Integrationspolitik: Koalitions-Politiker im Dauerzwist
Im Streit über die Integrationspolitik werden die Töne immer schärfer: Politiker der Koalition kritisieren sich zunehmend auch gegenseitig.
Im Streit über die Integrationspolitik werden die Töne immer schärfer. Spitzenpolitiker der CSU gingen am Donnerstag nach den heftigen Attacken von SPD und Grünen auf den bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) zum verbalen Gegenangriff über.
Die Türkische Gemeinde in Deutschland pochte dagegen auf eine Entschuldigung Seehofers. Die bayerische FDP warf dem Koalitionspartner CSU "Stammtischparolen" vor. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) forderte eine Versachlichung der Debatte. Es gehöre kein Heldentum dazu, beim Thema Integration die eigenen "Bauchgefühle" auf den Tisch zu packen.
Wowereit fügte in der ARD-Sendung "hart aber fair" hinzu: "Ich könnte Ihnen meine Befindlichkeiten zu bestimmten Erscheinungen in unserer Gesellschaft hier ausplaudern - hier auf den Tisch packen - da würden Sie sich wundern." Im Vergleich dazu wäre der umstrittene Buchautor Thilo Sarrazin "vielleicht ein Waisenknabe". Die Kunst sei jedoch, nicht die eigenen Befindlichkeiten auszusprechen, sondern Lösungsmöglichkeiten für Probleme zu suchen.
Dobrindt: Berlin hat "die größten Probleme"
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt entgegnete, Wowereit habe "ganz offensichtlich keine Lösungsmöglichkeiten". Er kritisierte: "Jeder, der nach Berlin schaut, weiß, da sind die größten Probleme. Sie haben die Migranten, die am schlechtesten Deutsch sprechen, die meisten, die in Hartz IV sind." Dobrindt betonte zugleich: "Deutschland ist kein Einwanderungsland. Wir haben eine gewachsene Kultur über Jahrhunderte."
Gruß (FDP) ermahnt die CSU
Die bayerische FDP-Generalsekretärin Miriam Gruß ermahnte Dobrindt mit dem Satz: "Solche Aussagen führen zu einer Gespensterdebatte und bringen uns keinen Schritt weiter." Die Politik müsse "die Realität anerkennen und entsprechend handeln". Deutschland sei nach Ansicht der FDP ein Einwanderungsland und brauche "mehr gesteuerte Zuwanderung". Gruß fügte hinzu: "Gegensätzliche Aussagen mögen am Stammtisch gut ankommen, in der Politik haben sie nichts zu suchen."
Kolat hat wegen Seehofer-Sätzen "Angst bekommen"
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, warf Seehofer vor, mit seinen umstrittenen Äußerungen zur Zuwanderungspolitik bestimmte Gruppen "stigmatisiert" zu haben. Deswegen müsse sich der CSU-Chef entschuldigen. Kolat sagte, er habe wegen der Worte Seehofers "wirklich Angst bekommen", weil er an die "unsägliche Asyldiskussion" Anfang der neunziger Jahren und die darauf folgenden Brandanschläge etwa in Mölln erinnert worden sei.
CSU-Fraktionschef Georg Schmid verteidigt Seehofer
Der bayerische CSU-Fraktionschef Georg Schmid verteidigte Seehofer. Die CSU stehe "voll" hinter ihrem Parteivorsitzenden, wenn es darum gehe, "den Facharbeitermangel bei über drei Millionen Arbeitslosen erst einmal aus diesem Potenzial zu lösen". Schmid kritisierte in einem Interview zugleich, die "linken Parteien" wollten "das Thema Integration mit der Moralkeule wegdrücken". Er mahnte: "Mit Leugnen von Problemen, mit Gutmenschengerede oder gar Naivität werden wir die Situation nicht verbessern."
Der Berliner CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich sagte: "Die Äußerungen von Horst Seehofer haben die gesamte Betroffenheits- und Empörungsapparatur der rot-grünen Wohlstandsgutmenschen und Salonsozialisten in Gang gesetzt." Dabei habe Seehofer "nur gemeint, dass wir den drohenden Arbeitskräftemangel in erster Linie aus dem Potenzial unseres Landes und des gemeinsamen europäischen Arbeitsmarktes bewältigen sollten".
Seehofer hatte in einem Interview gesagt: "Es ist doch klar, dass sich Zuwanderer aus anderen Kulturkreisen wie aus der Türkei und arabischen Ländern insgesamt schwerer tun." Daraus ziehe er "auf jeden Fall den Schluss, dass wir keine zusätzliche Zuwanderung aus anderen Kulturkreisen brauchen".
Ausländerbeirat warnt vor Stammtischparolen
Unterstützung bekam Seehofer unter anderem vom hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU). Der Landesausländerbeirat in Hessen kritisierte daraufhin am Donnerstag: "Wer ohne Not in der derzeit aufgehetzten und emotional geführten Diskussion vor einer Massenzuwanderung vor allem aus der Türkei warnt, verkennt die Realität in Deutschland und nährt Stammtischparolen."
Die niedersächsische Sozialministerin Aygül Özkan (CDU) sagte in einem Interview mit Blick auf die Seehofer-Äußerungen: "Ich teile nicht die Auffassung, dass wir bei der Zuwanderung nach Nationalitäten, Herkunftsländern oder Religionszugehörigkeit trennen können." Im Übrigen brauche die alternde deutsche Gesellschaft "eine sehr gezielte Zuwanderung an Arbeitskräften für bestimmte Branchen und Bereiche". dapd
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