Christian Ude im Porträt: Der Angreifer
Vom Krippenausbau bis zu gerechten Löhnen: Im Lantagswahlkampf beackert der Münchner OB Ude auch die SPD-Diaspora auf dem Lande - beispielsweise in Rain am Lech und Schrobenhausen.
So ein Hochsommer-Wahlkampf kann ganz schön mühsam sein: Auf der Hauptstraße in Rain am Lech im Kreis Donau-Ries zum Beispiel. Direkt vor dem „Mode-Treff“ mit reduzierten Capri-Hosen und T-Shirts für zehn Euro das Stück hat der SPD-Ortsverein drei rote Schirme aufgebaut. Zwischendrin steht Christian Ude, seit zwei Jahrzehnten Oberbürgermeister der kraftstrotzenden Millionenstadt München, weltberühmter Bierfass-Anzapfer – und seit ziemlich genau zwei Jahren so etwas wie die letzte Hoffnung der erfolgsentwöhnten Bayern-SPD.
Drei, vier Dutzend Menschen haben sich zwischen den Kleiderständern und den parkenden Autos versammelt, die große Mehrheit ohne Zweifel SPD-Anhänger. Zwanzig Meter weiter, in der Eisdiele „Eismosena“, schlecken derweil junge und alte Gäste völlig unbeeindruckt von dem politischen Besuch ihr Eis. Einkaufstüten-Träger schieben sich ungeniert durch die kleine Versammlung. Kinder stecken Werbe-Luftballons in ihre Taschen.
Mehrheitsfähige Positionen, die nicht immer Stimmen bringen
Das Mikrofon, das Ude in der Hand hält, funktioniert nicht. Doch der Mann, der am 15. September bayerischer Ministerpräsident werden will, lässt sich von technischen Problemen nicht beirren: Dann spricht er halt ohne Mikro. Um Bildungsgerechtigkeit geht es, „CSU-Filz“, Mindestlohn. Die Zuhörer klatschen. Der Lautsprecher gibt doch noch ein krächzendes Geräusch von sich. Das ist gut, findet Ude. Jetzt komme nämlich der wichtigste Satz: „Viele Leute stimmen uns in der Sache zu – aber bei der Wahl wählen sie dann doch wieder CSU.“
Das ist das eigentliche Dilemma des Wahlkämpfers Christian Ude: Studiengebühren, Atomausstieg, Donau-Ausbau, Mietpreisbremse, Mindestlohn, Krippenausbau, Ganztagsschulen – fast überall ist die SPD-Position mehrheitsfähig in der Bevölkerung. Dumm nur für Ude, dass die meisten dieser Positionen inzwischen irgendwie auch Positionen der Seehofer-CSU sind. Der politische Gegner ist damit für die SPD-Strategen wie eine Teflon-Pfanne – es gibt einfach kein Thema, das Ude seinem Kontrahenten Seehofer bislang hätte anheften können.
Ude fährt im schicken Wahlkampf-Bus vor
Doch von misslichen politischen Umständen lässt sich Christian Ude die Laune nicht verderben. Erster Eindruck im schicken Wahlkampf-Bus: Ude ist entspannt, unaufgeregt – und nett.
Er macht Kaffee für alle, sorgt sich um ausgelaugte Mitarbeiter („Sie müssen unbedingt mal einen Tag freimachen“). Er arbeitet ernsthaft und konzentriert. „Ich muss natürlich angreifen“, sagt er. Doch der Amtsbonus des Ministerpräsidenten sei eben nicht zu unterschätzen. Er kenne das aus den Münchener OB-Wahlkämpfen – aus der anderen Perspektive.
Und Jammern gilt nicht. Er habe sich für die Kandidatur ja nicht aus einer Laune heraus entschieden, sagt Ude: „Die Macht des Gegners war mir bewusst.“ Und Wahlkampf sei nie ein Zuckerschlecken: „Da darf man nicht in Selbstmitleid zerfließen, wenn es mal gar nicht bergauf geht.“
Ude möchte "Wort halten"
Rund 200 Termine plant Ude bis zum Wahltag. Jeden Wahlkreis will er dann mindestens einmal besucht haben. Die Stimmung bei den Veranstaltungen sei gut, die Zelte und Plätze seien gut gefüllt, berichtet Ude: „Und mit der Distanz zu München wird das Publikum sogar größer und freundlicher.“ Neugier spiele dabei sicher eine Rolle – gerade in der „Diaspora“, wie Ude die Landstriche nennt, in der die SPD nur äußerst spärlich vertreten ist. „Ich erlebe in allen Landesteilen eine freundliche Aufnahme, die vielleicht mitunter mehr dem Münchner Oberbürgermeister und weniger dem SPD-Spitzenkandidaten gilt“, berichtet Ude.
