Tim Wohlgemuth: Mit beiden Beinen fest auf dem Boden
Tim Wohlgemuth hat bei den Panthern einen rasanten Aufstieg hingelegt. Dennoch ist der 20-jährige Angreifer weit davon entfernt, sich darauf etwas einzubilden. Im NR-Interview gibt sich der Youngster nachdenklich und bescheiden. Am Freitag zu Gast in Iserlohn
Er zählt auch in dieser noch jungen DEL-Saison schon wieder zu den positiven Erscheinungen beim ERC Ingolstadt: Tim Wohlgemuth! Trotz der Tatsache, dass der 20-jährige Stürmer erst seine zweite Spielzeit in der Deutschen Eishockey-Liga absolviert, ist er aus dem Panther-Team schon nicht mehr wegzudenken. Wir haben uns vor der Auswärtspartie am Freitag (19.30 Uhr) in Iserlohn mit dem gebürtigen Landsberger unterhalten.
Herr Wohlgemuth, wissen Sie, was Sie mit Ihren derzeitigen Sturmpartnern Kris Foucault und Jerry D’Amigo gemeinsam haben?
Wohlgemuth: (überlegt) Ich denke, dass wir alle eine sehr gute Geschwindigkeit auf’s Eis bekommen und diese auch prima miteinander kombinieren können. Zudem haben wir gerade einen sehr ordentlichen Zug zum gegnerischen Kasten und wissen, worauf es ankommt, um gemeinsam erfolgreich zu sein.
Hinzu kommt, dass Sie mit jeweils vier Treffern das Top-Torjäger-Trio der Panther stellen ...
Wohlgemuth: (lacht) Ja, das stimmt.
Und welche Gemeinsamkeit haben Sie mit Brett Olson?
Wohlgemuth: Puh, keine Ahnung.
Mit „+5“ weisen Olson und Sie die beste interne Plus-/Minus-Bilanz auf. Was bedeuten Ihnen diese beeindruckenden persönlichen Statistiken?
Wohlgemuth: Zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich noch nicht so viel. Wir haben gerade mal elf Partien absolviert. Insgesamt sind es 52 Hauptrunden-Spiele plus Play-offs. Aber natürlich freut es mich auch, dass ich in dieser frühen Phase der Saison schon einen gewissen Erfolg beziehungsweise ersten kleinen Schritt zu einer hoffentlich guten Spielzeit gemacht habe. Mehr ist es allerdings noch nicht.
Wenn Sie einmal auf das Jahr 2018 zurückblicken: Sie sind damals aus Kaufbeuren zum ERC Ingolstadt ohne große Erwartungen gekommen und wollten erst einmal ins DEL-Team langsam hineinschnuppern. Haben sich denn Ihre persönliche Erwartungshaltung und Ansprüche an Sie selbst rund zwölf Monate später verändert?
Wohlgemuth: Ich denke, dass meine eigene Erwartungshaltung, aber auch die von anderen Leuten an meine Person im Vergleich zum vergangenen Jahr extrem gestiegen ist. Wenn ich meinen Status in der Saison 2018/2019 heute reflektiere, muss sich schon sagen, dass wirklich sehr viel passiert ist. Wenn man so will, bin ich vom DEL2- zum Teilzeit-Nationalspieler geworden. In einem solchen Fall sind die Erwartungen natürlich immer größer. Auch sind mir in den Play-offs gegen Köln in sieben Partien drei Tore und ein Assist gelungen. Man hofft daher, dass sich eine solche Ausbeute in der darauffolgenden Saison möglichst fortsetzt. Als ich dann in der Vorbereitung auf diese Spielzeit nicht getroffen und nur zwei Assists zustande gebracht habe, war das für mich nicht ganz einfach. Von dem her fühlt sich das momentan schon recht gut an – auch wenn ich weiß, dass noch viel Arbeit vor mir liegt.
Haben Sie den Eindruck, dass Sie auch bei den Trainern, innerhalb des Teams und den Fans in Ihrer zweiten DEL-Saison nun ein anderes, höheres Standing besitzen?
