Pressestimmen zu den Wahlen: "Angela Merkel wird schwarz-grün ticken"
Die Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz beschäftigen die Kommentatoren der Republik. Hier Pressestimmen und Reaktionen auf die Wahlen.
"War wirklich nur der Streit über die Verlängerung der Atomlaufzeiten ausschlaggebend für das CDU-Debakel im Südwesten der Republik, für den kompletten Machtwechsel hin zu vermutlich Grün-Rot? Natürlich nicht. Stefan Mappus' Liste von Pech und Pannen ist lang: Rücktrittsforderungen an Parteifreunde wie Umweltminister Röttgen und Stuttgarts Stadtoberhaupt Schuster, der EnBW-Kauf, Stuttgart 21 und zuletzt sein beim Wahlvolk nicht glaubwürdiger Schwenk in der Atompolitik. Die CDU wäre gut beraten, wenn sie den 27. März 2011 nicht nur als Betriebsunfall, sondern als historischen Einschnitt begreifen würde." Pforzheimer Zeitung
"Nun wird der Druck auf FDP-Chef Guido Westerwelle erneut massiv steigen. Seine Wiederwahl zum Parteivorsitzenden im Mai dürfte derart stark gefährdet sein, dass er vorher vielleicht selbst die Konsequenzen zieht und das Amt zur Verfügung stellt. Ganz so schlimm dürfte es für die CDU-Chefin nicht kommen. Da Angela Merkel sämtliche potenziellen Rivalen mittlerweile kaltgestellt hat, wird sie noch eine ganze Weile weitermachen können wie bisher. Dennoch geht auch die Bundeskanzlerin aus den Wahlen mehr als geschwächt hervor." Straubinger Tagblatt
"Dieses Wahlergebnis formuliert deshalb vor allem Erwartungen. Erwartungen an einen anderen Regierungsstil, mehr Bürgerbeteiligung und einen, bislang nur vage definierten inhaltlichen Politikwechsel. Grüne und SPD müssen sich ihren Wahlsieg also erst noch verdienen." Badische Zeitung
"Das Wahlergebnis ist spektakulär, weil es auch die Folge eines fernen Bebens ist, ein Niederschlag der japanischen Atomkatastrophe, ein Fallout. Aber dieses Wahlergebnis ist nicht sensationell, weil Machtverschiebung und Machtwechsel zur demokratischen Normalität gehören. Es ist normal in einer Demokratie, dass Sieger nicht immer Sieger bleiben und Verlierer nicht immer Verlierer. Die Pointe der Demokratie ist die Herrschaft auf Zeit. Manchmal freilich dauert das Warten auf die Pointe lange; in Baden-Württemberg besonders lange. Dafür fällt die Pointe nun gepfeffert aus. Der Pfeffer ist grün." Süddeutsche Zeitung
"Der grüne Politikansatz orientiert sich an den Bedürfnissen der Dienstleistungsgesellschaft. Er ist keiner der schrumpfenden Industriearbeiterschaft oder der kleinen Leute, sondern er spricht eine neue Mittelschicht in den besseren Vierteln an. Die Grünen sind die neue Mittelpartei zwischen den Volksparteien, wobei die SPD diese Funktion mangels Wählermasse im Süden und Teilen des Ostens nicht mehr wahrnehmen kann." RP Online
"Die einstigen Sonnenblumen-Kinder und Öko-Freaks sind nun endgültig in der bürgerlichen Mitte angekommen, stellen mit hoher Wahrscheinlichkeit erstmals einen Ministerpräsidenten, und das ausgerechnet im Stammland der Union. Von einer Schlappe für Merkel wird in den nächsten Tagen die Rede sein, von einer Quittung für die inhaltlich zwar richtige, aber handwerklich dilettantisch umgesetzte Wende in der Atom-Politik und den diplomatischen GAU in der Frage des Kriegseinsatzes in Libyen. Das alles ist richtig - und doch hat die Kanzlerin auf ihrem Denkzettel längst etwas anderes, wesentlich Richtungweisenderes notiert: Angela Merkel wird von heute an schwarz-grün ticken." Abendblatt
"Das Gewurschtle dieser Kanzlerin und ihrer Koalition wird weitergehen"
"Merkel wird den Sponti-Fehler, den Gerhard Schröder 2005 nach der verlorenen Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen beging, nicht wiederholen. (...) So wird das Gewurschtle dieser Kanzlerin und ihrer Koalition weitergehen - und noch schlimmer werden. Dem Land stehen bis zur nächsten Bundestagswahl zwei trübe politische Jahre bevor: Im Bundesrat droht die rot-grüne Totalblockade, die schwarz-gelbe Koalition wird sich nun erst recht in Richtungskämpfen zwischen konservativen Hardlinern und soften Modernisieren aufreiben - und der Kanzlerin fehlt die politische Kraft und die eigene politische Klarheit, um dieses Durcheinander zu ordnen." Spiegel Online
"Eigentlich reicht es nicht, dass nun Westerwelle wankt, der Wahrheitsminister Brüderle und die unglückliche Fraktionschefin Homburger vor dem politischen Aus stehen. Eigentlich müsste Merkel die Verantwortung übernehmen und Neuwahlen im Bund ansetzen. Genau das tat das Duo Schröder und Müntefering anno 2005, als die SPD Nordrhein-Westfalen verlor. Es war ein Akt der politischen, aber auch der demokratischen Selbstreinigung. So ein Schritt wäre auch jetzt dringend nötig." Stern.de
"Das Schlüsselwort des Wahlabends heißt Glaubwürdigkeit. Verloren haben die Unglaubwürdigen, gewonnen die Glaubwürdigen. Die Kehrtwende von Schwarz-Gelb in der Energiepolitik war unglaubwürdig. Die Wähler waren schon vor Rainer Brüderles BDI-Plauderstunde der Meinung, dass das Atom-Moratorium ein Wahlkampfmanöver ist. Dafür wurde die CDU in Baden-Württemberg abgestraft, allen voran ihr Atomwolf Stefan Mappus. Seine Kehrtwende war noch unglaubwürdiger als die Angela Merkels." Michael Spreng, Sprengsatz.de
"Die Zukunft Deutschlands ist nicht verloren, wenn in der Stuttgarter Staatskanzlei künftig der Grüne Winfried Kretschmann residieren sollte. In Berlin jedoch dürften die empfindlichen Wahlniederlagen umgedeutet werden in Fragen, was der Absturz der Liberalen für die Zukunft des FDP-Parteivorsitzenden Guido Westerwelle und was der Verlust des Stammlandes für die CDU-Parteivorsitzende Merkel bedeutet." faz.net
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