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Weltraumschrott: Wie wahrscheinlich ist ein Einschlag?

Interview

So schaut Europa auf die Gefahr im All – und die Chancen

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    Großes Problem im All: grafische Darstellung von Weltraumschrott, der um die Erde kreist.
    Großes Problem im All: grafische Darstellung von Weltraumschrott, der um die Erde kreist. Foto: Esa, dpa

    Herr Aschbacher, im All befinden sich Tausende von Satelliten. Was wollen auf einmal alle im Orbit, und neuerdings auch wieder auf dem Mond?

    Josef Aschbacher: Es passiert momentan sehr viel. Mit dem großen "Space Race", dem Wettlauf ins All in den 1960er-Jahren, und der Apollo-Mondmission gab es eine Renaissance des Weltraums. Der Enthusiasmus führte in den 60ern und 70ern direkt dazu, dass gerade in den USA sehr viele Menschen wissenschaftliche Fächer studiert und sich für Weltraum und Raumfahrt begeistert haben. In den 80er- und 90er-Jahren ist es diesbezüglich wieder ruhiger geworden, auch wenn es immer noch viel Forschung und viel Arbeit im All gab. Mit dem Shuttle-Unglück der Columbia 2003 verloren dann die USA für die eigenen Astronauten den Zugang ins All. 

    Welche Folgen hatte das?

    Aschbacher: In der Folge verlor der Weltraum erst mal die Priorität, die er bis dahin genossen hatte. Zumindest für die Grundlagenforschung. Die Anwendungen auf der Oberfläche wie Navigation, Telekommunikation und Erdbeobachtung – alles essenzielle Infrastruktur – wurden fortgeführt, aber die Exploration verzeichnete einen Einbruch. Die USA haben sich damals fast zehn Jahre auf Russland verlassen, um die Astronauten mit russischen Sojus-Raketen ins All zu bringen.

    Und heute?

    Aschbacher: Heute hat sich die Nasa neu aufgestellt und tritt als Agentur auf, die eine Dienstleistung kauft und nicht mehr notgedrungen die Rakete von Beginn bis zum Ende selbst entwickelt. Dieser Wettbewerb führte auch zu SpaceX, das Unternehmen von Elon Musk, das derzeit mit seiner Falcon-9-Rakete mit Abstand die meisten Starts durchführt. Auch unsere eigenen Esa-Astronauten fliegen heute mit dessen Falcon 9 und der Dragon-Kapsel zur Internationalen Raumstation ISS. Das heißt, wir sprechen von nichts weniger als einem Paradigmenwechsel, wie Weltraumtechnologie entwickelt und getragen wird durch die Kommerzialisierung. Wir bei der Esa haben etwa ein Viertel des Budgets der Nasa zur Verfügung, stellen aber die gleichen Überlegungen an.

    Welche genau?

    Aschbacher: Wir wollen die private Industrie mehr in den Vordergrund bringen und deren Innovationskraft nutzen. Auch wir treten hier, genau wie die Nasa, als europäische Weltraumagentur auf und kaufen vermehrt eine Dienstleistung ein – anstatt von Anfang bis Ende die Entwicklung selbst durchzuführen.

    Josef Aschbacher ist seit März 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation Esa.
    Josef Aschbacher ist seit März 2021 Generaldirektor der Europäischen Weltraumorganisation Esa. Foto: Julian Reischl

    Sie bringen dennoch bald ihre neue eigene Rakete an den Start.

    Aschbacher: Über die Ariane 6 wurde 2014 entschieden, also vor zehn Jahren. Wir haben sie jetzt fertig entwickelt und sie wird bald starten. Die Ariane wird eine ganz wichtige Rakete sein, um unseren eigenen garantierten europäischen Zugang zum Weltraum zu gewährleisten. Aber parallel dazu haben wir die "European Launcher Challenge" begonnen, bei der die Mitgliedsländer entschieden haben, eine neue Generation von kleinen Raketen zu fördern, indem sich die Esa als Ankerkunde des besten Produktes engagiert. Am Anfang werden das Microlauncher sein, die kleinere Satelliten von vielleicht einigen hundert Kilo in den Weltraum bringen können.

