Einwanderungsgesetz: Arbeitgeberpräsident kritisiert Probleme
Exklusiv Am Sonntag tritt das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz in Kraft. Tausende Menschen soll es anlocken. Experten sagen: Das wird nicht reichen.
Deutschland ein Rentnerland. In den nächsten zehn Jahren werden sich Millionen Menschen nach einem langen Arbeitsleben in den Ruhestand verabschieden. Und es folgen ihnen zu wenige nach. Der Bedarf der größten Wirtschaftsmaschine Europas kann auch durch den Zuzug von Arbeitnehmern aus anderen EU-Ländern nicht mehr gedeckt werden.
Darum dürfen ab Sonntag Fachkräfte aus der ganzen Welt nach Deutschland kommen: Elektriker, Köchinnen, Lokführer, Metallbauer und Pflegerinnen. Wer eine Berufsausbildung hat, Deutsch spricht und für sich sorgen kann ist willkommen. Eine Vorrangprüfung, bei der vor jeder Einstellung festgestellt werden muss, ob auch ein deutscher oder EU-Bürger die Qualifikation erfüllt, gibt es dann nicht mehr.
Ingo Kramer kämpfte lange für die Öffnung des Arbeitsmarktes
„Das ist im Sinne der deutschen Wirtschaft, die schon längst zu spüren bekommt, dass der Bedarf allein mit inländischen Fachkräften nicht mehr gedeckt werden kann“, sagte Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer unserer Redaktion. Kramer hat lange für diese Öffnung des Arbeitsmarktes geworben.
Ein halbes Jahr haben die Neuankömmlinge Zeit, sich irgendwo zwischen Flensburg und Garmisch eine Stelle zu suchen. Bisher war das nur Studierten vorbehalten, weil ihnen mehr Aussicht auf Erfolg zugesprochen wurde. Allerdings muss die Ausbildung mit den deutschen Standards mithalten können. Eine Ausnahme davon gilt für Computerfachleute, weil bei denen die Not besonders groß ist.
Der Trend auf dem Arbeitsmarkt hat sich gedreht
Wie groß der Andrang ausländischer Fachkräfte sein wird, bleibt abzuwarten. „Wir müssen uns anstrengen. Die werden uns nicht die Bude einrennen“, erklärte neulich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil. Der SPD-Politiker rechnet mit 25.000 Fachkräften pro Jahr. Aber auch die Nachfrage geht wegen der schwächelnden Konjunktur und der wachsenden Unsicherheit durch die Ausbreitung des Corona-Virus spürbar zurück. Ramona Meinzer ist Geschäftsführerin Aumüller Aumatic GmbH in Thierhaupten im Landkreis Augsburg. Die Firma automatisiert Haustechnik und ist in vielerlei Hinsicht ganz typisch für die Region: mittelständisch geprägt, stark international ausgerichtet – und in jüngster Zeit enorm erfolgreich.
Sie sagt: „In den vergangenen sechs Wochen hat sich die Lage für uns komplett gedreht. Wir können uns derzeit vor Bewerbungen kaum retten.“ Darunter seien sehr viele hoch qualifizierte Bewerber, die oft einen Hintergrund in der Automobil- oder Zuliefererbranche hätten. Sogar drei Software-Entwickler hat Meinzer gerade eingestellt. „Früher wäre das undenkbar gewesen“, sagt sie. Aus ihrem Engagement bei diversen Arbeitnehmerorganisationen wisse sie, dass ihre Beobachtung kein Einzelfall sei.
Es dauert im Schnitt 136 Tage bis eine offene Stelle besetzt ist
Das deckt sich mit den aktuellen Zahlen der Agentur für Arbeit. In den ersten beiden Monaten des Jahres wurden Arbeitsagenturen und Jobcentern in Bayern rund 50.000 neue offene Stellen gemeldet. Das sind 16,4 Prozent weniger als vor einem Jahr. Aber: Bis eine offene Stelle besetzt ist, dauert es im Schnitt noch immer 136 Tage. 2015 waren es noch 92 Tage. Die Lage je nach Branche sehr unterschiedlich und trotz des Rückgangs der Nachfrage im produzierenden Gewerbe, werden etwa Computerspezialisten nach wie vor händeringend gesucht.
Darum sollen nun Werbekampagnen und Deutschkurse auf der ganzen Welt darauf aufmerksam machen, dass es in Deutschland viel Arbeit gibt. Dafür eingespannt werden auch Botschaften und Konsulate. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) fuhr nach Mexiko und in das Kosovo, um für die Chancen in der Pflegebranche zu werben. Die Arbeitsagentur hat eine Beratungsstelle eingerichtet, deren Mitarbeiter am Telefon oder per Mail die Anfrage der Interessenten beantworten.
Die Hochschulen können den Bedarf nicht decken
Die Wirtschaft ist dennoch nicht zufrieden. „Hier liegt noch einiges im Argen“, kritisiert Arbeitgeberchef Kramer. Er beklagt, dass sich die beteiligten Behörden nicht richtig miteinander austauschten und es nicht genügend Personal in Visa-Stellen und Ausländerämtern gebe. „Warum sollte eine Fachkraft mehrere Monate oder teilweise bis zu einem Jahr auf einen Termin bei einer deutschen Botschaft warten, wenn sie auch nach Holland oder in die Schweiz gehen kann? Das darf uns nicht passieren“, betont Kramer.
Nach Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und der Bertelsmann Stiftung braucht Deutschland in den kommenden 40 Jahren jährlich netto 260.000 Einwanderer, um den Personalbedarf zu decken. Schwaben ist besonders betroffen. Laut einer aktuellen Umfrage der IHK Schwaben haben mehr als die Hälfte der Betriebe hier offene Stellen, die sie seit längerer Zeit nicht besetzen können. Umso gravierender ist es, dass die Hochschulen an Kapazitätsengpässen leiden. „Wer jetzt nach Berlin geht, weil er hier keinen Studienplatz kriegt, der kommt in fünf Jahren nicht wieder“, sagt Meinzer.
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