
Junge Frau verursacht absichtlich Unfall: Gericht verhängt Haftstrafe

Plus Eine 21-Jährige ist auf der B2 bei Augsburg absichtlich in den Gegenverkehr gefahren, deshalb steht sie vor dem Landgericht. Vom Urteil wird sie überrascht.
Es ist ein Urteil, mit dem die Angeklagte offenkundig nicht gerechnet hat. Linda R. (Name geändert), 21, steht vor Gericht, weil sie auf der B2 zwischen Augsburg und Kissing einen Unfall verursacht hat. Sie steuerte ihr Auto in den Gegenverkehr – mit der Absicht, sich selbst zu töten. Der Unfall verlief vergleichsweise glimpflich, weil der 35-jährige Autofahrer auf der Gegenfahrbahn sein Tempo noch stark verringern konnte. Linda R. als auch der andere Fahrer wurden mit kleineren Blessuren im Augsburger Uniklinikum behandelt. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft Linda R. wegen Mordes angeklagt, am Ende des Prozesses beantragte Ankläger Markus Eberhard aber nur noch eine Bewährungsstrafe. Doch dann, als Richter Lenart Hoesch das Urteil verkündet, staunen viele im Gerichtssaal.
Linda R. wird nach Jugendstrafrecht zu drei Jahren Haft verurteilt – wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung. Die Jugendkammer des Augsburger Landgerichts geht damit, was eher selten vorkommt, deutlich über die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe hinaus. Während Lenart Hoesch das Urteil erläutert, kann Linda R. ihre Emotionen nicht mehr zurückhalten. Sie beginnt laut zu schluchzen, die Urteilsbegründung muss unterbrochen werden und man hört Sätze wie: "Ich kann da nicht wieder hin." Auch die Angehörigen leiden sichtlich unter dem Urteil. Richter Hoesch versucht, bei der Angeklagten Verständnis zu wecken: "Das Urteil ist aus unserer Sicht in Ihrem Sinne. Wir haben überlegt, was gut für Sie ist." Linda R. schüttelt daraufhin aber energisch den Kopf.
Urteil im Prozess um Karambolage auf B2: Angeklagte "verdrängt" die Tat
In der Urteilsbegründung heißt es, dass die Angeklagte "wenigstens billigend in Kauf" genommen habe, dass sich sowohl der Fahrer des entgegenkommenden Autos als auch andere Verkehrsteilnehmer verletzen oder ums Leben kommen können. Dass sie dabei auch heimtückisch gehandelt hat – was ein Mordmerkmal wäre –, glaubt am Ende des Prozesses keiner der Beteiligten mehr, auch nicht das Gericht. Linda R. verdränge aber, was wirklich geschehen sei und entziehe sich so der Verantwortung, heißt es im Urteil. In Gesprächen, die nach dem Vorfall stattfanden, habe sie das Geschehene als "Unfall" bezeichnet. Sie sehe sich als "Opfer von schlechten Umständen".
An den Unfall und die zwei Tage davor habe die Angeklagte nach eigenen Aussagen keine Erinnerungen. Diese Amnesie sei aber medizinisch nicht nachvollziehbar, sagt Richter Lenart Hoesch. Auch die geringe Geschwindigkeit des entgegenkommenden Autos könne ihr nicht positiv angerechnet werden. Das Opfer, ein 35-jähriger Mann, sagte vor Gericht aus, dass er längere Zeit arbeitsunfähig gewesen sei, vermehrt Rückenschmerzen habe – und auch einen seelischen Schaden davongetragen hat.
Angeklagte war zum Zeitpunkt der Tat in häuslicher Corona-Isolation
Lenart Hoesch geht im Urteil auch auf die Situation von Linda R. ein. Sie sagt, dass sie seit der zehnten Klasse immer wieder an Depressionen leide. Sie war deswegen jahrelang in Behandlung. Nach Ansicht ihrer Therapeutin habe sie außerdem narzisstische Züge. Positiv angerechnet wird ihr, dass sie vor Gericht Rede und Antwort gestanden hat und gegenüber dem Opfer Reue zeigt. Zudem sei sie bereit gewesen, alles in ihrer Macht Stehende gegen die Depressionen zu tun. Zum Zeitpunkt der Tat hatte sich Linda R. offiziell in häuslicher Isolation befunden. Sie war zwei Tage zuvor als Corona-Kontaktperson aus dem BKH in Augsburg entlassen worden. In der Urteilsbegründung heißt es, trotz ihrer medizinischen Vorgeschichte gebe es keine Indikation für "psychiatrische Kernangebote". Demnach sei für Linda R. eine Unterbringung in einer psychiatrischen Einrichtung eher ein Eingriff in die Freiheit als eine "Behandlungswohltat". Die Entscheidung basiere unter anderem auf der Einschätzung eines Gutachters.
Verteidiger Marco Müller will das Urteil anfechten und Revision einlegen. "Ich habe erhebliche Zweifel, dass das so richtig ist", sagt Müller. Außerdem kritisiert er, dass es keine Anordnung zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gebe, wie ursprünglich von der Staatsanwaltschaft gefordert: "Jedem, der die Zeichen der Zeit erkennt, ist klar, dass sie ein solches Angebot braucht."
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Die Frau kann dem Schicksal, Gott ihrem Schutzengel oder wem auch immer, ewig dankbar sein, eine zweite Chance zu bekommen. Sie kann sich nicht rausreden, dass sie in dem Fall keinen freien Willen hatte und Opfer ihrer psychischen Störung war. Drei Jahre Haft sind ein geringer Preis dafür.