    Microlauncher, das sind vergleichsweise kleine Raketen, um kleine Lasten ins All zu bringen. Wie wird es dann weitergehen?

    Aschbacher: Wir wollen diese Entwicklung fördern, damit sich hieraus eine neue Schwerlastrakete entwickeln kann, die dann eines Tages die Ariane 6 ablöst. Wir sprechen hier von ungefähr zehn Tonnen Nutzlast, die in den erdnahen Orbit eingebracht werden sollen, also etwa 800 Kilometer über uns. Für einen geostationären Orbit in 36.000 Kilometern Höhe ist die Nutzlast geringer. In Europa gibt es einige Microlauncher: Deutschland hat drei, die in der Entwicklung sind. In Frankreich, in Spanien, im Vereinigten Königreich wird auch an Microlaunchern gearbeitet. Wir erwarten den ersten Start eines Microlaunchers schon dieses Jahr, zumindest basierend auf den Aussagen der Hersteller. Welche von ihnen es letztlich schaffen werden, bestimmt der Wettbewerb, also die Innovation und die technologische Reife. Mittelfristig wird aber auch der Preis für den Kunden für den Erfolg ausschlaggebend sein.

    Nach dem Absturz eines ausgedienten Batterieblocks der Raumstation ISS in den Atlantik wird wieder verstärkt über Weltraumschrott diskutiert. Wie gefährlich ist er?

    Aschbacher: Die Wahrscheinlichkeit, dass Teile von Weltraumschrott nicht vollends verglühen und dann auch noch auf bewohntem Gebiet einschlagen, ist verschwindend gering. Aber die Diskussion ist gerechtfertigt: Wie gehen wir mit dem Thema Weltraumschrott um?

    Was schlagen Sie vor?

    Aschbacher: Wir haben heute etwa 9000 aktive Satelliten im Weltraum. 6000 davon gehören übrigens Elon Musk, sie sind Teil seiner Starlink-Konstellation. Und die Anzahl der Satelliten nimmt stetig zu. Wir werden Ende der Dekade an die 60.000 bis 80.000 Satelliten im Weltraum haben, zumindest nach aktuellen Plänen. Man muss also das bestehende "Space-Traffic-Management-System" ausbauen, um die Position jedes Satelliten zu kennen und um Kollisionen verhindern zu können. Notfalls muss einer ausweichen.

    Wie handhaben Sie das in der Praxis?

    Aschbacher: Wir alle kontaktieren uns gegenseitig, es ist ja im Interesse aller, dass es keine Kollisionen im Orbit gibt. Meist muss ein Satellit einfach nur angehoben werden, um den anderen darunter durchfliegen zu lassen. Das ist Usus, und das funktioniert ja auch international.

    Was muss künftig noch getan werden?

    Aschbacher: Wenn die Satelliten am Ende der Laufzeit sind, muss man sie aus dem Weltraum wieder herausbringen. Die Vereinigten Staaten haben gerade die Richtlinie herausgegeben, dass ein Satellit nach Ende der Laufzeit nicht mehr nach 25 Jahren, sondern nach fünf Jahren aus dem Orbit genommen werden muss, und wir haben die gleichen Richtlinien in Europa. Wir wollen auch im Weltraum ganz besonders nachhaltig agieren. Derzeit entwickeln wir bei der Esa eine sogenannte Zero-Debris-Charta, die dazu führen soll, dass die Teilnehmerländer ihre Satelliten am Ende ihrer Zeit aktiv aus der Umlaufbahn nehmen, also per Triebwerk, Sonnensegel oder mit einer anderen Technologie bremsen und so kontrolliert zum Eindringen in die Erdatmosphäre bringen. Dabei sollen sie komplett verglühen, und dafür müssen sie vorher schon entsprechend konstruiert werden.

