Als das Kühlen noch Sache der Gemeinschaft war
Nach dem Krieg wurden in vielen Orten im Bereich Illertissen und Umgebung kollektive Gefrieranlagen geschaffen. Die kamen zwar aus der Mode – aber manche gibt es bis heute.
In früheren Zeiten schlachteten Landwirte vor allem im Winter – damit das Fleisch nicht vorzeitig verdarb. Als Kühleinrichtungen auf den Markt kamen, bedeutete das zwar eine kleine Revolution: Nun konnten die Tierprodukte zum Abhängen gebracht und dann an Ort und Stelle zerlegt und weiterverarbeitet werden. Doch kalte Lagerplätze waren teuer. Deshalb richteten mehrere Dörfer in der Nachkriegszeit gemeindliche Gefrierhäuser ein, zum Beispiel Unterroth, Jedesheim, Betlinshausen und Osterberg. Der Platz darin war heiß begehrt – bis Kühltruhen für Privathaushalte erschwinglich wurden. Was die Gemeinschaftskühlhäuser überflüssig machte. Einige Gebäude aus jenen Tagen gibt es allerdings noch heute. So manches wird sogar noch genutzt. Allerdings zu anderen Zwecken.
Im Jahr 2009 war Schluss: Albert Berger aus Jedesheim weiß, dass die 1959 im Ort gebaute „Gemeinschafts-Gefrieranlage“ als letzte ihrer Art weit und breit stillgelegt wurde. In Unterroth dagegen haben die Vereine ihrer „Gefriere“ nach dem Stilllegen in den 1980er-Jahren eine neue Daseinsberechtigung gegeben: als riesiger Kühlschrank für das Dorffest. Die eigentliche Geschichte des Gebäudes droht in Vergessenheit zu geraten. Maria Walser, Josefine und Franz Gleich erinnern sich als frühere Nutzer allerdings noch gut, warum die „Gefriere“ für Bauern einst so wichtig war.
„Gefriere“: Mehr als 90 Schließfächer waren zu vermieten
In Unterroth hatte in den Jahren 1958/59 die Illertisser Firma für Kältetechnik von Richard Plersch – wie in anderen Orten – eine gemeindliche Gefrieranlage installiert. Maria Walser erzählt, dass der damalige Bürgermeister Meinrad Schädel von seinem zentral gelegenen Garten den nötigen Grund abgezweigt und zur Verfügung gestellt hatte. Auf das Betreiben weitsichtiger Landwirte, so erinnern sich die drei Unterrother, sei dann das Gebäude errichtet worden. Es enthält zwei noch nutzbare Kühlkammern. Wohingegen die Gefrieranlage in der Art eines langen Einbauschrankes, die sich in der Raummitte befand, nicht mehr existiert. Sie besaß über 90 Schließfächer, die innen nur durch Holzgitter abgetrennt waren, damit die Kälte zirkulieren konnte. Damals gab es um die 100 Landwirte in Unterroth, erinnert sich Maria Walser. Manche hätten sich Fächer geteilt. Die „Gefriere“ sei samstags von 18 bis 20 Uhr für die Mieter geöffnet gewesen, weiß die Bäuerin. „Wer zu spät kam, musste bei Meinrad Schädel um den Schlüssel fragen.“ Josefine und Franz Gleich, deren Hof direkt gegenüber dem Kühlhaus liegt, wissen, warum gerade beim Hausmetzgern eine Gefrieranlage gute Dienste leistete: „Früher haben die Bauern nur im Winter geschlachtet, wobei das Fleisch gleich verarbeitet werden musste.“ Das konnte durch Einkochen in Gläsern geschehen oder Räuchern im Kamin, wofür jedes Bauernhaus im Dachboden Vorrichtungen besaß. Das Gefrierhaus hatte die Vorratshaltung von Fleischwaren revolutioniert. Auch in der Landwirtschaftsschule Babenhausen wurde der richtige Umgang mit Gefriergut im Unterricht besprochen. Denn nun konnte nach dem Hausmetzgern das Fleisch in den Kühlraum zum Abhängen gebracht werden. Danach wurde es dort zerlegt und eingefroren. „Kam es zur Notschlachtung eines Rinds“, sagen die Gleichs, „wurde dies vom Gemeindediener ausgerufen.“ Denn dann hatte jeder Bauer prozentual zum eigenen Viehbestand eine gewisse Fleischmenge abzunehmen. „Man half gerne aus“, sagt Maria Walser, „denn jeder konnte in die gleiche Notlage geraten.“ Inzwischen seien die Vorschriften fürs Hausschlachten immer strenger geworden, sagt die Schwiegertochter Angelika Gleich. Zum Hof, den ihr Mann übernommen hat, verwalten die beiden auch das Schädel-Grundstück mit der alten „Gefriere“. Den Schlüssel dazu verwahrt Luise Walser, Schwiegertochter der gleichnamigen Seniorin und Musiker-Ehefrau. Denn der Musikverein als Organisator des Unterrother Dorffestes hütet auch das Kühlhaus.
Vor allem Landwirte und Hausmetzger nutzten die Kühlräume
In Jedesheim war dies bis zuletzt Aufgabe von Albert Berger. Als Landwirt ist er über seinen Vater dazu gekommen. Er war Vorsitzender der entsprechenden Genossenschaft, bis zuletzt deren Kassenwart und für die Wartung des Hauses zuständig. Der Bau entstand in Zusammenarbeit von Jagdgenossenschaft und Raiffeisenbank, weshalb er auf dem Grund der Bank neben der ehemaligen Molkerei (dem heutigen Dorfladen) steht. Berger weiß auch, warum ihre Anlage nicht von der Firma Plersch stammt: „Die Bauern haben sich umgeschaut, verglichen und sich für das Truhenmodell entschieden, wie es die Firma Escher Wyss aus Lindau installiert hat.“ Dafür mussten die Interessenten 620 D-Mark in bar zahlen sowie Hand- und Spanndienste im Wert von 70 D-Mark leisten. Die Anlage hat 34 Truhen, wobei es 32 Inhaber gab und halbe Flächen gemietet werden konnten. Auch Osterberg verfügte frühzeitig über diese neue Möglichkeit. Chronistin Inge Magel zitiert aus dem mit ihrem Mann Ferdinand verfassten Buch, dass die Gefriergemeinschaft von den Jagdgenossen unterstützt wurde. Die Molkereigenossenschaft übergab 1972 das Haus der Gemeinde, ab 1973 diente es dem Kindergarten als Sommerhalle.
Sogar Betlinshausen besaß eine „Gefriere“
Selbst das kleine Dorf Betlinshausen besaß eine Gemeinschaftsgefrieranlage, nach Angaben des Ortschronisten Harald Kächler von der Firma Plersch für 13000 D-Mark errichtet. Sie befand sich im Kellergewölbe der früheren Molkerei und späteren Feuerwehr. Als Betlinshauser erinnert sich Josef Harder, dass 17 Bauern über etwa zwölf Gefrierfächer verfügt hätten.
Zum Aus der kommunalen Anlagen hätten auch die Auflagen für Haus- und Notschlachtungen beigetragen, bedauert Angelika Gleich. „Fehlt einem Tier etwas“, sagt die Landwirtin, „wird es eingeschläfert und in die Tierverwertung gebracht.“ Und Berger ergänzt, dass auch in Jedesheim der Betrieb unrentabel wurde durch die hohen Kosten für die wenigen Nutzer.
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