Am Anfang war Napoleon - oder doch nicht?
Glamouröser wäre es gewesen, hätte sich Napoleon am 18. Mai 1810 höchstselbst an die Donau gestellt und gesprochen: Hier soll zukünftig die Grenze verlaufen. Leider weilte der große Feldherr zu dieser Zeit in Frankreich, wo an diesem Tag der Pariser Vertrag unterzeichnet wurde: Ulm links der Donau wurde Württemberg zugeschlagen, die rechte Seite des Flusses blieb beim Königreich Bayern.
Dieses Jahr jährt sich dieses besondere Datum zum 200. Mal - und damit in mancher Hinsicht auch die Geburtsstunde von Neu-Ulm. Und doch tut sich die kleine Schwester Ulms schwer mit diesem Jubiläum. Richtig gefeiert werden soll trotz Napoleon erst im kommenden Jahr. Am 7. April 1811 kam die Genehmigung aus München, aus den von Ulm abgetrennten, nun bayerischen Häusern und Höfen eine eigene Landgemeinde zu formen. Noch ein paar Monate vorher, im Oktober 1810, hatte laut Stadtarchivarin Janet Loos König Max I. Joseph seine Zustimmung versagt. "Wir betrachten die Gründung der Gemeinde als Vorstufe der Stadt", sagt Pressesprecherin Sandra Kohnle.
Stadthistoriker sieht 1810 als den bedeutenderen Einschnitt
Einige, wie der Neu-Ulmer Hobby-Stadthistoriker und SPD-Stadtrat Ulrich Seitz aus Gerlenhofen, pflegen eine andere Lesart. "Der eigentliche Einschnitt ist 1810", betont Seitz. 1811 sei gewissermaßen nur ein Verwaltungsakt. Die Grenzziehung durch den Pariser Vertrag bilde den "geschichtlichen Auslöser" Neu-Ulms, alle weiteren Ereignisse seien nachgeordnet. "Die Strahlkraft von 1810 ist eine ganz andere." Doch an der Stadtspitze habe man sich anders entschlossen.
Versucht hat es Seitz. Bereits 2005 wies er Oberbürgermeister Gerold Noerenberg in einem Antrag auf das herannahende Jubiläum hin, 2008 tat es ihm 3. Bürgermeisterin Christa Wanke gleich, die das "historisch bedeutsame Ereignis" gemeinsam mit den Ulmer Nachbarn feiern wollte. Doch daraus wurde nichts - laut Seitz auch wegen der Befürchtung, dass die (seit 1810) württembergischen Nachbarn es für unangebracht halten würden, wenn Neu-Ulm begeistert die Loslösung von Ulm feiern würde. Auf der anderen Donauseite halten manche diesen Tag noch immer für einen Unglückstag - wurde doch die stolze Stadt damals für immer gespalten.
Historische Aufarbeitung statt Freudenfest
Entsprechend halten sich die Akteure auf beiden Seiten der Donau mit dem Feiern zurück. In Ulm erinnert ab 21. März die Wanderausstellung "Der Weg in die Moderne" im Stadthaus an die Geschichte Ulms und Oberschwabens von 1810 bis 1910, in Neu-Ulm beleuchtet am 10. Juni Prof. Marita Krauss aus Augsburg im Edwin-Scharff-Haus die Grenzziehung aus landesgeschichtlicher Perspektive. Wenn es nach der Archivarin geht, die einzig richtige: "Der Pariser Vertrag hat mit der Stadt nichts zu tun", sagt Loos. "Das ist ein Landesthema." Und auch aus dieser Sicht gebe es nichts zu feiern - schließlich habe Bayern 1810 große Gebiete verloren.
2010 fällt als Jubeljahr also aus. Dafür soll 2011 rechts der Donau unter dem Titel "200 Jahre Neu-Ulm" stehen. Im Mai soll dann ein Festwochenende mit Bürgerfest und offiziellem Empfang stattfinden, dazu soll eine dreimonatige Ausstellung an die Entwicklung der jungen Donaustadt erinnern. Mit der Entscheidung für 2011 folgt die heutige Stadtspitze der Einschätzung früherer Stadtoberer. Auf einer 1954 im Rathaus angebrachten Erinnerungstafel wird 1811 als Gründungsjahr von Neu-Ulm angegeben. Es steht in Marmor gemeißelt.
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