Sensibelchen an der Kanone
Der 25-jährige Stürmer wollte dem FC Bayern zum Saisonbeginn am liebsten den Rücken kehren. Nun gewinnt er als Torschützenkönig die einzige Trophäe für den Klub.
München Wenn alles mit rechten Dingen zugeht, wird Mario Gomez am heutigen Samstagabend die einzige Trophäe in Händen halten, die der FC Bayern in dieser Saison gewonnen hat. Das Modell einer alten Kanone, wie sie im Original auf vielen Schlachtfeldern der Erde Tod und Verwüstung gebracht hat. Die Auszeichnungstammtaus einerZeit, in der Fußball und Sprache noch stark militärisch geprägt waren.
Mario Gomez wird das nicht stören. Der 25-Jährige ist kein Typ, der sich lange den Kopf über etwas zerbricht. Ein Wesenszug, der ihm als Torjäger entgegenkommt. Wer vor dem Kasten lange überlegt, scheitert. Gomez dagegen entscheidet aus dem Bauch heraus.
So hat er es in dieser Bundesliga-Saison bislang auf 27 Tore gebracht. Fünf mehr als der Freiburger Papiss Demba Cissé, weshalb das Rennen um die Trophäe des Torschützenkönigs schon einen Tag vor dem Saisonfinale so gut wie entschieden ist. Aber auch daran mag Gomez nicht denken. Beim Spiel gegen seinen Ex-Klub Stuttgart will er sich keine Gedanken um die Torjägerliste machen, hat er während der Woche gesagt. Gomez: „Was wir brauchen, ist ein Sieg.“ Sollten die Leverkusener in Freiburg mit einer Niederlage straucheln, würden die Münchner mit einem eigenen Sieg dank der besseren Tordifferenz noch auf den zweiten Platz vorrücken und direkt in die Champions League einziehen. Ansonsten steht die Qualifikation an. Der Bundesliga-Dritte muss dann in zwei Play-off-Spielen am 16./17. und 23./24. August mit 32 Mannschaften um den Einzug in die Vorrunde kämpfen.
Sein Weg zum Tor ist selten elegant
Mario Gomez mag denken, was er will: Die Kanone, die der kicker seit 1968 am Ende jeder Spielzeit dem erfolgreichsten Schützen überreicht, wird ihm nicht mehr zu nehmen sein. Sie gehört ihm, auch wenn er noch keine Idee hat, wo er sie zu Hause platziert.
Sein Weg zur Trophäe, die er erstmals gewinnt, ist ein Beispiel für das Auf und Ab selbst vielversprechender Karrieren. 30 Millionen hat der FC Bayern 2009 für den 23-Jährigen nach Stuttgart überwiesen. Es folgte eine holperige Auftaktsaison. Zweifel, ob der Stürmer so viel Geld wert sei, hatte es von Beginn an reichlich gegeben. Das Spiel des 1,90-m-Manns reißt die Zuschauer nicht von den Sitzen. Nur wenn er trifft, feiern sie ihn. Sein Weg zum Tor ist selten elegant, sondern Arbeit und Mühe.
Am Beginn dieser Saison war Gomez nur zentraler Stürmer Nummer drei, hinter Klose und Olic. Louis van Gaal wollte einen ballfertigeren und beweglicheren Akteur in der Angriffsmitte als den eckigen Gomez. Es sei damals nicht gut gelaufen, sagt Gomez, „dann hat der Trainer was verändert – und ich war einer der Leidtragenden“.
Gomez saß auf der Bank. Journalisten ging er aus dem Weg. Am liebsten wäre er damals abgehauen. Auf die Insel, zum FC Liverpool. Die Engländer hätten den Münchner Edelreservisten gerne genommen. Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß aber sagten Nein. Van Gaal sagte nichts. Wer unter ihm nicht trainieren wolle, bitte schön!
Es war van Gaals Bruch mit einem anderen Angreifer, der Gomez Glück brachte. Der unzufriedene Luca Toni hatte im Herbst beim holländischen Trainer ausgespielt, Gomez nutzte die Chance. Er war nun plötzlich wieder jener Spieler, der 2008/2009 für den VfB Stuttgart 24 Mal getroffen hat. Ein wuchtiger, durchsetzungsfähiger Angreifer, mit respektablem Kopfballspiel und ausgezeichnetem Gespür für Strafraumsituationen. Gomez gelang, was ihm vorher in München versagt geblieben war.
Seine Treffer sind keine Kunstwerke. Sein Verhältnis zum Ball aber ist harmonischer geworden. Als Gomez aus Stuttgart kam, sei er „nur ein Torjäger“ gewesen, beschreibt Übergangstrainer Andries Jonker die Entwicklung des Angreifers. Jetzt sei er auch „ballfest. Ein richtig guter Stürmer auf Spitzenniveau.“
Es hat dem 25-Jährigen auch nicht geschadet, dass er vor einigen Wochen die Frisur gewechselt hat, die die Haarband-Kreation durch eine Art Ziegelstein auf dem Kopf ersetzen ließ. Beim 8:1 gegen St. Pauli hat er wieder dreimal getroffen, sein fünfter „Dreierpack“ in dieser Saison, darunter sein 100. Tor im 181. Bundesliga-Spiel. „Eine tolle Quote“, schwärmt nicht nur Bayern-Boss Karl-Heinz Rummenigge.
Journalisten geht Gomez schon lange nicht mehr aus dem Weg, auch wenn es selten tief gründet, was der 25-Jährige über sich und die Welt zu sagen hat. Selbst das Wenige kommt ihm leise und zögerlich über die Lippen. Gomez ist misstrauisch und sensibel. Er hat daran zu kauen, dass ihm in der Nationalmannschaft verwehrt bleibt, was ihm beim FC Bayern gelungen ist. Mag er in der Bundesliga noch so erfolgreich sein – bei Joachim Löw spielt er nur die zweite Geige hinter Miroslav Klose, den er in München abgehängt hat. Aber Klose wird bald 33, Gomez ist 25. Spätestens nach der Europameisterschaft 2012 wird seine Zeit kommen. „Dass er 27 Treffer erzielt hat, spricht nicht nur für seine Torjägerqualitäten, sondern auch für sein Durchsetzungsvermögen. Er hat nie resigniert“, sandte der Bundestrainer dieser Tage schon einmal ein paar Blumen nach München. Heute, gegen seinen Ex-Klub Stuttgart, bekommt er seine Kanone.
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