Arzt soll Atteste verkauft haben: „Behandeln Sie unsere Aktion extrem vertraulich“
Wieder einmal sorgt ein Krankheitsfall im Prozess gegen einen Arzt aus Kaufering für Verzögerungen. Der Angeklagte schweigt. Zeugen zeigen, wie der Verkauf der Atteste ablief.
"Können wir jetzt endlich anfangen?", fragt die Gerichtsschreiberin um Punkt 9 Uhr, um im Gerichtssaal für Ruhe zu sorgen. Doch kurz nach Verhandlungsbeginn folgt bereits eine längere Unterbrechung. Der Prozess gegen einen Arzt aus Kaufering beginnt einmal wieder mit Turbulenzen. Dem 60-Jährigen wird vorgeworfen, während der Corona-Pandemie falsche Maskenbefreiungen ausgestellt zu haben. Zum Prozessauftakt wird deutlich, wie der Verkauf der falschen Atteste abgelaufen sein soll.
Das Schöffengericht des Amtsgerichts Landsberg hat das Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Ausstellens unrichtiger Gesundheitszeugnisse auf Mittwoch, 27. September, neu terminiert. Die Akten türmen sich an diesem Tag vor der Vorsitzenden Richterin und den Schöffen, die Stimmung im Gerichtssaal ist angespannt. Kein Wunder, diesmal soll die Hauptverhandlung schließlich durchgezogen werden. Im November 2022 wurde die Hauptverhandlung aufgrund eines Krankheitsfalls eines Verteidigers verschoben. Der neue Termin für das Gerichtsverfahren im März wurde nach einem Verhandlungstag ausgesetzt, da nicht genügend Folgetermine gefunden werden konnten.
Arzt soll in mindestens 117 Fällen Maskenbefreiungsatteste ohne Untersuchung ausgestellt haben
Dem Angeklagten wird vorgeworfen, zwischen Mai 2020 und Januar 2021 in mindestens 117 Fällen Maskenbefreiungsatteste ausgestellt zu haben, ohne die Empfänger der Atteste vor der Ausstellung untersucht zu haben. Neben dem Arzt müssen sich auch zwei Frauen wegen Beihilfe zum Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse verantworten. Die 54-jährige Angeklagte soll den Arzt in 47 Fällen, eine weitere Angeklagte soll ihn in 39 Fällen unterstützt haben, indem sie jeweils die vom Arzt erstellten Blankoatteste ausgefüllt und an die Empfänger weitergeleitet haben.
Doch eine der zwei Frauen erscheint nicht zum Prozesstag. Die Vorsitzende Richterin Katrin Prechtel liest ein Attest vor. Die Angeklagte sei aufgrund eines grippalen Infekts und aufgrund der Belastung durch das Verfahren nicht reise- oder verhandlungsfähig. Ihr Verfahren soll deshalb vom Rest getrennt werden. Die Verteidiger des Arztes und der zweiten Arzthelferin werden lauter, fühlen sich zu spät informiert. Sie sehen keine rechtliche Grundlage für die Abtrennung der Verfahren. "Wenn so etwas zu besprechen ist, muss es auch mit allen besprochen werden, ansonsten sind wir für heute fertig", sagt Verteidiger Maximilian Richter. „Das sagt wer?", entgegnet Staatsanwalt Gregor Hohenadl. Der Ton wird zusehends schärfer.
Prozess gegen Arzt aus Kaufering: "Meine Mandantin hat immer auf Geheiß des Hauptangeklagten gehandelt"
Das Gericht zieht sich daraufhin zur Beratung zurück. Es ergeht folgender Beschluss: Das Verfahren der abwesenden Mitangeklagten wird abgetrennt. Ein Psychiater soll in der Zwischenzeit klären, wann diese wieder reise- oder verhandlungsfähig sei, teilt die Richterin mit. Der Arzt möchte nicht aussagen, teilt sein Anwalt mit. "Meine Mandantin gibt an, dass sie immer nur auf Geheiß des Hauptangeklagten gehandelt habe", sagt hingegen der Verteidiger der Mitangeklagten. "Heißt das, dass ihre Mandantin auf Geheiß des Anklagten die Atteste ausgestellt hat?", fragt die Vorsitzende Richterin. "Das müssen Sie sich überlegen, was das bedeutet", antwortet Rechtsanwalt Richter.
