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Interview: Cem Özdemir: Landwirte brauchen eine Perspektive

Interview

Cem Özdemir: Landwirte brauchen eine Perspektive

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    "In Deutschland und der EU ist die Lebensmittelversorgung gesichert, da muss sich keiner Sorgen machen", sagt Cem Özdemir.
    "In Deutschland und der EU ist die Lebensmittelversorgung gesichert, da muss sich keiner Sorgen machen", sagt Cem Özdemir. Foto: Bernd Weißbrod, dpa

    Herr Özdemir, der Deutsche Bauerntag steht in diesem Jahr unter dem Motto "Zukunftsbauern". Wie sieht die Zukunft für die deutschen Landwirte denn aus: eher rosig oder eher düster?

    Cem Özdemir: Unsere Landwirtinnen und Landwirte arbeiten jeden Tag hart dafür, dass wir hochwertige Lebensmittel haben. Dafür braucht es Wertschätzung – und noch besser: eine verlässliche Wertschöpfung. Gerade belasten die Folgen von Putins verbrecherischem Krieg jedoch die Landwirtschaft stark – vor allem die Energiepreise machen vielen Betrieben zu schaffen. Hier helfen wir nun mit 180 Millionen Euro! Der Krieg zeigt aber auch, dass unsere Landwirtschaft insgesamt krisenfester werden muss, um eine gute Zukunft zu haben. Dazu müssen wir die Abhängigkeit von Russland und anderen autoritären Regimen reduzieren – Stichwort Energie und Düngemittel. Die Klimakrise bedroht unsere natürliche Lebensgrundlage und damit unsere Landwirtschaft, auch das Artensterben geht dramatisch weiter. Dringender denn je brauchen wir die Transformation der Landwirtschaft hin zu mehr Nachhaltigkeit. Mein Ziel ist es, dass die Landwirtinnen und Landwirte nicht nur faire Einkommen bekommen, sondern sie für mehr Tierwohl und mehr Umwelt- und Klimaschutz honoriert werden.

    Das Höfe-Sterben geht aber weiter. Zu den Gründen, warum Landwirte nicht weitermachen oder keine Nachfolge finden, gehört der Ärger über zu viel Bürokratie. Muss die Bundesregierung da mal ausmisten?

    Özdemir: Mir bereitet das große Sorgen und ich verstehe jeden, der sich gerade fragt, ob er etwa seinen Kindern den Hof guten Gewissens übertragen soll. Hier geht es auch um die Zukunft des ländlichen Raums insgesamt. Bürokratieabbau ist das eine, da sind wir dran. Das andere ist das Thema langfristige Planbarkeit – etwa in der landwirtschaftlichen Tierhaltung. Nur eine Zahl: Von 2010 bis 2020 hat sich die Zahl der Schweine-haltenden Betriebe halbiert. Das ist doch eine dramatische Entwicklung, hinter der Existenzen stehen. Zukunftsfest kann Tierhaltung in Deutschland nur dann sein, wenn sie Landwirtinnen und Landwirten eine Perspektive bietet – und ihnen ein gutes Einkommen ermöglicht. Davon kann heute nicht die Rede sein. Letzte Woche habe ich die Eckpunkte für eine verbindliche, staatliche Tierhaltungskennzeichnung vorgelegt. Das ist ein wichtiger Baustein, um die Tierhaltung zukunftsfest zu machen. Die Kennzeichnung macht die Investitionen und Leistungen für mehr Tierwohl und Klimaschutz sichtbar, so wie es die Verbraucherinnen und Verbraucher wollen. Aber wir dürfen die Landwirtinnen und Landwirte beim Umbau der Tierhaltung nicht im Stich lassen. Denn sie können die Kosten für eine artgerechtere Tierhaltung und mehr Klimaschutz sicher nicht von heute auf morgen nur am Markt erlösen, wie manche meinen. Hier braucht es die Unterstützung des Staates. Wer "Nein" zu einer gesicherten Finanzierung sagt, sagt auch "Nein" zur Tierhaltung in Deutschland und regional erzeugtem Fleisch.

    Bundesagrarminister Cem Özdemir im Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Mykola Solskyj (l).
    Bundesagrarminister Cem Özdemir im Gespräch mit seinem ukrainischen Amtskollegen Mykola Solskyj (l). Foto: Leon Kügeler/BMEL/Photothek, dpa

    Jahrelang dominierte eine Lebensmittel-Überproduktion die Debatte über die Agrarpolitik. Durch den Krieg in der Ukraine werden nun manche Nahrungsmittel knapp, in Deutschland und weltweit. Braucht es in Zukunft doch wieder mehr Planwirtschaft, damit die Lebensmittelsicherheit im eigenen Land und auf dem ganzen Planeten gesichert ist?

    Özdemir: In Deutschland und der EU ist die Lebensmittelversorgung gesichert, da muss sich keiner Sorgen machen. Wenn jetzt ausnahmsweise mal kein Sonnenblumenöl im Regal steht, ist das noch kein Grund, vom Ende unserer sozialen Marktwirtschaft zu fantasieren. Ganz im Gegenteil. Viele von uns haben noch die Bilder im Kopf, was Planwirtschaft bedeutet: Sie steht erst recht für leere Regale, lange Schlangen und Verknappung. Das kann kein Mensch ernsthaft wollen. Wir können uns dank eines hohen Selbstversorgungsgrads mit vielen Nahrungsmitteln selbst versorgen. Anderswo auf der Welt sieht es schlimmer aus. Der Hunger ist jetzt schon dort am größten, wo die Klimakrise und das Artensterben mit voller Wucht zuschlagen. Hinzu kommt, dass Putins Aggression gegen die europäische Friedensordnung den Druck auf die globalen Ernährungssysteme massiv erhöht hat. Das Gebot der Stunde ist daher, die Märkte offenzuhalten. Nur so kommen Nahrungsmittel dort an, wo sie am dringendsten gebraucht werden.

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