Trotz des Fachkräftemangels in der Wirtschaft steigt die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse. 3,24 Millionen abhängig Beschäftigte hatten demnach im Jahr 2022 einen Arbeitsvertrag mit Befristung, das entspricht 8,7 Prozent aller Beschäftigten. Im Jahr zuvor waren es noch 3,13 Millionen. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die unserer Redaktion exklusiv vorliegt. Demnach sind über die Hälfte der Befristungen (58 Prozent) sachgrundlos, das heißt, sie werden nicht mit einer nachvollziehbaren Begründung geschlossen, etwa für eine Elternzeitvertretung.
Im deutschen Arbeitsrecht ist eine sachgrundlose Befristung bis zu 24 Monaten möglich, kürzer laufende Verträge können bis zu dieser Höchstdauer bis zu dreimal verlängert werden. Gewerkschaften und viele Politiker kritisieren diese Praxis seit Jahren. In ihrem Koalitionsvertrag bekennen sich SPD, Grüne und FDP lediglich dazu, beim Bund als Arbeitgeber die sachgrundlosen Befristungen "Schritt für Schritt" zu reduzieren.
Weniger als die Hälfte der befristeten Verträge endet mit einem Vollzeitjob
In der Privatwirtschaft ist der Anteil der sachgrundlosen Verträge an der Gesamtzahl aller Befristungen mit 74,2 Prozent der Linksfraktion zufolge "enorm hoch". Aber auch im öffentlichen Dienst ist mehr als jeder dritte befristete Job sachgrundlos befristet. Im Dritten Sektor, also etwa bei Stiftungen und Vereinen, ist der Anteil von 35,2 Prozent im Jahr 2021 auf 47 Prozent gestiegen.
Die übergroße Mehrheit der befristeten Verträge läuft demnach nur für kurze Zeit: Gut 42 Prozent sind auf sieben bis zwölf Monate befristet, gut ein Viertel lediglich bis zu sechs Monaten. Für 44 Prozent der befristet Beschäftigten folgte 2022 die Übernahme in ein reguläres Beschäftigungsverhältnis ohne Verfallsdatum. Doch längst nicht immer steht am Ende das Happy End.
Ein Drittel der befristeten Arbeitsverträge wurden 2022 verlängert – mit weiteren Befristungen. Für 22 Prozent lief das Arbeitsverhältnis ganz aus. Das bedeutet: Insgesamt wurden 2022 mehr Verträge befristet, verlängert oder beendet, als dass Übernahmen in unbefristete Arbeitsverhältnisse erfolgten. Befristet Beschäftigte arbeiten zudem deutlich häufiger im Niedriglohnbereich. Ist in der Gesamtwirtschaft etwa jeder fünfte Beschäftigte von Niedriglöhnen betroffen, ist es unter den befristet Beschäftigten jeder dritte.
Von den sozialversicherungspflichtigen Neueinstellungen waren den Zahlen zufolge 2022 insgesamt 30 Prozent befristet. Überdurchschnittlich oft von Befristungen betroffen sind sowohl Personen mit akademischem Grad, als auch Menschen ohne Bildungsabschluss, besonders junge und besonders alte Arbeitnehmer sowie Menschen mit ausländischem Hintergrund.
Linksfraktion-Vorsitzende Ferschl fordert: Sachgrundlose Befristungen streichen
Susanne Ferschl, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, sagte unserer Redaktion: "Die anhaltend hohe Zahl der Befristungen ist alarmierend und passt so gar nicht zum beklagten Fachkräftemangel. Arbeitsverträge mit Verfallsdatum sind ein gezieltes Mittel, das Arbeitsrecht zu schleifen und Beschäftigte zu disziplinieren." Das permanente Gefühl, auf der Abschussliste zu stehen, sorge dafür, "dass man so einiges einsteckt, um die Arbeit nicht zu verlieren", fügte Ferschl hinzu.
Befristungen seien mit dem Schutzbedürfnis Millionen Beschäftigter nicht vereinbar. Denn es verstoße "gegen jedes Verständnis von guter Arbeit, Arbeitsverträge ohne Vorliegen eines Grundes zu befristen". Von der Bundesregierung fordert Ferschl: "Die Möglichkeit, einen Arbeitsvertrag sachgrundlos zu befristen, ist ersatzlos aus dem Teilzeit- und Befristungsgesetz zu streichen."