Annalena Baerbock hatte im erzkonservativen Polen einen guten Start
Die Grünen-Politikerin Annalena Baerbock ist für die rechtsnationale polnische Regierung die reine Provokation. Trotzdem findet sie gemeinsame Themen.
Frau, grün, deutsch. Für Polens rechtsnationale PiS-Regierung ist Annalena Baerbock so etwas wie die Mensch gewordene politische Provokation. Umso wichtiger war es, dass die neue Außenministerin keine 48 Stunden nach ihrer Vereidigung nach Warschau gereist ist. Mehr noch: Baerbock, die in der Tradition einer pazifistischen Partei steht, legte im geschichtsbewussten Polen einen Kranz am Grabmal des unbekannten Soldaten nieder. Das war mehr als eine routinierte Geste. Es war ein sichtbares Zeichen, dass die neue Bundesregierung trotz allen Streits auf gutnachbarschaftliche Beziehungen hofft.
Ampelkoalition lehnt erzkonservative Politik der PiS ab
Angesichts der Vielzahl der Konfliktpunkte ist das keineswegs selbstverständlich. Denn die Ampelkoalition lehnt nicht nur die erzkonservative Gesellschaftspolitik der PiS ab – etwa die extrem strengen Abtreibungsregeln oder die Hatz auf sexuelle Minderheiten. Im europäischen Rechtsstaatsstreit geht es um Sein oder Nichtsein der EU. Und auch in der Klimapolitik spielt das Kohleland Polen eine entscheidende Rolle. Hinzu kommt die Flüchtlingskrise an der Grenze zu Belarus, die ja nur beispielhaft für die Konflikte in der Migrationspolitik steht. Nicht zu vergessen den russischen Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine.
Baerbock nutzte gerade diese Themen, um Gemeinsamkeiten mit ihren Gastgebern zu betonen. Die grüne Ministerin teilt die Russlandskepsis in Polen und sogar die Fundamentalkritik an Nord Stream 2. All das zeigt, dass es enorm viel zu besprechen gibt zwischen Berlin und Warschau. Ein ordentlicher, ja guter Anfang ist gemacht. Entscheidend wird nun sein, ob es einen echten Willen zu lösungsorientierter Diplomatie gibt. Auf beiden Seiten.
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@GREGOR B.: „Aber das kapieren alle, die zusehen, keine Sorge.“
Das würde voraussetzen, dass die Polen zusehen dürfen.
Aber ich als Deutscher fühle mich von den deutschen Medien auch nicht immer als mündiger Bürger behandelt (gegenüber einem mündigen Bürger kann man z. B. alle Fakten offenlegen), weshalb ich gelegentlich ausländische deutschsprachige Quellen lese. So schreibt hierzu die linksliberale österreichische Zeitung DER STANDARD (https://www.derstandard.de/story/2000131829880/annalena-baerbocks-schwieriger-antrittsbesuch-in-warschau):
„Als Annalena Baerbock, die neue Außenministerin Deutschlands, bei ihrem Antrittsbesuch in Warschau das erste kritische Wort über Polens Grenz- und Asylpolitik sagte, flimmerte das Bild des TVP-Staatsfunks kurz, dann kam Polens Gesundheitsminister ins Bild. Dieser verkündete, dass es besser sei, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen, als dies nicht zu tun. Zu Baerbock wurde nicht mehr zurückgeschaltet.“ und
„Seit Monaten hängen in den Straßen Polens zudem Propagandaplakate eines regierungsnahen Künstlers, die mit öffentlichen Geldern gefördert sind und auf denen die deutsche Ex-Kanzlerin Angela Merkel, Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder der aktuelle Botschafter Deutschlands neben Nazi-Größen zu sehen sind.
Angeblich, so lügt der Propagandist, hätte Deutschland weder Reparationen noch Entschädigungen für die Besatzungszeit geleistet. Dabei erhielt Polen nach der Sowjetunion die höchsten Reparationsleistungen aus Deutschland – vor allem Baumaterial für den Wiederaufbau. 1953 verzichtete Polen auf weitere Reparationsleistungen. (Gabriele Lesser aus Warschau, 11.12.2021)“
Das Bild von Brandts Kniefall in Polen ist damals von polnischen Medien auch so abgeschnitten worden, dass man den Kniefall nicht erkennen konnte.
