Die CSU und der Wandel
Es ist der unbedingte Wille zur Macht, der die CSU zum Schauspiel der Geschlossenheit verdonnert, nicht in erster Linie gemeinsame Überzeugungen.
Die CSU fiebert dem Tag der Landtagswahl entgegen – in freudiger Erwartung, dass sie aus „der Mutter aller Schlachten“ als große Siegerin hervorgeht, aber auch mit einer gewissen Sorge, dass kurz vor der Entscheidung im Herbst doch noch etwas schiefgehen könnte. Untrügliches Zeichen für diese nervöse Vorfreude ist, dass Horst Seehofer seine Partei zum Auftakt der Klausur der Landtagsfraktion in Wildbad Kreuth zu Geschlossenheit aufgefordert hat.
Geschlossenheit bedeutet im Jargon der CSU nicht, dass Einigkeit herrscht. Es bedeutet nur, dass nicht gestritten werden soll, schon gar nicht öffentlich. Wer gegen diese Regel verstößt, den straft der Wähler. Um das zu wissen, müssen die Christsozialen nicht zur FDP schielen. Es reicht die schmerzhafte Erinnerung an das eigene Schicksal im Jahr 2008, als die seit fünf Jahrzehnten in Bayern mit absoluter Mehrheit regierende Partei einen desaströsen Absturz erlebte und plötzlich auf einen Koalitionspartner angewiesen war.
Bis dahin hatte das Regieren unter weiß-blauem Himmel aus Sicht der CSU wunderbar funktioniert. Sie hat ihre Kernkompetenzen kultiviert: Innere Sicherheit garantieren, die wirtschaftliche Modernisierung vorantreiben und die Staatsfinanzen in Ordnung halten. Gleichzeitig fügte sie sich, wenn die gesellschaftliche Entwicklung mal wieder über sie hinweggegangen war, ins Unvermeidliche. So wie sie vor langer Zeit akzeptierte, dass Frauen nicht nur für Kinder, Küche und Kirche zuständig sind, so arbeitete sie sich schrittweise und unter beständigem Druck der Opposition an Lösungen heran, die sie dereinst als sittenwidrig oder als sozialistisches Teufelszeug gebrandmarkt hatte: Ganztagsschulen, eingetragene Lebenspartnerschaften für Schwule und Lesben, Kinderkrippen.
Der Schock von 2008, der Seehofer an die Spitze der Partei brachte, sowie äußere Ereignisse wie die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima bewirkten eine extreme Beschleunigung des Wandels. Die CSU verabschiedete sich von der Wehrpflicht wie von der Atomkraft. Sie akzeptierte, dass die Versorgung mit schnellem Internet nicht allein der Privatwirtschaft überlassen werden darf. Sie ließ auf Druck der FDP eine Liberalisierung der Hochschulen zu und nahm die 42-Stunden-Woche für Beamte wieder zurück. Neuerdings will sie auch die von ihr selbst eingeführten Studiengebühren wieder abschaffen. Und sogar beim Donau-Ausbau lässt CSU-Chef Seehofer eine in der wachstumsgläubigen Partei bis dato ganz und gar untypische Tendenz erkennen: weg vom Beton, hin zu mehr Nachhaltigkeit.
Das Ziel dieser Strategie der Anpassung und des beschleunigten Wandels, die Seehofer der Partei verordnet hat, ist offenkundig: Der CSU-Chef will SPD, Freien Wählern und Grünen möglichst wenig Angriffspunkte geben und auf diese Weise für seine Partei die absolute Mehrheit zurückerobern. Dieses Vorgehen trug ihm den Vorwurf der Beliebigkeit und Wendehalsigkeit ein. Das mag bei einigen einzelnen Entscheidungen berechtigt sein. Im Grundsatz allerdings wird dabei ein entscheidender Aspekt übersehen: Nicht Seehofer ändert dauernd seinen Standpunkt, sondern er ändert immer wieder Positionen seiner Partei.
Die Umfragen scheinen ihm – zumindest im Moment – recht zu geben. Das Projekt Rückeroberung der absoluten Mehrheit hat einige Aussicht auf Erfolg. Es ist der unbedingte Wille zur Macht, der die CSU zum Schauspiel der Geschlossenheit verdonnert, nicht in erster Linie gemeinsame Überzeugungen. Wie weit es damit her ist, lässt sich im Moment nur schwer erforschen.
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