Merkel: Ich rechne mit einer deutlichen Mehrheit
Kanzlerin Angela Merkel spricht in einem Interview mit unserer Zeitung über mögliche Koalitionen, Steuerentlastungen und das Abendessen mit Deutsche-Bank-Chef Ackermann.
Berlin. Vor den drei Landtagswahlen im Saarland, in Sachsen und Thüringen am Sonntag stellte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) den Fragen unserer Zeitung.
Frau Merkel, hätten Sie je gedacht, dass Ihr Abendessen für Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann im Kanzleramt für so viel Furore sorgen würde?
Merkel: Hier sind Fragen gestellt worden, die wir dem Parlament gegenüber offen beantwortet haben. Es gab ein Abendessen mit Vertretern von Politik, Wirtschaft, Bildung und Kultur, die ich gerne für eine Diskussion zusammenführen wollte.
Dahinter steckt die Frage, was Politiker überhaupt dürfen und was nicht. Fühlen Sie sich einem extremen Beobachtungs- und Rechtfertigungsdruck ausgesetzt?
Merkel: Nein, das ist Teil des Amtes. Das öffentliche Interesse an meinem beruflichen Leben ist groß. Es gehört zur Demokratie, dass kontrolliert und nachgefragt wird. Für meine Arbeit als Bundeskanzlerin ist es wichtig, dass ich mich mit Vertretern der unterschiedlichsten Bereiche treffe, über die Verbände hinaus. Das habe ich von Anfang an gemacht mit ehrenamtlich Tätigen, mit Unternehmern, Betriebsräten, auch mit Schauspielern, Schriftstellern oder Künstlern.
Am morgigen Sonntag stehen Landtagswahlen in drei Bundesländern an. Befürchten Sie, dass die CDU einen starken Dämpfer bekommt und mit Gegenwind in den Bundestagswahlkampf ziehen muss?
Merkel: Das sind keine Testwahlen für die Bundestagswahl. Jede Wahl in jedem Land hat ihren eigenen Charakter, das werden die Ergebnisse zeigen. Bei den Landtagswahlen vor fünf Jahren hatten wir im Übrigen eine Ausnahmesituation, denn da war die Wut auf Rot-Grün in Berlin groß, das hat uns damals begünstigt. Dennoch sehe ich dem Ausgang der Wahlen optimistisch entgegen. Wir wollen überall klar stärkste Kraft bleiben und dann sehen wir weiter.
Die SPD schließt rot-rote Bündnisse in den Ländern nicht aus. Wird das den Wahlkampf der Union befeuern?
Merkel: Wir haben bereits bei der Wahl des Bundespräsidenten im Mai gesehen, dass die SPD nicht gezögert hat, mit den Linken gemeinsam zu versuchen, einen beliebten Bundespräsidenten abzuwählen. Nun hören wir aus den Ländern, dass die SPD eine Trendwende in rot-roten Bündnissen sucht. Man sieht an den Bundesrats-Entscheidungen des rot-rot regierten Landes Berlin, wie ein Land bei grundlegenden Entscheidungen jeden Einfluss verliert, weil es sich auf Druck der Linkspartei enthalten muss. Insgesamt zeigt sich, dass es nur mit der Union klare und stabile Verhältnisse in Deutschland geben kann.
Ein ideales Wahlkampfthema für die Union.
Merkel: Ich glaube, dass in diesem Wahlkampf konstruktive Angebote an die Bürger entscheidend sind: Wie kommen wir aus der Krise heraus? Wie entstehen neue Arbeitsplätze? Wie schaffen wir Wachstum? Wer glaubt, nur gegen etwas Wahlkampf führen zu können, wird scheitern. Die Menschen erwarten ein positives, konstruktives Angebot für die nächsten vier Jahre. Um das umzusetzen, brauchen wir stabile politische Verhältnisse, die es mit einer starken Union in einer Regierung mit der FDP geben wird. Deshalb werben wir für eine Koalition mit der FDP.
Wirklich? Wenn man am 27. September CDU wählt, weiß man doch gar nicht, was man bekommt: Schwarz-Gelb? Große Koalition? Oder gar Jamaika?
Merkel: Wenn es mit der FDP zu einer Mehrheit reicht, gehen wir eine Koalition mit der FDP ein. Das haben wir gesagt und auch bei einer Stimme Mehrheit werden wir das so machen. Ich rechne aber mit einer deutlichen Mehrheit für Union und FDP.
Und warum streiten sich Union und FDP dann so offen?
Merkel: Man darf einen einzelnen Schlagabtausch nicht überbewerten. Natürlich sind wir unterschiedliche Parteien mit jeweils eigenen Positionen wie in der Innen- und Rechtspolitik. Die dürfen in einem Wahlkampf auch benannt werden. Dennoch bin ich davon überzeugt, dass wir mit der FDP die größten inhaltlichen Gemeinsamkeiten haben. Auf dieser Grundlage kommt Deutschland am schnellsten aus der Wirtschaftskrise heraus. Für mich geht es darum, die Union so stark wie möglich zu machen. Wer sichergehen will, dass alle unklaren Koalitionsmöglichkeiten ausgeschlossen werden und ich meine Arbeit als Bundeskanzlerin fortsetzen kann, wählt am besten CDU/CSU.
Was möchten Sie denn mit der FDP? Lockerung des Kündigungsschutzes, Abschaffung des Gesundheitsfonds, Steuerreform?
