
Was der Asyl-Kompromiss der Europäischen Union bedeutet


Nötiger Fortschritt oder menschenrechtlicher Tabubruch? Mit ihren neuen Regeln will die EU Menschen ohne Bleibeperspektive schnell abschieben und zugleich Länder wie Polen zur Solidarität verpflichten.
Es war ein Applaus der Erleichterung. Nach all dem zähen Ringen, den schwierigen Verhandlungen, dem langwierigen Prozess stand am Donnerstagabend im dritten Anlauf endlich eine Einigung: Die 27 EU-Innenminister beschlossen in Luxemburg eine Reform des europäischen Asylsystems. Es seien "keine leichten Entscheidungen" gewesen, sagte die Bundesinnenministerin Nancy Faeser im Anschluss, aber "historische". Die SPD-Politikerin musste die Einigung allein schon deshalb in dieser Form verkaufen, weil sie mit ihren Zugeständnissen einen Konflikt in der Ampelkoalition riskierte.
Denn Deutschland beugte sich in mehreren und entscheidenden Punkten der Mehrheit in Europa. Es setzten sich jene Länder durch, die auf eine massive Verschärfung der Asylpolitik gepocht hatten. Die Bundesregierung stand mehr oder minder isoliert da, sieht man mal vom loyalen, aber weniger mächtigen Verbündeten Luxemburg sowie Portugal und Irland ab.
Kritiker bemängeln "haftähnliche Bedingungen"
Vorgesehen in den Reformplänen ist insbesondere ein deutlich härterer Umgang mit Migranten ohne Bleibeperspektive. Die sollen früh herausgefiltert werden. In dem Paket ist festgeschrieben, dass es sogenannte Grenzverfahren geben soll. Das heißt: Asylanträge werden in Zukunft an den EU-Außengrenzen in einem beschleunigten Verfahren abgewickelt. Menschen, die aus als sicher geltenden Ländern in die EU einreisen und kaum Aussicht auf Anerkennung haben, sollen nach dem Grenzübertritt in streng kontrollierten Aufnahmezentren das Prozedere durchlaufen – unter "haftähnlichen Bedingungen", wie Kritiker bemängeln.
Die Verfahren müssen laut Plan binnen maximal sechs Monaten abgeschlossen sein. Im Falle der Ablehnung wird der Bewerber oder die Bewerberin umgehend zurück ins Herkunftsland geschickt oder in einen sicheren Drittstaat abgeschoben, zu dem er oder sie eine Verbindung pflegt. Was das genau bedeutet, scheint aber noch ungewiss. Reicht es, dass man in dem sicheren Drittstaat im bloßen Transit war oder muss man in dem Land bereits gelebt haben oder vor Ort Familienangehörige besitzen? Faeser wollte eigentlich erreichen, dass Familien mit Kindern diese Vorprüfungen nicht in solchen speziellen Einrichtungen durchlaufen müssen. Das gelang ihr nicht. Die Partner stimmten lediglich zu, nur unbegleitete Minderjährige von dem Grenzverfahren auszunehmen.
Wer keine Flüchtlinge aufnimmt, muss zahlen
Nach Angaben der zuständigen Kommissarin Ylva Johansson könnten abgelehnte Asylbewerber künftig zudem grundsätzlich auch in Nicht-EU-Länder abgeschoben werden. Einzige Voraussetzung soll sein, dass sie eine Verbindung zu diesem Land haben. Wie diese aussehen muss, soll im Ermessen der EU-Mitgliedstaaten liegen, die für das jeweilige Asylverfahren zuständig sind.
Laut dem EU-Plan soll es zudem mehr Solidarität mit den stark belasteten Mitgliedsstaaten wie Italien an den EU-Außengrenzen geben. Sie soll künftig nicht mehr freiwillig, sondern verpflichtend sein. Dafür, dass Italien, Spanien, Malta, Zypern oder Griechenland die Ankommenden in Zentren und nach einem harmonisierten Verfahren registrieren, verpflichten sich die anderen EU-Länder im Gegenzug, eine bestimmte Zahl von Asylbewerbern zu übernehmen. Ungarn, Polen, Österreich oder Dänemark, die keine oder nur wenige Flüchtlinge aufnehmen, sollen sich "freikaufen" können. Eine Einmalzahlung von 20.000 Euro pro Flüchtling soll die mangelnde Solidarität ausgleichen. Die Mittel würden in einen noch zu schaffenden Fonds fließen, der jenen helfen soll, die unter besonderem Druck stehen.
Asylpläne müssen noch vom Europaparlament behandelt werden
Der nächste Schritt zur Umsetzung der Pläne sind nun Verhandlungen mit dem Europaparlament voraussichtlich in den nächsten Wochen, das bei dem Thema ein Mitspracherecht hat. Vor allem grüne Politiker hoffen, dass die Pläne für verschärfte Asylverfahren dort noch abgeschwächt werden können. Stärkste Fraktion im Europaparlament ist allerdings die christdemokratische EVP, die für eine vergleichsweise strenge Migrationspolitik eintritt.
Nach Angaben des UN-Flüchtlingskommissariats wurden in Italien in diesem Jahr bereits mehr als 50.000 Migranten registriert, die über das Mittelmeer kamen. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 21.200. Die meisten von ihnen kamen aus Tunesien, Ägypten und Bangladesch und hatten damit so gut wie keine Aussichten auf eine legale Bleibeperspektive.
Sophie Scheytt, Expertin für Asylpolitik bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International in Deutschland, verurteilte das Ja der Bundesregierung zu der Reform scharf als "Freibrief für Menschenrechtsverletzungen". Doch nicht nur das. Die Angabe vieler Politiker und Politikerinnen, dass in diesen Lagern keineswegs Geflüchtete aus Syrien oder Afghanistan landen könnten, sei "sachlich falsch". Vielmehr befürchtet Scheytt, dass deren Antrag pauschal abgelehnt wird, falls sie über einen sicheren Drittstaat wie die Türkei eingereist sind. "Diese Reform wird auch besonders Schutzbedürftige wie afghanische Familien betreffen", sagte sie.
Hilfsorganisationen kritisieren Asyleinigung
Aus Sicht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen Deutschland wird die Entscheidung der EU-Innenminister katastrophale Folgen für schutzbedürftige Menschen haben. "Wir sind entsetzt über die Zustimmung der Bundesregierung", sagte die stellvertretende Vorsitzende Parnian Parvanta. Auch sie warf der Ampelkoalition den Bruch des Koalitionsvertrags vor. "Das Leid von Menschen auf der Flucht wird sich durch die Einigung in Luxemburg weiter verschärfen."
Den EU-Plänen vorausgegangen waren jahrelange Verhandlungen. An der Reform wird bereits seit der Flüchtlingskrise 2015/2016 intensiv gearbeitet. Damals waren Länder wie Griechenland mit einem Massenzustrom an Menschen aus Ländern wie Syrien überfordert und Hunderttausende konnten unregistriert in andere EU-Staaten weiterziehen. Dies hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn nach der sogenannten Dublin-Verordnung sollen Asylbewerber da registriert werden, wo sie die Europäische Union zuerst betreten haben. Dieses Land ist in der Regel auch für den Asylantrag zuständig. (mit dpa)
Die Diskussion ist geschlossen.