    Wie ist das eigentlich mit dem Umweltschutz? Da sind doch sicher einige Chemikalien im Spiel, die nicht in die Atmosphäre gelangen sollten...

    Aschbacher: Das klingt oft dramatischer, als es ist. Natürlich, jede Rakete, jedes Flugzeug, jedes Auto verschmutzt irgendwie unsere Umwelt. Das ist etwas, was wir minimieren müssen. Zum einen arbeiten wir an umweltfreundlichen Treibstoffen. Zum anderen muss man auch in Relation bringen, welchen Nutzen die Satelliten bringen: Satelliten messen die Atmosphäre, die Polargebiete, die Meeres- und Landoberflächen in entferntesten Gebieten flächendeckend und global mit den feinsten Instrumenten. Etwa 70 bis 80 Prozent aller kritischen Daten für die Wettervorhersage, aber auch die Klimavorhersage, kommen von Satelliten.

    Man kann ja auch die Temperatur der Luft in verschiedenen Höhen messen.

    Aschbacher: Ja, Erdbeobachtung ist sogar ein Spezialgebiet von mir. Es gibt heute etwas mehr als 50 Parameter, die für die Berechnung des globalen Klimas erhoben werden. Etwa die Hälfte davon kann man entweder nur oder viel besser mit Satelliten messen. Die Beobachtungen aus dem All haben wirklich sehr viele Anwendungen für die Bürger im täglichen Leben.

    Haben Sie weitere Beispiele?

    Aschbacher: Auch in der Landwirtschaft verwendet man Satelliten. Man kann messen, wie viel Wasser oder Dünger gebraucht wird. So kann man die Umweltbelastung minimieren und die Landwirtschaft nachhaltiger machen. Auch für die Erntevorhersage werden Satelliten verwendet. Man kann global abschätzen, wo es Probleme mit der landwirtschaftlichen Produktion gibt oder gar eine Hungersnot anstehen könnte. Vielleicht nicht gerade in Bayern, aber zum Beispiel in Osteuropa oder in Afrika. Man kann messen, was in verschiedenen Gegenden Afrikas an landwirtschaftlicher Produktion möglich ist.

    Und wie lässt sich dieses Wissen einsetzen?

    Aschbacher: Langfristig kann man so zum Beispiel Migrationsbewegungen minimieren. Denn gesicherte landwirtschaftliche Produktion ist notwendig für die Bevölkerung. Der Zustand von Wasserreservoiren, und wo Dürre droht, beeinflusst auch Konflikte und Kriege. Es ist wirklich nicht zu unterschätzen, wie wichtig solche Informationen sind, auch für die Planung und für humanitäre Einsätze zum Beispiel der Uno oder der EU. Andere Anwendungsbereiche von Satelliten sind in der Schifffahrt, der Luftfahrt, dem Straßenverkehr und überall, wo Navigation tagtäglich verwendet wird.

    Kann man denn auch in den Boden hineinschauen, zum Beispiel, um mehr über das Grundwasser zu erfahren?

    Aschbacher: Es gibt verschiedene Technologien, die so etwas erlauben, zum Beispiel Wasservorkommen unterirdisch zu messen oder deren Änderung zu beobachten. Mit der Gravimetrie kann man vom Satelliten aus große Änderungen der Gravitation messen, also Änderungen der Massenverhältnisse, zum Beispiel bei Wasserentnahme aus dem Grundwasser. Hier ist übrigens Deutschland führend, der Satellit Grace Follow-On führt genau diese Messungen durch.

    Könnte man mit dieser Technologie auch Erdbeben und Vulkanausbrüche vorhersagen?

