Wie sich die EU in der Israelfrage entzweit
Die EU hat nach fast zwei Wochen interner Streitereien zwar endlich eine gemeinsame Linie zu ihrer Haltung zum Nahost-Konflikt ausgegeben. Trotzdem schwelen die Konflikte weiter.
Selbst jene 437 Kilometer Entfernung reichten nicht aus, um die tiefe Abneigung zwischen Ursula von der Leyen und Charles Michel zu verbergen. Als sich am Dienstagabend die EU-Kommissionspräsidentin aus dem EU-Parlament in Straßburg und der EU-Ratspräsident aus dem Justus-Lipsius-Gebäude im Brüsseler Europaviertel zur gemeinsamen Pressekonferenz zuschalten ließen, herrschte – milde ausgedrückt – unterkühlte Stimmung. Nicht einmal zu Höflichkeitsfloskeln konnten sich die beiden durchringen.
Krieg in Nahost: Die EU ist sich nicht einig
Seit vor fast zwei Wochen die Gewalt in Nahost eskalierte, ist die EU lediglich einig in ihrer Uneinigkeit. Anstatt entschlossen auf den Anschlag der Hamas auf Israel zu reagieren, sorgt ein beispielloses Kommunikationschaos für Unverständnis in Brüssel. Ein Diplomat nannte es „beschämend und lächerlich“, dass sich die beiden Spitzenpolitiker, bekannt für ihr dysfunktionales Verhältnis, trotz Tausender Toter in Israel und im Gazastreifen „nicht zusammenreißen und ihre Differenzen beiseitelegen“ könnten. Stattdessen verloren sich von der Leyen und Michel in einem bizarren Konkurrenzkampf, in Ego-Trips und internen Streitereien um institutionelle Zuständigkeiten.
Michel wäre eigentlich dafür verantwortlich, den Klub der 27 auf so etwas wie eine gemeinsame Linie einzuschwören. Viel lieber befeuerte er aber aus gekränkter Eitelkeit die Auseinandersetzung mit von der Leyen, indem er tagelang wild durch die Gegend twitterte. Wer gibt in der EU die außenpolitische Linie vor? Von der Leyen, Michel oder der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell? Im engeren Sinne ist der Spanier für diesen Bereich zuständig, im engsten Sinne heißt seine Chefin aber Ursula von der Leyen. Gegen die schoss nun nicht mehr nur Michel, sondern auch Borrells Team giftige Spitzen.
Überschreitet Ursula von der Leyen ihr Mandat?
Der Deutschen wurde vorgeworfen, ihr Mandat zu überschreiten, indem sie zu einem unabgesprochenen Blitzbesuch nach Tel Aviv gereist war und dort Israel nicht nur das Recht zugestand, sich zu verteidigen, sondern von einer „Pflicht“ sprach, ohne zunächst deutlich auf das internationale Recht hinzuweisen. Das löste Ärger bei den üblichen Verdächtigen aus, aber es kamen auch Rüffel von etlichen Diplomaten, Regierungsvertretern und Europaabgeordneten, die über das „einseitige“ Vorgehen von der Leyens klagten. Die Brüsseler Behördenchefin beschädige die außenpolitischen Interessen der Union. Dem vorausgegangen war ein unvergleichliches Wirrwarr in ihrem Haus.
Um eine „klare, geeinte Vorgehensweise“ zu demonstrieren, einigten sich die EU-Vertreter diese Woche in ihrer gemeinsamen Gipfelerklärung darauf, zum einen Israels Recht auf Selbstverteidigung zu betonen, zum anderen das „humanitäre und internationale Recht“ sowie das „humanitäre Völkerrecht“ hervorzuheben. Trotzdem schwelen die Konflikte weiter, dafür sorgen schon die Mitgliedstaaten. Anders als nach Russlands Angriff auf die Ukraine präsentieren sie sich in der Frage nach dem richtigen Umgang im Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern gespalten. So haben etwa Frankreich und Deutschland aus Angst vor Ausschreitungen Pro-Hamas- sowie Pro-Palästina-Proteste verboten. In Irland ist der Blick auf die israelische Regierung dagegen traditionell kritischer und in Spanien musste gar der Außenminister schlichtend eingreifen, weil Teile der linksgerichteten Regierung mit ihrer scharfen Kritik an der Militäroffensive Israels im Gazastreifen für Empörung in Jerusalem gesorgt hatten. Unterm Strich bleibt von diesen knapp zwei Wochen vor allem eines: eine desaströse Außendarstellung der Europäischen Union.
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