
Nur vielleicht Weltklasse? Bayerns Sané überstrahlt in Mailand alle

Plus Lob an Leroy Sané kommt oft mit einer Einschränkung. Doch beim Champions-League-Sieg des FC Bayern gegen Inter Mailand machte der 26-Jährige den Unterschied – und ist sogar auf Rekordkurs.

Leroy Sané muss damit leben, dass ein Lob an ihm meist unter Vorbehalt steht. Er sei einer der besten Spieler Europas, schwärmte sein Trainer Julian Nagelsmann kürzlich, schob aber eine entscheidende Einschränkung voraus: "Wenn er zu 100 Prozent Bock hat." Auch Bayerns Sportdirektor Hasan Salihamidzic sah seinen Flügelstürmer jüngst zu einem "der Besten Europas und der Welt" heranreifen. Mit einer Bedingung: "Wenn er die Mentalität, die er drinhat, diese Wut, immer zeigt."
Wenn nur das Wörtchen "wenn" nicht wär'.
Am Mittwochabend gab es 90 Minuten lang keine Wenns. Es gab keine Abers. Mit einem 2:0 bei Inter Mailand hatte der FC Bayern München den 19. Auftaktsieg in der Champions League in Folge geholt, Rekord. Und der überragende Mann war: Leroy Sané. Die italienische Sportzeitung Corriere dello Sport schrieb von "Sanés Meisterstück". Die Uefa überreichte dem 26-Jährigen die Trophäe für den besten Mann des Spiels. Verteidigerkollege Matthijs de Ligt posaunte: "Er war heute der Wahnsinn. Das Tor ist natürlich unglaublich."
Beim 1:0 wirkt Sané, als hätte er Kleber am ganzen Körper
Das Tor: 25. Minute, der Beginn der Sané-Show, eine technische Meisterleistung. Im Flutlicht des altehrwürdigen Mailänder San-Siro-Stadions chippte Joshua Kimmich einen Ball von der Mittellinie in die Tiefe zu Sané. Der fixierte den hohen Pass erst mit der Schuhspitze, dann mit der Brust, als hätte er Kleber am ganzen Körper, zog nach rechts um den stolpernden Inter-Keeper Andre Onana herum – und schob zum 1:0 ein.
Scheinbar war in der Kabine der Italiener genau vor solchen Situationen gewarnt worden. Schließlich gab Robin Gosens, der deutsche Außenverteidiger in Mailänder Diensten, zu: "Eigentlich hatten wir genau besprochen, dass das nicht passieren darf, weil wir wissen, dass die Bayern diese tiefen Läufe sehr gerne machen."
Sané konnte an diesem Abend aber nicht nur tiefe Läufe, sondern auch explosive Vorstöße an der Strafraumgrenze, so wie in der 66. Minute, ein Doppel-Doppelpass mit Kingsley Coman. Und dass Sané danach wohl noch mal querlegen wollte auf Sadio Mané, dass der folgende Treffer in seiner persönlichen Statistik nie auftauchen wird, weil Inter-Kapitän Danilo D’Ambrosio nur noch ins eigene Tor klären konnte – egal – das 2:0 war hauptsächlich sein Verdienst.
Phlegmatisch, zuweilen lauffaul: Dem Nationalspieler eilt ein Ruf voraus
Der launische Nationalstürmer – bekannt dafür, mitunter phlegmatisch über den Platz zu trotten und nicht jeden notwendigen Sprint durchzuziehen – repräsentierte an diesem Abend genau das, wofür ihn Bayerns Bosse im Sommer 2020 von Manchester City geholt hatten: einen Unterschiedsspieler. Je wichtiger das Duell, desto höher Sanés Form. Das zeigt sich auch nach dieser Sommerpause wieder. Sein Start in die Bundesliga-Saison mag holprig gewesen sein, in der Königsklasse aber jagt er Rekorde: In 19 Partien gelangten Sané dort bereits zehn Treffer – eine Marke, die in der Geschichte des FCB nur die Legenden-Stürmer Roy Makaay und Robert Lewandowski schneller rissen. Seit der vergangenen Champions-League-Spielzeit weisen nur Karim Benzema und, natürlich, Lewandowski mehr Torbeteiligungen auf als Bayerns Linksflügel.
Ein Weltstar soll er noch werden, ein großer Redner wird er wohl nie sein. Die beeindruckenden Zahlen kommentierte Sané eher emotionslos: "Diese Statistik ist mir eigentlich relativ egal. Ich möchte einfach ein gutes Spiel abliefern, ein gutes Gefühl haben und froh vom Platz gehen."
Eher frustriert beendete am Mittwoch Sanés Sturmpartner Mané seinen Arbeitstag. Der Neuzugang aus Liverpool, das zur selben Zeit mit 1:4 in Neapel unterging, setzte bei seinem Europa-Debüt für die Bayern zwar immer wieder seine Nebenmänner in Szene. Ein eigener Torschuss aber sprang erst in der zweiten Hälfte heraus. Kurz vor Schluss wechselte Nagelsmann seinen finster dreinblickenden Angreifer aus.
Während Mané enttäuscht, feiert Lewandowski in Barcelona. Nächste Woche kommt es zum Wiedersehen.
Zur selben Zeit, knapp 720 Kilometer weiter südwestlich, hatte ein alter Bekannter unterdessen schon lange einen Dreierpack bejubeln dürfen. Zwei Treffer mit rechts, ein Kopfball ins Netz, Zehntausende huldigten im Stadion des FC Barcelona ihrem "Leeeewandowski". Auch bei seinem neuen Verein zeigt der Pole, dass er zur absoluten Weltspitze zählt. Mit 34 Jahren. Launen, Torflauten – Fremdworte für den siebenfachen Bundesliga-Torschützenkönig. Beim weitgehend ungefährdeten 5:1 gegen den Außenseiter Viktoria Pilsen überstrahlte Lewandowski alle.
Und schon am nächsten Dienstag kommt es zum Showdown der Gruppe C: Barcelona bei Bayern, Lewandowski in München. Millionen werden auf die Rückkehr des abtrünnigen Helden blicken. Doch der bleibt nüchtern, gibt nur einen Warnschuss ab: "Es wird sehr schwer, aber wir sind bereit." Auch Bayern-Trainer Julian Nagelsmann fühlt sich gewappnet. Er freue sich auf "den Robert", sagt er: "Nicht zwingend als Gegenspieler, aber als Mensch. Für Robert brauchen wir keine große Analyse, denn er spielt bei Barcelona ähnlich wie bei uns."
Die wichtigere Frage für die Bayern bleibt ohnehin: Wie wird Leroy Sané spielen? Lustvoll wie in Mailand? Lasch wie in Frankfurt? "Er soll einfach so weitermachen", sagt Sportvorstand Salihamidzic nach dem 2:0 bei Inter. Und dann kommt es doch wieder, dieses Wenn: "Wenn er Lust hat und seine Qualitäten auf den Platz bringt, kann er einer der besten Spieler in Europa werden." Die Wertschätzung von Leroy Sané, sie beruht weiterhin auf Konditionalsätzen.
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