Man darf Polen nicht für Europa und die Demokratie aufgeben. Ebenso wenig wie Ungarn. Es ist in Polen einfach so, dass es in den Städten europäische, selbstbewußte und moderne Aufbruchsstimmung ohne Ende gibt - dass aber die Mehrheit immer noch erzkonservative, ängstliche, erzkatholische, homophobe, rückwärtsgewandte etc. Landbevölkerung ist, die nichts auf Vielfalt und Partizipation gibt sondern will dass alles so bleibt wie es ist. Die lassen sich nicht zu Europäer*innen machen. Insofern macht es Baerbock da nicht schlecht, auf Zeit zu spielen, angesichts der widerlichen Behandlung durch die PISer, denen, da nicht sachkompetent, nur noch das WW2-Reparationsargument für Deutschland einfällt. Aber das kapieren alle, die zusehen, keine Sorge.
Vielleicht hätte Frau Baerbock dem guten Außenminister "Zbigniew" mal in aller Ruhe erklären sollen, dass
@ Von Rainer Nödel 13:01 Uhr
>>Lieber Raimund Kamm,
bei Deiner Aufzählung "zu den uns in Europa verbindenden Werten" ist Dir unter Solidarität mit Notleidenden wahrscheinlich entgangen, dass im Mittelmeer Menschen ertrinken, an der Grenze zu Belarus hunderte/tausende Menschen unter widrigsten Bedingungen hausen und dass es einen Menschen mit Namen Julian Assange gibt, der Hilfe zwar dringend benötigt, aber........ leider im Regen stehengelassen wird.<<
Völlig richtig. Gegen unsere westlichen Werte verstoßen unsere westlichen Länder teilweise seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten: Wir haben ein vielfach schlimmes koloniales Erbe, wir haben seit Jahrzehnten weltwirtschaftliche und weltpolitische Beziehungen zum Nachteil der Menschen in vielen armen südlichen Ländern gestaltet. In unseren Ländern gibt es starke faschistische Strömungen, die sogar wie in Frankreich, an die Macht gewählt werden könnten. Wir haben in einigen Ländern wie Polen und Ungarn rechtspopulistische und Menschenrechte auf breiter Linie verletzende Regime. Wir lassen an unseren Außengrenzen Jahr für Jahr hunderte oder gar tausende Menschen buchstäblich absaufen. Wir treten gegenüber uns Energierohstoffe liefernde Länder wie Saudi-Arabien oder Russland leise auf, obwohl diese übel Oppositionelle drangsalieren und morden. Auch werden für unsere Länder verdienstvolle Whistleblower wie Edward Snowden und J. Assange ihrer Freiheit beraubt …
Vermutlich wird die neue Außenministerin wenigstens anfangs versuchen entsprechend ihrer persönlichen Werte einige dieser Missstände wenn schon nicht abzustellen, so doch anzusprechen. Und vermutlich wird sie immer wieder hinter den Kulissen gemahnt werden, die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands zu beachten. Das werden Unternehmensverbände und Gewerkschaften gemeinsam tun. Und sicherlich werden die Rechten in unserem Land ihr „Maul zerreißen“, was sich denn diese junge Frau einbilde. Und vermutlich werden dogmatische Linke immer wieder "What about" sich äußern, wenn die Außenministerin die üblen Verbrechen in Russland und China anspricht. Beispielsweise den Truppenaufmarsch an der ukrainischen Grenze.
