Befremden über feiernde Türken auf deutschen Straßen
Politiker sind beunruhigt über hohe Wahlergebnisse für Erdogan in Deutschland und fordern härteren Kurs
Passanten dachten, die Polizei rückte am späten Abend wegen Fußballfans aus: In Berlin zählte der Autokorso mehr als hundert Fahrzeuge, mit dem Anhänger des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan rund um den Kurfürstendamm kurvten, hunderte Berliner Türken schwenkten wie bei einem Fußballsieg türkische Flaggen. In Duisburg reichten Autokorsos den Erdogan-Anhängern noch nicht: sie kletterten auf Ampelmasten und schossen Feuerwerk in die Luft. Weniger dramatisch ging es in Augsburg zu: Aber auch hier musste die Polizei eingreifen, um einen illegalen Autokorso türkischer Erdogan-Anhänger aufzulösen. Es sind Bilder, die nicht nur einheimische Passanten irritieren, sondern auch deutsche Politiker.
„Es ist beunruhigend, dass die Mehrheit der wahlberechtigten Deutsch-Türken für Erdogan und die AKP und damit für einen autoritären türkischen Staat gestimmt haben“, sagt etwa der FDP-Außenpolitik-Experte Alexander Graf Lambsdorff zu unserer Zeitung. Denn Erdogan und sein rechtsnationalistisches AKP-Wahlbündnis schnitt mit knapp 65 Prozent bei den in Deutschland lebenden türkischen gut 700000 Wählern noch deutlich stärker ab als in der Türkei selbst: Im für Südbayern zuständigen Konsulat München stimmten beispielsweise 65,5 der Wahlberechtigten für Erdogan, 26,4 für seinen stärksten Konkurrenten Muharrem Ince von der linksliberalen CHP. In Essen stimmten sogar 76 Prozent für Erdogan.
„Wir müssen uns allerdings davor hüten, alle in Deutschland lebenden Türken in eine Schublade zu stecken“, sagt Lambsdorff. „Denn nur etwa die Hälfte der Deutsch-Türken ist wahlberechtigt, die Mehrheit ist gut in Deutschland integriert und nicht alle haben der liberalen Demokratie eine Absage erteilt.“
Doch auch die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ekin Deligöz sagt, sie sei schockiert über das Wahlergebnis. „Besonders ärgert mich die hohe Zustimmung der in Deutschland lebenden Türken zu Erdogan“, betont die Grünen-Abgeordnete aus Neu-Ulm. „In Deutschland fordern sie für sich vehement liberale Rechte ein, doch die gönnen sie offenbar den Minderheiten in der Türkei, etwa den Kurden, nicht in gleichem Maße“, fügte sie hinzu. „Es ist sehr frustrierend, wie die Türkei gewählt hat“, erklärte Deligöz. „Wahl und Wahlkampf waren nicht fair, die Medien sind faktisch gleichgeschaltet“, kritisiert die Grüne.
FDP-Außenexperte Lambsdorff verlangt nun einen härteren Kurs gegenüber Ankara und einen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen. „Deutschland muss endlich reagieren und die Beziehungen zur Türkei auf eine ehrliche Grundlage stellen, anstatt weiter an dem unrealistischen EU-Beitritt festzuhalten.“
Auch die Linke fordert Konsequenzen: „Notwendig ist jetzt eine wirkliche Wende in den deutsch-türkischen Beziehungen“, sagt die stellvertretende Fraktionschefin Sevim Dagdelen. „Das heißt konkret: Schluss mit den Waffenexporten in die Türkei, Stopp der EU-Beitrittsverhandlungen und Nein zur Modernisierung der Zollunion.“ Bund und Länder müssten umgehend die Kooperation mit dem Moscheeverband Ditib als Teil des Erdogan-Netzwerks in Deutschland beenden. Dagdelen erwartet, dass sich die politische Situation in der Türkei weiter verschlechtern werde. „Andersdenkenden, Oppositionellen und kritischen Journalisten stehen finsterste Zeiten bevor“, sagte die Linken-Abgeordnete, die zugleich Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe ist. Nun werde „der Ausnahmezustand zum Normalzustand in der Türkei“, warnte sie.
Der außenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Nils Schmid setzt auf Dialog mit Erdogan: „Die Erwartung an ihn lautet, dass er den Ausnahmezustand endlich aufhebt und die Beschränkungen der Medien und politischen Parteien und Bewegungen wieder aufhebt und politische Gefangene freilässt“, sagt er. „Daran werden wir ihn messen.“
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