Merkel: Wir führen vor der Wahl keine Koalitionsverhandlungen, aber klar ist, dass der Kündigungsschutz nicht verändert wird. Wir sind uns einig, dass wir in einer schwierigen Haushaltslage steuerliche Entlastungen brauchen, um mit neuem Wachstum Arbeit zu schaffen. Wir wollen uns dabei auf die Verringerung der kalten Progression konzentrieren. Damit entlasten wir die breite Mehrheit der Arbeitnehmer, unserer Leistungsträger, bei Überstunden oder Lohnerhöhungen und schaffen zusätzliche Motivation in der Krise.
Wann wollen Sie das tun? Es gibt immer den Vorbehalt, erst müsse die Wirtschaft wieder wachsen, bevor man die Steuern senken kann. Wann werden die Bürger steuerlich entlastet?
Merkel: Ganz konkret am 1. Januar 2010. Da wird es einen großen steuerlichen Schritt geben durch die verbesserte Absetzbarkeit der Krankenkassenbeiträge. Das sind rund zehn Milliarden Euro Entlastung. Wir werden danach in jedem Fall zwei maßvolle weitere Schritte gehen im Laufe der Legislaturperiode, wie wir das in unserem Regierungsprogramm festgelegt haben.
Auch wenn dadurch die Verschuldung weiter steigt?
Merkel: Solide Finanzen sind für mich nach wie vor ein wichtiges politisches Ziel und ein Gebot der Generationengerechtigkeit. Ich bin davon überzeugt, dass wir die Schulden am schnellsten abbauen können, wenn wir kräftige Wachstumsimpulse setzen. Sparen in der Krise ist am Ende teurer für das Land, weil wir dadurch länger in der Talsohle verharren. Wachstum schafft Arbeit und Arbeit sorgt für Mehreinnahmen.
Es gibt ein Raunen und Rauschen über die Mehrwertsteuer.
Merkel: Bei mir nicht. Und das zählt.
Können Sie eine Mehrwertsteuererhöhung ausschließen?
Merkel: In der nächsten Legislaturperiode wird die Mehrwertsteuer nicht erhöht und auch nicht der reduzierte Satz verändert.
Die Mehreinnahmen könnten Sie doch dringend brauchen?
Merkel: Das war 2005 notwendig. In der gegenwärtigen wirtschaftlichen Phase einer internationalen Krise wäre es grundfalsch, etwas zu tun, was den Binnenkonsum in irgendeiner Weise gefährdet. Das könnte zu massiven Einbrüchen führen, die sich kontraproduktiv auswirken auf die Gesamtstabilität unseres Systems.
Schließen Sie eine Pkw-Maut aus?
Merkel: Ja. Insgesamt würde das zu einer Verzerrung der Belastung der Autofahrer führen.
Wie wollen Sie bis 2013 den Haushalt konsolidieren, wenn Sie auf der Einnahmen-Seite alles ausschließen?
Merkel: Durch Wachstum und neue Jobs. Dann erreichen wir am schnellsten wieder das Niveau vor der Krise, als wir die Schuldenaufnahme senken und Rücklagen in den Sozialkassen aufbauen konnten.
Ist dies das Prinzip Hoffnung?
Merkel: Nein, das ist Politik mit einer klaren Linie.
Wie wollen Sie das schaffen? Ihr Herausforderer Frank-Walter Steinmeier hat angekündigt, bis 2020 vier Millionen neue Jobs schaffen zu wollen. Sie kritisieren das als unrealistisch, versprechen aber gleichzeitig Arbeit für alle.
Merkel: Wir haben, wie alle ernst zu nehmenden Parteien, also Union, SPD, FDP und Grüne, das Ziel und den Anspruch Arbeit für alle formuliert. Ich habe mir aber vorgenommen, mit Zahlenspekulationen erst gar nicht anzufangen, um den Menschen Enttäuschungen zu ersparen, sondern Resultate zu liefern. Helmut Kohl hatte die Halbierung der Arbeitslosen versprochen, Gerhard Schröder eine Senkung auf unter 3,5 Millionen. Beide haben das nicht erreicht. Wir haben auf Festlegungen verzichtet und dennoch die Zahl von über fünf Millionen 2005 auf unter drei Millionen 2008 gesenkt. Es gibt enorme Beschäftigungspotenziale, die es zu erschließen gilt, wie in der Umwelttechnik oder dem Pflege- und Gesundheitsbereich.
Das sagt Herr Steinmeier auch.
Merkel: Richtig, und der Unterschied liegt darin, wie Politik das Umfeld schafft, in dem neue Arbeitsplätze entstehen. Wir sind für Bürokratieabbau, ein forschungsfreundliches Klima, eine Korrektur der Unternehmenssteuerreform und Wachstumsstrategien. Vieles habe ich mit der SPD verhandelt. Manches haben wir auch erreicht, aber es war auch immer wieder zäh, es hätte immer etwas dynamischer gehen können. Für uns steht die Verringerung der kalten Progression ganz oben, damit die, die in unserem Land den Karren ziehen, nicht demotiviert werden. Diese Unterschiede zwischen Union und SPD sind nicht marginal, sondern belegen in ihrer Systematik und Summe die unterschiedlichen Angebote von Union und SPD insgesamt.
Das Interview führte Martin Ferber
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