Raimund Kamm
Freundschaft mit Polen- ein großes Wort. Aber echte Freundschaft zwischen Staaten gibt es in der Realpolitik nur so lange gemeinsame Interessen bestehen. Nur Polen verstößt gegen diese gemeinsamen Interessen unentwegt. Nimmt nur die guten Seiten der EU und umgeht die Pflichten wenn auch immer möglich. Und versteckt sich hinter seinen streng katholischen Weltanschauung und erzkonservativen rückwärts gerichteten Politik. Im Schutz von EU und NATO lebt nebenbei auch seine Erb- Russophobie aus und möchte den westl Nachbarn diese Einstellung auch noch aufzwingen - letztes Beispiel NS 2.
Offenbar hat die neue Außenministerin gut beides zusammengeschnürt:
Einerseits Respekt vor den polnischen Opfern in der Nazizeit verbunden mit diplomatischem Auftreten und andrerseits teils öffentliche und klugerweise einige nicht öffentliche Aussagen zu den uns in Europa verbindenden Werten: Rechtsstaatlichkeit, Bürger- und Freiheitsrechte, Solidarität mit Notleidenden, ökologische Verantwortung.
Raimund Kamm
Herr Kamm, die tagesthemen gestern zeigten, die Außenministerin hatte einen sehr schweren Stand. Nur Frau Baerbock selbst hat von einer deutsch-polnischen Freundschaft gesprochen, ja sogar von einer „tiefen Freundschaft“.
Da aber auch Grüne Politik mit einem Marathonlauf vergleichen (ttps://www.gruene-oberzent.de/2015/10/politik-und-marathonlauf-gemeinsamkeiten/), sollte man mit einem Urteil über die Außenministerin abwarten.
Lieber Raimund Kamm,
bei Deiner Aufzählung "zu den uns in Europa verbindenden Werten" ist Dir unter Solidarität mit Notleidenden wahrscheinlich entgangen, dass im Mittelmeer Menschen ertrinken, an der Grenze zu Belarus hunderte/tausende Menschen unter widrigsten Bedingungen hausen und dass es einen Menschen mit Namen Julian Assange gibt, der Hilfe zwar dringend benötigt, aber........
leider im Regen stehengelassen wird.
Andere Medien sehen das Treffen kritischer, z. B. "Baerbock wird in Polen belehrt" (Stern) oder "Neue Außenministerin bekommt Ärger zu spüren" (FAZ). Und der polnische Satz, „Wir sind nicht interessiert an der Föderalisierung Europas“, ist ein großer Dämpfer für die EU.
Dagegen spricht Polens Außenminister erneut Reparationen an. Mit Mitgliedern, deren Blick sich so weit zurück richtet, ist es schwer an eine gute gemeinsame Zukunft in der EU zu glauben.
Man kann zu Frau Baerbock stehen wie man will, aber unverschämte Art des poln. Aussenministers bei der Pressekonferenz
verheisst nichts Gutes für die weitere bilaterale Zusammenarbeit und in der EU. Eine rückwärtsgerichtete polnische Sichtweise der Geschichte und der Zukunft. Wenn ich die Haltung der PIS betrachte, muss ich sagen dass mir Hr Lawrow als RU Aussenminister lieber ist; der tritt hart in Sache auf aber verläßt nie den Pfad der diplomatischen Höflichkeit. Und Moskau stellt auch Reparationsforderungen, Polen erinnert an die fatale Politik zwischen den beiden Weltkriegen.
Nach Aussen Frieden, Freude, Eierkuchen mit Polen, aber in der Realpolitik sieht die Sache anders aus. Die regierende PIS in Polen ist eine erzkonservative Partei, das konträre Gegenteil von Baerbocks Grünen. Wenn Polen immer noch Kriegsschulden erstattet haben will, kann man das kaum echte Freundschaft nennen. Praktisch kein anderes Land stellt mehr als 70 Jahre nach WK2 Ende noch derartige Forderungen. Und mit den westl. Wertevorstellungen hat Polen auch nicht viel am Hut; nur wenns ums Geld melden sie sich sofort als Nehmerland.. Wenn ich mich richtig entsinne wurde auch das Thema NS 2 in Warschau heute nicht explizit diskutiert. Hier zählt Baerbock grüne Meinung nur marginal; das bestimmt der Koch deu Aussenpolitik Scholz und nicht die Kellnerin Baerbock.