Zeugen sind nach Paraguay ausgewandert
Auf viele Zeugenladungen wird im Anschluss dann doch verzichtet: Eine Zeugin sei in der Psychiatrie. Eine Frau müsste mit ihrem Baby 400 Kilometer anreisen. Eine Familie sei nach Ungarn, eine andere nach Paraguay ausgewandert.
Ein Polizeibeamter der Kriminalpolizei Fürstenfeldbruck, der die Ermittlungen geführt hat, tritt als erster Zeuge vor das Gericht. Der Polizeibeamte kommt zu dem Schluss, dass es teilweise Untersuchungen in der Praxis in Kaufering gegeben habe, die meisten Personen jedoch an die Mitangeklagten verwiesen wurden, um ein standardisiertes Attest zu erhalten. Der Polizist nennt weitere Ermittlungsergebnisse: Ein Blanko-Attest für einen Betreiber eines Bio-Supermarktes und dessen Mitarbeiter wurden demnach per E-Mail verschickt. Bei einer Versammlung in München soll der Angeklagte allen Beteiligten Maskenatteste angeboten haben.
Chatverlauf einer Angeklagten: "So viel Geld habe ich in meinem Leben noch nicht verdient"
"Wie viel haben die Arzthelferinnen verdient?", fragt die Vorsitzende Richterin. Die Antwortet lautet rund 73.000 Euro. Passend hierzu liest die Richterin aus einem sichergestellten Chatverlauf der erkrankten Angeklagten vor. "Schreibe seit vier Monaten Atteste. So viel Geld habe ich in meinem Leben noch nicht verdient" – laut Anklage waren es rund 39.000 Euro.
Dann kommt die erste Patientin, die belehrt werden muss. Die Frau aus Kaufbeuren wurde schon einmal wegen Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse verurteilt, das vom Angeklagten ausgestellt wurde, wie sie auf Nachfrage der Richterin mitteilt. Sie wird nicht die Letzte sein, die an diesem Tag von ihrem Recht Gebrauch macht und die Aussage verweigert, um sich nicht selbst zu belasten. In einer E-Mail an die Praxis liest die Richterin nach, dass die Zeugin um Atteste für sich selbst, ihren Mann und ihre Mutter bittet, „da wir alle während der Arbeit Masken tragen müssen“. „Bitte behandeln Sie unsere Aktion extrem vertraulich“, antwortete die abwesende Mitangeklagte unter anderem damals auf die Anfrage der Frau aus Kaufbeuren.
Eine weitere Zeugin, Jahrgang 2006, aus Augsburg will die Aussage nicht verweigern. Sie habe gesundheitliche Beschwerden beim Tragen der Maske. Zum Schulanfang im September 2020 machten ihre Eltern einen Termin beim Angeklagten aus. Sie sei nach ihren Symptomen gefragt worden und hätte ein paar Tage später das Attest per Post erhalten. Sie habe vom Angeklagten die Hilfe erhalten, die sie benötigte, so die selbstbewusste Schülerin.
Nach einem langen Prozesstag unterbricht die Richterin die Hauptverhandlung bis zum nächsten Termin am 6. Oktober. Doch zuvor werden noch eine Frau und ein Mann aus Dießen, die sich im Zuschauerraum wiederholt über die Aussagen der Prozessbeteiligten lächerlich gemacht hatten, mit einem Ordnungsgeld in Höhe von 250 Euro bestraft. Der erste Prozesstag endet damit so angespannt, wie er begonnen hat.
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