Kerzen und Kritik an der Gedenkfeier des Olympia-Attentats
Reden, eine Kranzniederlegung und Gebete – auf bewegende Weise ist gestern Abend an die Toten des Olympia-Attentats von 1972 erinnert worden. Die Hinterbliebenen erheben Vorwürfe.
Um der Opfer zu gedenken, fanden sich gestern Abend zahlreiche Prominente aus Politik, Sport und Religion auf dem Flugplatz in Fürstenfeldbruck ein. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer, Israels Vizepremierminister Silvan Schalom und viele weitere Gäste bekundeten ihre Trauer.
Erstmals mit Angehörigen
Erstmals anwesend bei einer solchen Veranstaltung: Überlebende und Angehörige der Opfer des Terroranschlages. Und die erhoben schwere Vorwürfe an die deutsche Regierung. Noch immer seien nicht alle Dokumente zu dem Fall freigegeben. „Wir wollen endlich wissen, was mit unseren Männern, Brüdern und Söhnen passiert ist“, klagte Ankie Spitzer, die Witwe des ermordeten Fechttrainers Andre Spitzer. „Erst dann können wir Frieden finden.“
Seit 40 Jahren würden die Hinterbliebenen dafür kämpfen, alle vorhandenen Akten einsehen zu dürfen. Noch immer ist nicht geklärt, ob die tödlichen Schüsse auf die Sportler aus den Waffen der Terroristen oder der Polizisten stammten.
Damals nahm ein Palästinenser-Kommando Mitglieder von Israels Olympiamannschaft als Geiseln, um in deren Heimat Gefangene freizupressen. Der Anschlag endete auf dem Flugplatz Fürstenfeldbruck beim missglückten Versuch, die Geiseln zu befreien, in einem Blutbad, bei dem neun Israelis getötet wurden. Zuvor hatten die Attentäter bereits zwei Sportler im Olympiadorf erschossen. Insgesamt gab es 17 Tote. Neben fünf Terroristen starb auch ein deutscher Polizist. Das Attentat veränderte die Sicherheitslage weltweit und führte zu strengen Vorkehrungen nicht nur bei allen großen Sportereignissen.
Auf der Rednerbühne hingen die Fotos der elf ermordeten Geiseln und des erschossenen Polizisten. Kein Applaus, kein Zuspruch, nur bedrückende Stille erfüllte den Flugzeughangar nach den Gedenkansprachen. Alle Redner verurteilten die grausamen Taten, Seehofer nannte die Tat einen „barbarischen Terrorakt“.
Andere erzählten von ihren persönlichen Erinnerungen an den Tag. „Ich war der Letzte, der den Opfern von Mann zu Mann Mut zugesprochen hatte“, berichtete Walther Tröger, Bürgermeister des olympischen Dorfes 1972, mit einem hörbaren Klos im Hals. „Aber ich konnte ihnen nicht helfen.“
Auch der Präsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann, gewährte Einblicke in seine damalige Gedankenwelt. „Niemals im Leben werde ich vergessen können, wie wir am Abend des 5. Septembers alle schlafen gingen mit der relativ beglückenden Nachricht: ‚Befreiungsaktion gelungen, keine weiteren Opfer, alle Geiseln leben.‘ Und wie wir dann am nächsten Morgen erwachten und ungläubig, erstarrt und versteinert die ganz neue Nachrichtenlage zur Kenntnis nehmen mussten: Alles falsch. Alles total missglückt. Alle tot.“ Dabei warf er den Sicherheitskräften schwere Versäumnisse vor. „Die Sicherheitsbehörden zeigten damals einen desaströsen Dilettantismus, wie wir ihn uns niemals hätten vorstellen können.“
Die Entscheidung des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), die Spiele nach kurzer Unterbrechung fortzusetzen, nannte Graumann kalt. Der Satz „The games must go on“ von IOC-Präsident Avery Brundage habe ausgedrückt, „dass jüdisches Blut billig war in den Augen der Welt“.
Keine Gedenkminute
Ebenfalls in der Kritik: Bei der Eröffnung der diesjährigen Olympischen Sommerspiele in London hatte das Internationale Olympische Komitee erneut auf eine Erinnerung an die Opfer des Attentats verzichtet. Die Hinterbliebenen fordern seit Jahrzehnten eine Gedenkminute bei den Olympischen Spielen, doch immer wieder blitzen sie beim IOC ab. „Ich höre alle vier Jahre eine andere Ausrede: Das passt nicht zur fröhlichen Stimmung, das steht nicht auf dem Protokoll“, schimpfte Ankie Spitzer verbittert. „Es stand aber auch nicht auf dem Protokoll, dass unsere Männer in Särgen nach Hause kommen würden.“ Worte, die wie Blei in der Luft lagen.
Nur einmal erklang während der Veranstaltung verhaltener Applaus. Als Walther Tröger am Ende seiner Rede forderte, dass alle noch offenen Fragen aufgearbeitet werden müssten. „Gerade jetzt, wo endlich die Archive geöffnet sind.“ Dafür wolle er sich bis an sein Lebensende einsetzen. (mit dpa)
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