Für einen Wahlkämpfer sind das erstaunlich ehrliche Sätze. Doch diese Ehrlichkeit hat durchaus Kalkül: Ude möchte gern die redliche Alternative sein, der Mann, „der Wort hält“, wie es die SPD-Wahlkampfplakate versprechen.
Wie Seehofer in den letzten Monaten mit seinem Kabinett durch alle Landesteile zu ziehen, um hier eine neue Hochschule und dort ein neues Kurhotel zu versprechen – „das finde ich nur peinlich“, sagt Ude. Zuhören, Lernen, Verstehen, das sei ihm wichtig: „Als Heilsbringer durchs Land gehen – nein, das mache ich nicht.“
Wahlkampf in der SPD-Diaspora
Volksfest im oberbayerischen Schrobenhausen. Echte SPD-Diaspora: Nur vier von 25 Stadträten stellen die Genossen. Und die Stadt liegt obendrein im Stimmkreis von Horst Seehofer, den Ude „mein Gegenspieler“ nennt. Der SPD-Herausforderer tritt an zur Königsdisziplin für alle bayerische Wahlkämpfer: der Bierzeltrede. Das Festzelt ist trotz Sonnenscheins gut gefüllt – vielleicht fünfhundert Zuhörer sind da. Vor den zur Belüftung geöffneten Eingängen dreht sich ein Kettenkarussell. Weiß-blaue Rautenfahnen hängen von der Decke.
Die Stimmung ist freundlich, aber auch reserviert. Ude versucht es mit einem Scherz. Drei Gemeinsamkeiten habe er mit seinem „Gegenspieler“ Seehofer: Beide kandidieren erstmals für den Landtag. Beide sind über sechzig. „Und wir haben beide ein ziemlich ähnliches Urteil über Markus Söder.“
Das kommt an – von wegen Charakterschwäche und „Schmutzeleien“. Doch von einem „SPD-Schmutzwahlkampf“, vor dem CSU-Strategen noch vor wenigen Wochen warnten, kann selbst im Bierzelt keine Rede sein: Natürlich geht es um Seehofers Kehrtwenden, um CSU-Affären und gebrochene CSU-Versprechen.
Werben um jeden Wähler
Viel öfter geht es aber um gerechte Löhne, um sterbende Schulen auf dem Land, um schnelles Internet. Ude argumentiert schlüssig. Und anders als Seehofer zielt er mehr auf den Kopf seiner Zuhörer als auf deren Bauch. „Wenn Sie einige meiner Argumente überzeugend fanden“, wirbt er etwa zum Schluss, „dann reden Sie doch mit Ihren Nachbarn drüber. Oder im Betrieb.“
25 Prozent für die SPD hat Ude einst als sein „Traumziel“ für die Landtagswahl ausgegeben. So wie die Dinge derzeit liegen, muss er wohl froh sein, wenn er die 18,6 Prozent von der letzten Wahl 2008 klar hinter sich lassen kann. Für einen vom Erfolg verwöhnten Großstadt-Sozi, der ganz offen einräumt, „dass ich mir was einbilde, als OB in München eine Zweidrittelmehrheit geholt zu haben“, geht es bei der Wahl im September deshalb auch um die eigene Reputation.
Das Selbstbewusstsein des erfolgreichen Großstadtpolitikers
Achtzig Prozent der Bayern wollen einen Mindestlohn. Siebzig Prozent ein längeres Gymnasium. „Ja dann wählt halt bitte auch entsprechend“, fleht Ude deshalb fast. Und vom Landesbank-Debakel bis zum Bayernwerk-Verkauf: „Viele Fehler der CSU-Staatsregierung wären mir nicht unterlaufen“, behauptet der Seehofer-Herausforderer.
Wenn die CSU nun im Wahlkampf trotzdem Neid schüre auf den erfolgreichen Münchner Oberbürgermeister, dann falle das nur auf sie selbst zurück: Wer sich im Land benachteiligt fühle „von München“, der könne in den letzten 56 Jahren schließlich nur von der CSU benachteiligt worden sein, schimpft Ude.
Und selbst wenn er berechtigt wäre, der Neid auf die mächtige Metropole: „Wen haben die Münchner denn in den letzten zwanzig Jahren immer wieder gewählt, dass es ihnen so unverschämt gut geht“, fragt er selbstbewusst ins Festzelt. Ude natürlich. „Vielleicht sollten Sie das auch mal probieren.“
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