Wohlgemuth: Das würd ich schon sagen, ja! Ich habe beispielsweise im Schnitt vier bis fünf Minuten mehr Eiszeit als noch im letzten Jahr. Nach meinen Gesprächen mit Doug Shedden (Cheftrainer, Anm. d. Red.) und Tim Regan (Assistenz-Coach) habe ich schon das Gefühl, dass ich mehr Vertrauen und Verantwortung übertragen bekomme. Und ich glaube, dass ich diese Rolle auch recht gut annehme.
Sie haben ihr „Teilzeit-Engagement“ bei der deutschen A-Nationalmannschaft während der WM-Vorbereitung 2019 bereits angesprochen. Wie wichtig war diese Erfahrung im Hinblick auf Ihre sportliche Entwicklung?
Wohlgemuth: Ich habe in diesen Wochen wirklich sehr viel gelernt und mitgenommen. Vor allem die eine Woche, in der die NHL-Spieler wie Leon Draisaitl oder Dominik Kahun dabei waren, war schon richtig cool. Man sieht einfach, was andere Jungs bereits erreicht haben und wie viel Arbeit sie nach wie vor hineinstecken. Aber man sollte jetzt auch die eigene Position beziehungsweise Situation richtig einschätzen und nicht überbewerten. Ich habe damals die Chance einfach bekommen, weil ich in den Play-offs gut gespielt habe und nicht, weil ich während der Hauptrunde groß gescort hätte. Das sollte man schon realistisch sehen.
Trotzdem: Mit Ihren gerade einmal 20 Jahren sind Sie bereits DEL-Stammkraft, Teilzeit-Nationalspieler und stehen seit dem vergangenen Wochenende auch noch im Notizbuch der NHL-Scouts der Vancouver Canucks. Kommen Ihnen dieser rasante Aufstieg sowie die Gegenwart manchmal doch nicht etwas surreal vor?
Wohlgemuth: Das ist eigentlich ganz witzig: Erst heute früh ist mein Nachbar mit dem Auto neben mir hergefahren, hat das Fenster heruntergelassen und mich gefragt, ob ich denn in der nächsten Saison noch in Ingolstadt oder schon in der NHL spielen würde (lacht). Ich habe ihm dann nur gesagt, dass wir wohl mal wieder am besten ganz unten anfangen sollten. Klar, ich habe bislang vier Tore erzielt, zwei davon im letzten Match gegen Berlin und spiele aktuell in einer starken Reihe. Das ist alles schön und gut. Aber ich denke, dass man das Ganze nicht zu hoch hängen sollte. Ich weiß immer noch sehr gut, wer und wo ich bin beziehungsweise woran ich noch arbeiten muss. Vom Potenzial her bin ich derzeit noch ziemlich weit unten.
Wer sich mit Ihnen unterhält, trifft auf einen nachdenklichen jungen Mann, der seine Worte ganz bewusst wählt. Würden Sie sich selbst auch als Menschen bezeichnen, der viel grübelt und sich dadurch möglicherweise zu sehr unter Druck setzt?
Wohlgemuth: In meinen Augen hat es Vor- und Nachteile, wenn man sich gewisse Dinge stetig durch den Kopf gehen lässt. Das Gute bei mir ist, dass ich normal immer weiß, in welcher Situation ich gerade bin. Das kann im positiven oder auch negativen Sinne sein. Ich habe mir beispielsweise während der eishockeyfreien Zeit im Sommer viele Gedanken gemacht. Mir ist dabei bewusst geworden, dass ich jetzt in einer komplett neuen Situation bin, die ich zuvor noch nie hatte. Bei meinen früheren Stationen – sei es im Nachwuchsbereich oder bei den Senioren – habe ich quasi immer eine Altersklasse beziehungsweise Liga „drüber“ gespielt. Als ich nach Kaufbeuren in die DEL2 kam, hieß es zunächst: Der geht runter in die Oberliga! Ähnlich war es im vergangenen Jahr in Ingolstadt. Auf diese Saison bezogen, waren die Erwartungen und Ansprüche an mich deutlich höher. Wenn man sich dann zu viele Gedanken darüber macht, wird es auch nicht einfacher.
ERCI IN KÜRZE
Mit komplettem Kader kann der ERC Ingolstadt am Freitag (19.30 Uhr) bei den Iserlohn Roosters antreten. Wer als Zuschauer auf die Tribüne muss, wollte Trainer Doug Shedden noch nicht verraten. Es werde aber „sicherlich zumindest eine Überraschung geben“.
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