Die Grünen an Merkels Seite
Die Partei, die seit ihrer Gründung für den sofortigen Atomausstieg kämpft, schließt sich der Kanzlerin an, die bis 2022 auf die Kernkraft verzichten will. Um die Entscheidung wurde auf dem Parteitag in Berlin heftig gerungen
Berlin Thomas Feller und seine Mitstreiter aus Gundremmingen hat es nicht zu Hause gehalten. Die Grünen debattieren in Berlin über den Atomausstieg, da wollen auch die Aktivisten vom Forum „Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik“ aus dem Landkreis Günzburg dabei sein und ihre Stimme erheben. Nun stehen sie am Samstagmorgen vor der Halle 20 des Berliner Messegeländes unterm Funkturm und haben auf ein Plakat ein großes schwarzes Kernkraftwerk gemalt, an dem jeder Delegierte vorbeigehen muss. „Keine Laufzeitverlängerung für Gundremmingen“ steht darauf, und: „Schwarz-Gelb macht nur Müll – Grüne bitte nicht auch noch“.
Für Thomas Feller ist die Sache klar: Niemals sollten die Grünen im Bundestag dem Gesetzentwurf der schwarz-gelben Bundesregierung zum Atomausstieg zustimmen, der ein Abschalten der letzten Meiler im Jahre 2022 vorsieht und dafür sorgt, dass die beiden Siedewasserreaktoren an der Donau, die baugleich mit Fukushima seien, noch bis 2017 und 2021 laufen. „Wir müssen so schnell wie möglich raus aus der Atomkraft“, fordert er, „je länger die Dinger laufen, desto mehr Müll fällt an.“ Sollten die Grünen Merkel die Hand reichen und den schwarz-gelben Plänen ihren Segen erteilen, würde dies das Verhältnis zwischen der Partei und der außerparlamentarischen Anti-AKW-Bewegung schwer belasten. „Da wird viel Porzellan zerschlagen.“
Doch die Gundremminger Aktivisten stoßen vor der Messehalle zwar auf viel Verständnis für ihre Forderung, nicht jedoch auf eine breite Mehrheit unter den rund 800 Delegierten. Mehr als sechs Stunden debattieren diese mit ebenso großer Ernsthaftigkeit wie Leidenschaft, bis am frühen Abend feststeht: Die Basis folgt mit breiter Zustimmung dem Leitantrag der Parteispitze und stellt sich im Grundsatz hinter die Pläne der schwarz-gelben Bundesregierung, die acht ältesten Meiler sofort vom Netz zu nehmen und die restlichen neun Atomkraftwerke schrittweise bis 2022 abzuschalten. Alle Forderungen, dieses grundsätzliche „Ja“ mit einer ganzen Reihe von „Wenn“ und „Aber“ zu versehen und so die Latte hoch zu legen, werden abgelehnt.
Es ist ein Sieg des Establishments über die Basis, ein Triumph der Pragmatiker über die Vertreter der reinen Lehre, ein Erfolg derer, die die Regierungsfähigkeit der Grünen mit Blick auf 2013 im Blick haben. Entsprechend erleichtert sind hinterher die beiden Parteichefs Claudia Roth und Cem Özdemir und die beiden Fraktionschefs Renate Künast und Jürgen Trittin sowie der neue Superstar der Grünen, der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die allesamt mit Verve um die Annahme ihres Antrags kämpfen müssen. Nichts fürchten sie mehr, als ausgerechnet bei ihrem ureigensten Thema, dem Atomausstieg, vom politischen Gegner als „Dagegen-Partei“ stigmatisiert zu werden. „Uns eint alle ohne jede Ausnahme das eine Ziel: Raus aus der Atomenergie, rein ins solare Zeitalter“, beschwört Roth den Konsens in den eigenen Reihen und erinnert an die Gemeinsamkeiten mit der Anti-AKW-Bewegung, an die Proteste in Wyhl und Wackersdorf, Brokdorf und Gorleben, an tief fliegende Hubschrauber und Wasserwerfer. Dass nun ausgerechnet Schwarz-Gelb die Laufzeitverlängerung zurücknimmt, acht Meiler sofort abschaltet und den Ausstieg unumkehrbar macht, könne man einfach nicht ablehnen. „Da müssen doch wir Grünen zupacken.“
Leicht allerdings machen es die Grünen sich und ihrer Führung nicht, hart ringen sie um ihre Position, die Debatte wiegt hin und her, sowohl die Befürworter wie die Gegner erhalten stürmischen Beifall. Am Nachmittag droht gar die Stimmung zu kippen. Mit versteinerten Mienen verfolgen Roth, Özdemir, Künast und Trittin, wie erst Martina Lammers, die Kreisvorsitzende von Lüchow-Dannenberg, und dann der Kreuzberger Alt-Linke Hans-Christian Ströbele bejubelt werden, die einen Ausstieg bis 2017 fordern. „Es gibt keine Argumente, die einen Ausstieg bis 2022 rechtfertigen“, sagt Lammers. Und Ströbele kritisiert, „all unsere Oberen“ hätten in jeder Rede, in jeder Talkshow gesagt, ein Ausstieg bis 2017 sei möglich, dafür sei man auch auf die Straße gegangen. „Wie glaubwürdig ist es, wenn wir dann 2022 zustimmen?“, fragt er, um die Antwort gleich selber zu geben: „Das ist doch nicht glaubwürdig.“ Da jubelt der Saal, die Delegierten hält es nicht mehr auf den Stühlen.
Am Ende sind es Renate Künast und Winfried Kretschmann, die die Hoheit für die Realos zurückerobern. Nach der Entscheidung im Bundestag für den Atomausstieg „werden wir uns fühlen wie Popeye, wenn er Spinat gegessen hat“, ruft Künast und reckt ihren Arm in die Höhe: „Mit solchen Muskeln!“ Da tobt der Saal. Und Kretschmann, dessen Aufstieg zur Führungsfigur auf diesem Parteitag unübersehbar ist, macht eine simple Rechnung auf: „Wenn sich eine 20-Prozent-Partei zu 80 Prozent durchsetzt, ist es ein guter Kompromiss.“
Danach setzt sich auch bei den Delegierten die Einsicht durch, dass ausgerechnet die Partei des Ausstiegs nicht Nein zum Ausstieg sagen kann, auch wenn es Merkels Ausstieg ist. Denn, so bringt es die Europa-Abgeordnete Rebecca Harms auf den Punkt: „Es ist schon sehr komisch, wenn die Falschen das Richtige tun, aber dadurch wird das Richtige nicht falsch.“
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