Alpine Ski-WM: Die Schweiz ist der Stachel in der österreichischen Seele
Die Österreicher drohen ihre Vormachtstellung im Alpin-Sport an die Schweiz zu verlieren. Das hat sie aufgeschreckt und verleiht dem Duell der Giganten neuen Schwung
Das ewige Duell der beiden Ski-Großmächte Schweiz und Österreich prägt auch die WM in Cortina d’Ampezzo. Diesmal zieht es seine Spannung aus dem Minimalismus der Österreicher. Die sind per Selbstdefinition das Maß der Dinge wenn es darum geht, auf Skiern einen Berg hinab zu fahren. Die Schweizer allerdings kratzen seit einiger Zeit an diesem Nimbus der rot-weiß-roten Unbesiegbarkeit. Als tief sitzender Stachel im nationalen Selbstverständnis hat sich die Weltcup-Nationenwertung erwiesen. Jahrzehntelang hatte sich niemand für diese Wertung interessiert, denn 31 Jahre dominierten dort wie selbstverständlich die Österreicher.
Im vergangenen Winter übernahmen die Schweizer die Führung
Dann aber, im vergangenen Winter, übernahmen die Schweizer die Führung. Und plötzlich war es ein Thema. Vor allem in Österreich. In einem Interview, das die schweizerischen Tageszeitung NZZ am Rande der WM mit dem allmächtigen ÖSV-Präsidenten Peter Schröcksnadel führte, nutzten die Kollegen diesen Umstand, um das Gespräch einfühlsam zu beginnen. Was denn da passiert sei, fragten sie mit Blick auf die Wachablösung.
Man kann sich gut vorstellen, wie Schröcksnadel die aufsteigende Galle erst einmal wieder schlucken musste, ehe er zur Antwort ansetzte. „Wir hatten auch Pech“, sagte er dann. „Wir haben ein gutes Frauenteam, aber lauter Verletzte. Schmidhofer verletzt, Hütter, Ortlieb. Ihre Punkte fehlen uns. Da kannst du nichts machen. Wir wären eigentlich sehr stark, aber mit all den Verletzten sind wir heuer nicht sehr gut, das ist leider eine Tatsache.“ Natürlich kam die Nachfrage, ob also das österreichische Team eigentlich doch das stärkere sei. Antwort: „Wir wären zumindest gleich stark wie die Schweizer, da bin ich mir sehr sicher.“
Die Deutschen sind weit davon entfernt in das Duell der Giganten einzugreifen
Es ist spannend, diese Rivalität aus der Distanz zu beobachten, denn die Deutschen sind weit davon entfernt, in das Duell der Giganten eingreifen zu können. Mit bislang drei Silber- und einer Bronzemedaille steht der DSV zwar gut da. An der Spitze des Medaillenspiegels rangieren aber, natürlich, Österreich und die Schweiz. Beeindruckend ist dabei, mit welch Effizienz die Österreicher bisher agieren.
Fünf Medaillen haben sie bisher gewonnen, vier glänzen golden. Vincent Kriechmayr (2), Marco Schwarz und Katharina Liensberger heißen die frisch gebackenen Weltmeister. Alle vier hatten dabei das Hundertstelglück für sich gepachtet – zweimal zu Ungunsten deutscher Fahrer.
Mickrige zwölf Hundertstel Vorsprung reichten den Österreichern für vier Titel
Im Super-G hatte Kriechmayr 0,07 Sekunden Vorsprung auf Romed Baumann, in der Abfahrt waren es nur 0,01 Sekunden auf Andreas Sander. Die Kombination gewann Schwarz mit einem Vorsprung von 0,04 Sekunden auf Alexis Pinturault. Und gar zeitgleich war Liensberger im Finale des Parallel-Rennens mit Marta Bassino. Zusammen gerechnet reichten den Österreichern also mickrige zwölf Hundertstel für vier Titel. Da stört es wenig, dass die Schweizer schon fast doppelt so viele Medaillen gewonnen haben – nur eben zu wenige goldene, um auch im Medaillenspiegel vorne zu sein.
Die Vorzeichen für die letzten drei WM-Entscheidungen sind klar. Die einen wollen die Führung im Klassement verteidigen, die anderen noch vorbei ziehen. Das österreichisch-schweizerische Dauerduell hat also nichts von seiner Brisanz verloren, auch wenn es mit Schröcksnadel in Kürze sein prominentestes Gesicht verliert.
ÖSV-Präsident Schröcksnadel wirkt wie aus der Zeit gefallen
Der 79-Jährige gibt das Amt des ÖSV-Präsidenten ab. Höchste Zeit, sagen manche, denn der Mann wirkt wie aus der Zeit gefallen. Bedrohungen wie den Klimawandel wischt er lässig vom Tisch. Von Angstmacherei halte er gar nichts, was auch daran liegen könnte, dass er an mehreren Skigebieten beteiligt ist. In den vergangenen 50 Jahren seien die durchschnittliche Schneehöhe nicht zurückgegangen und die Winter im Mittel nicht wärmer geworden.
„Nur die Sommer sind wärmer geworden“, sagte er der NZZ. Und: „Von Prognosen für die nächsten 50 Jahre halte ich ehrlich gesagt nicht viel. Die können ja oft nicht einmal auf drei Tage hinaus das Wetter vorhersagen.“ Möglicherweise sind sie beim ÖSV insgeheim nicht allzu unglücklich darüber, dass Schröcksnadel geht. Zumal dessen langjähriger Gegenpol auf Schweizer Seite ebenfalls aus dem Amt scheidet.
Urs Lehmann ist seit 2008 Präsident des Schweizerischen Skiverbandes, jetzt will er an die Spitze des Weltverbandes Fis. Bald schon wird es also neue Akteure geben im alten Duell der beiden Ski-Großmächte.
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