    Aschbacher: Das ist etwas weit gegriffen, aber man forscht in diese Richtung. Hier gibt es neue Konzepte, zum Beispiel wird "Quantum Sensing", also Messungen mit Hilfe der Quantenphysik, die Genauigkeit der Messungen noch mal um ein Vielfaches verfeinern und Bewegungen der Erdoberfläche schon im Millimeterbereich erkennen.

    Auch der Mond ist wieder stark im Fokus: Was wollen wir auf einmal wieder dort?

    Aschbacher: Der Mond ist ein ganz wichtiges Element, um die Erde besser zu verstehen. Man vermutet ja, dass der Mond einst durch eine massive Kollision aus der Erdkruste herausgebrochen wurde. Das heißt, was man auf dem Mond findet, kann Rückschlüsse auch auf die Erde zulassen. Der Mond ist außerdem ein guter Außenposten für Messungen, für verschiedene wissenschaftliche Experimente und Beobachtungen. Man vergleicht manchmal den Mond auch mit entlegenen Messstationen auf der Erde wie zum Beispiel in der Antarktis.

    Warum sind diese Gebiete für Messungen so bedeutend?

    Aschbacher: In solch unberührten Gebieten kann man auf die unverfälschte Klimageschichte der Erde zugreifen, in der Antarktis zum Beispiel auf Eisbohrkerne. Die Polargebiete reagieren besonders empfindlich auf den Klimawandel. Auch der Mond kann als Basis für Forschung dienen: In Amerika und China gibt es bereits ganz konkrete Pläne, wie das Eis vom Südpol des Mondes verwendet werden könnte für Wasserstoff als Treibstoff für Arbeiten, die dann durchgeführt werden können, um dort auch Infrastruktur aufzubauen. Das wird sehr wahrscheinlich in den nächsten Dekaden passieren.

    Erst in den nächsten Jahrzehnten?

    Aschbacher: Wir sind ja ganz am Anfang dieser Exploration, aber in einigen Dekaden wird es dort auch eine Wirtschaft geben, die vielleicht Bodenschätze abbaut, um daraus dann Startrampen zu konstruieren, von denen man zum Mars weiterfliegen kann. Das ist vom Mond aus wegen der weit geringeren Schwerkraft natürlich sinnvoller als direkt von der Erde aus. Die Frage für uns ist, wie sich Europa hier positionieren wird.

    Und Sie planen derart weit in die Zukunft?

    Aschbacher: Ich schreibe gerade gemeinsam mit meinen 22 Esa-Mitgliedsländern eine Strategie für 2040, also wirklich für die Zukunft. Etwas, das sich sehr klar herauskristallisiert, ist, dass der Weltraum in der Zukunft noch viel wichtiger wird für das tägliche Leben der Menschen auf der Erde.

    Inwiefern?

    Aschbacher: Zum einen natürlich für die Nutzung der Navigation, Telekommunikation, Beobachtung im täglichen Bereich, aber auch für die Forschung. Und ich erwarte, dass der Weltraum noch viel stärker integriert wird in Wirtschaftszweige, von denen wir das heute noch gar nicht annehmen. Manchmal vergleiche ich den Weltraum auch mit dem Internet vor 20 Jahren, was ja auch sehr exotisch geklungen hatte, was aber heute keine Frage mehr ist. Der Weltraum wird in Zukunft auch so eine Rolle spielen, ein essenzielles Element des täglichen Lebens sein und dadurch auch noch ein Innovations- und Wirtschaftsfaktor, eine unumgängliche Infrastruktur, auf die man sich verlassen können muss.

    Zur Person: Josef Aschbacher, geboren 1962 in Ellmau in Tirol, studierte Meteorologie und Geophysik. Er begann 1990 als Trainee bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa; seit 2021 ist er deren Generaldirektor. Die Esa besteht seit 1975 und koordiniert die Raumfahrt von 22 europäischen Staaten. Es bestehen Kooperationen mit anderen Raumfahrtorganisationen wie der Nasa.

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