Alkohol ist auch im Unterallgäu das Problem Nummer eins
Die Beratungsstelle der Arbeiterwohlfahrt zeigt Suchtkranken Wege zurück in ein unbeschwertes Leben. Warum Corona für Abhängige eine besondere Gefahr darstellt.
Keine Partys, keine Bierfeste, nur noch eingeschränkte soziale Kontakte: Wer daraus schließt, im zweiten Corona-Winter hintereinander würden sich Alkoholkranke leichter tun, von ihrer Sucht wegzukommen, dürfte falsch liegen. Suchtkranke und -gefährdete ziehen sich vermehrt ins Private zurück. Die Abhängigkeiten insbesondere von Alkohol sind damit nicht verschwunden. Eher das Gegenteil befürchtet die Suchttherapeutin der Psychosozialen Beratungsstelle der Awo Mindelheim, Ursula Hiller.
Die soziale Kontrolle sei im privaten Umfeld nicht mehr da, sagt die Expertin. Sie meint damit, dass Trinken in der Öffentlichkeit eher bremst. Was dagegen in den Privaträumen abläuft, „wissen wir nicht“. Eigentlich hat die Arbeiterwohlfahrt ihr Beratungsangebot in Mindelheim ausgebaut. Zweieinhalb Stellen sind von Sozialpädagoginnen besetzt, eine weitere von einem Psychologen.
Während des Lockdowns durften die Suchtkranken nicht mehr in die Beratungsstelle in Mindelheim kommen
Die Außenstelle wurde eigenständig. Und der Umzug von der Steinstraße in das Gebäude der Sparkasse mitten in der Stadt war auch ein klares Signal an alle, die Hilfe suchen: Wir sind leicht erreichbar. Hinzu kamen noch Außensprechtage: in Babenhausen jeden Dienstag, in Bad Wörishofen im Klosterhof 4 jeden Mittwoch von 9 bis 15 Uhr.
Wer eine Reha durchlaufen hat, wird ein Jahr lang auf Wunsch nachbetreut. Das geschieht in einmal wöchentlich stattfindenden Gruppensitzungen.
Dann kam Corona und es war nicht mehr weit her mit dem „niedrigschwelligen Angebot“. In den Zeiten des totalen Lockdowns durfte überhaupt niemand mehr die Beratungsstelle besuchen. Auch sogenannte Orientierungsgruppen konnten sich nicht mehr treffen. Was geblieben ist, sind die Kontakte übers Telefon und mithilfe von Videokonferenzen.
400 Unterallgäuerinnen und Unterallgäuer suchten bei der Beratungsstelle der Awo Hilfe
Heuer hat die Beratungsstelle rund 400 Frauen und Männer betreut. 50 von ihnen waren Angehörige, die in besonderer Weise unter der Sucht ihres Partners oder ihrer Partnerin leiden. 60 Prozent der Betroffenen sind männlich. Hiller sagt: „Wir erklären uns das so, dass Frauen teilweise unauffälliger konsumieren. Das geschieht zuhause und abends.“ Auch würden Frauen weniger harte Substanzen zu sich nehmen und beispielsweise eher nach Medikamenten greifen. Männer dagegen werden häufiger auffällig durch Straftaten oder den Verlust des Führerscheins.
Hauptklientel der Beratungsstelle, die hauptsächlich vom Bezirk, aber auch durch den Landkreis finanziert wird, sind Alkoholkranke und ihre Angehörigen. Allerdings erreichen die Berater nur einen Bruchteil der Betroffenen. „Aus Studien wissen wir, dass nur etwa zehn Prozent sich Hilfe holen.“ Und ein Teil davon kommt auch nur so halbfreiwillig, weil der Arbeitgeber Druck macht oder der Führerschein in Gefahr ist.
Ursula Hiller hat als Hauptgrund ausgemacht, warum Hilfe nicht angenommen wird: Es sei die Angst vor Veränderung. Denn ein Rauschmittel erfülle ja auch eine bestimmte Funktion. Am Anfang schmeckt es und fördert die Geselligkeit. Dann wird der Alkohol zum Problem. Und nur vermeintlich hilft er, wenn neue Probleme auftauchen.
Einsamkeit birgt laut der Expertin die Gefahr, einer Sucht zu erliegen
Die Corona-Einschränkungen führen aber auch zu emotionalen Ausbrüchen, so Hiller. Das sieht sie übrigens positiv. Das sei Seelenreinigung, wenn jemand auf Maskenpflicht schimpft. Wer alles in sich „hineinfrisst“, der sei für Sucht anfälliger.
Vermehrt stellt die Suchttherapeutin Doppeldiagnosen fest. Zur Alkoholabhängigkeit kommen Zwangsstörungen und Ängste hinzu. Diese psychischen Auffälligkeiten könnten in der Corona-Zeit dazu führen, dass Menschen, die ihre Sucht eigentlich im Griff haben, wieder rückfällig werden. So manchen gab der Verein, der Sport Halt. Diese Begegnungen sind nun weggefallen. Die Einsamkeit daheim sei eine Gefahr, einer Sucht zu erliegen.
Auch im Unterallgäu gibt es alle Drogen, weiß man bei der Beratungsstelle der Awo
Stark belastet sind immer auch die Angehörigen in den Familien. Sie können sich unabhängig von ihrem alkohol- oder drogenabhängigen Mann/Frau an die Beratungsstelle wenden. Die Beraterinnen versuchten immer, eine Lösung zu finden.
Bei jüngeren Leuten spielt Computer-Spielsucht eine gewisse Rolle bei den Klienten der Beratungsstelle. Aber auch Cannabis oder synthetische Drogen sind im Unterallgäu auf dem Markt. „Es gibt im Unterallgäu alle Drogen“, sagt Hiller. Die Freigabe von Cannabis sieht sie kritisch. Wer bisher mit einer Kleinstmenge erwischt wurde, den schickte das Gericht oft zur Beratungsstelle. Damit war der Täter nicht vorbestraft, aber er bekam die Gefahren des Konsums vermittelt.
Warum aber wird der eine süchtig, der andere nicht? Vieles liege in der Familie. Gibt es Wertschätzung, gibt es Anerkennung? Oder hat man als Kind ständig das Gefühl, dass niemand Zeit für es hat?
Die Psychosoziale Beratungsstelle der Awo in Mindelheim im Sparkassengebäude ist von Montag bis Freitag geöffnet. Es gilt die 2G-Plus-Regel. Telefonisch ist sie unter der Nummer 08261/6100 erreichbar.
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