung weiter ausbauen. Opposition, gesetzliche Kassen, Gewerkschaften und Verbraucherschützer reagierten empört.
Gesetzlich Versicherte können bei vielen Kassen schon heute Kostenerstattung wählen - bekommen dann aber nur 90 Prozent der sonst bezahlten Kosten zurück. Zudem binden sich Versicherte drei Jahre an den Tarif. "Das ist kein Anreiz, das auszuprobieren", sagte Rösler am Mittwoch in Berlin. Bereits mit der Gesundheitsreform, die an diesem Donnerstag erstmals im Bundestag beraten wird, sollten diese unter SPD-Regie aufgebauten Hürden beseitigt werden.
"Man muss den Einstieg auf freiwilliger Basis machen", versicherte Rösler. Das Sachleistungsprinzip mit automatischer Kostenübernahme bleibe erhalten. "Langfristiges Ziel ist es, neue Angebote auf freiwilliger Basis für die Versicherten zu schaffen", erläuterte sein Sprecher. Auch CDU-Experte Jens Spahn sagte: "Uns ist als Union wichtig, dass es sich um eine freiwillige Wahl des Versicherten handeln muss, für die er sich aktiv entscheiden muss." Gesetzliche und private Kassen sollten künftig auch mehr Angebote aus einer Hand anbieten.
Die Kassen lehnen die Pläne ab. "Vorkasse heißt, dass den Ärzten der direkte Griff in die Portemonnaies ihrer Patienten ermöglicht wird", sagte der Sprecher ihres Verbands, Florian Lanz. "Wenn kranke Menschen zum Arzt gehen, dann sollen sie sich nicht erst fragen müssen, ob ihr Geld reicht, um in Vorkasse gehen zu können." Aus Sicht des Verwaltungsratschefs der Barmer GEK, Holger Langkutsch, werden so Einkommensfantasien der Ärzte gefördert. "Die Gefahr droht, dass die Patienten auf erheblichen Mehrkosten sitzen bleiben." Dies könnte nach Ansicht der Kritiker passieren, wenn ein Arzt mehr verlangt, als er für Kassenpatienten sonst bekommt - denn nur bis zu dieser Höhe sollen die Kosten erstattet werden.
Auch in der Union regte sich Widerstand. "Die Kostenerstattung bringt nichts", sagte ihr Experte Max Straubinger der "Welt" (Donnerstag). "Die Patienten zahlen im Extremfall immer nur drauf." Der rheinland-pfälzische Vorsitzende der CDU-Sozialausschüsse CDA, Bardo Kraus, sagte: "Es schreckt Patienten vor allem mit geringem Einkommen vom Besuch einer Arztpraxis ab."
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnte: "Wir werden eine Drei-Klassen-Medizin bekommen, bestehend aus Privatversicherten, denjenigen mit Kostenerstattung - und dann kommt die Holzklasse." Patienten bekämen bevorzugt Arzttermine, wenn sie selbst zahlen, sagte er der dpa. Geringverdienern sei das unmöglich. So äußerte sich auch der Verbraucherzentrale Bundesverband. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach warnte: "Die Folge wäre, dass die Versicherten noch mehr draufzahlen müssten und im Zweifel abgezockt werden." Linke-Experte Harald Weinberg kritisierte: "Dahinter steht die Ideologie, dass Patienten nicht Kranke, sondern Kunden sind."
Niemand solle in eine Kostenfalle geraten, versicherte Rösler. Vor einem weiteren Ausbau der Kostenerstattung solle eine Großreform der Ärztehonorare kommen. Denn Ärzte könnten wegen der komplizierten Abrechnungsregeln gar nicht unmittelbar eine Rechnung ausstellen.
Rösler kündigte eine Überprüfung der Wahltarife an. Verhindert werden solle, "dass ein gesetzlich Versicherter mit seinem ganz normalen Beitrag womöglich den Wahltarif eines anderen Versicherten - Auslandskrankenversicherung, Chefarztbehandlung, Ein- oder Zweibettzimmer - subventioniert." Lanz monierte: "Das klingt alles sehr nach einem staatlichen Förderprogramm für die private Krankenversicherung als Nischenanbieter."
Zu seinen Fernziel sagte Rösler der "Financial Times Deutschland": "Die reine Lehre der FDP sieht so aus, dass wir die heutige Versicherungspflicht abschaffen und jeden Menschen verpflichten, sich zu einem Basisschutz bei egal welchem Versicherungsunternehmen zu versichern." SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisierte, Kostenerstattung solle die Versicherten an eine private Basisversicherung gewöhnen.
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