Was weiß Wikipedia? Ehingen wäre fast zur Klostergemeinde geworden
Wikipedia scheint über die ganze Welt Bescheid zu wissen. Aber wie gut kennt das Online-Lexikon die Orte im Kreis Augsburg? Dieser Frage gehen wir in unserer Serie nach.
Das auffällige Wappen mit dem blauen Einhorn hat Ehingen von den Herren von Ehingen. Die waren im 13. und 14. Jahrhundert Grundherren und hatten ihren Sitz im heutigen Gemeindegebiet. Das weiß Wikipedia. Das Online-Lexikon erwähnt aber nicht, was in dem Gebiet im Nordwesten des Landkreises Augsburg in der langen Zeit zwischen 1400 und 1800 passiert ist. Das weiß Franz Sedlacek. Der 86-Jährige hatte in dem knappen Vierteljahrhundert, das er Bürgermeister war, Zeit, sich mit Ehingen zu beschäftigen. In der Gemeinde lebt er seit 1946.
Ehemaliger Bürgermeister weiß viel über seine Heimat Ehingen
Die Fugger hätten fast dafür gesorgt, dass das wichtigste Baudenkmal der Gemeinde ganz anders aussieht. Sedlacek hat ein altes Dokument mit dem Computer abgetippt, das ein früherer Pfarrer vor vielen Jahrzehnten handschriftlich in Altdeutsch verfasst hat. Daraus liest er vor: "Im Jahre 1676 wollte ein Fugger die Frauenkirche zu einem Franziskanerkloster für zwölf Mönche machen, welcher Plan aber nicht realisiert wurde."
An der Nordseite der jahrhundertealten Kirche befindet sich die gräflich Fuggersche Gruft, wo zwischen 1671 und 1820 ein gutes Dutzend Angehörige der Nordendorfer Linie der Handelsdynastie ihre letzte Ruhe gefunden haben. In Zeiten von Corona sticht ein weiterer Satz aus den Aufzeichnungen des ehemaligen Pfarrers sofort ins Auge: "1770 herrschte in der Pfarrei ein bösartiges Fieber, woran 136 Personen krank darnieder lagen."
Ehingen hat wenig vom Zweiten Weltkrieg mitbekommen
Auch über die Zeit des Zweiten Weltkrieges in Ehingen weiß Sedlacek mehr als Wikipedia. Die Gemeinde sei vergleichsweise glimpflich davongekommen. Es habe keine Kriegsschäden gegeben. "Das einzige, was man in Ehingen mitbekommen hat, war, dass in einem nahe gelegenen Wald eine englische Maschine abgestürzt ist", erklärt der ehemalige Bürgermeister. Zwei oder drei Soldaten hätten sich aus dem Wrack retten können und seien zu Fuß in den Ort gegangen. Dorfbewohner hätten die verwundeten Briten dann ins Kloster Holzen gebracht, wo in Kriegszeiten ein Lazarett war.
Ein letztes Aufbäumen wie in anderen Orten im Augsburger Land habe es in Ehingen zum Ende des Krieges nicht gegeben: "In Ehingen ist der Krieg ruhig in den Frieden übergegangen", sagt Sedlacek. Seine persönliche Geschichte ist mit dem Kriegsende verknüpft: Der ehemalige Bürgermeister kam 1946 als Vertriebener aus dem Sudetenland in den Ort. Vom Krieg sei da gar nicht mehr so viel zu spüren gewesen, höchstens drei Ehinger hätten sich noch in Gefangenschaft befunden. Am Anfang habe er sich mit seiner Mutter elf Quadratmeter im Lehrerwohnhaus teilen müssen, sagt Sedlacek: "Da habe ich alles gemacht, geschlafen, gekocht." Sein Vater war im Krieg gefallen. Als einer von nur drei Gymnasiasten in Ehingen musste Sedlacek jeden Morgen einige Kilometer zu Fuß zum Bahnhof Nordendorf laufen und von dort mit dem Zug nach Donauwörth fahren. Nachmittags das Gleiche in die andere Richtung.
Ehingen und Ortlfingen: Zwei Arme trafen aufeinander
Später war Sedlacek Abteilungsleiter bei MAN. Den Job gab er als Bürgermeister nicht auf: "Ich war ein Schmalspurbürgermeister", sagt der 86-Jährige und lacht. In den Jahren kurz vor und kurz nach Sedlaceks Amtseinführung 1978 war viel zu tun in Ehingen. Die Gemeinde "wechselte 1972 vom Landkreis Wertingen zum Landkreis Augsburg", steht auf Wikipedia. "Nachdem wir am Rand von Wertingen waren, hat man uns nach Augsburg geschubst", erklärt der ehemalige Rathaus-Chef. Mitspracherecht habe es keines gegeben, aber die Ehinger seien dem Wechsel ohnehin gleichgültig gegenübergestanden. Sechs Jahre später wurde dann das bis dahin selbstständige Ortlfingen eingegliedert. "Wir hatten kein Geld und die hatten kein Geld – es sind zwei Arme aufeinander getroffen", sagt Sedlacek.
Als Bürgermeister musste er gleich im Baubereich tätig werden. Bis etwa 1980 seien alle Nebenstraßen im Ort ungeteerte Schotterwege gewesen. Außerdem war 1978 der kirchliche Friedhof voll, sodass die Verwaltung sich um einen Gemeindefriedhof kümmern musste: "Wir hätten niemanden mehr beerdigen können", erklärt Sedlacek.
Bei all dem Wechsel ist Eines in Ehingen gleich geblieben: das blühenden Vereinsleben. "Es gab in Ehingen immer viele Ortsvereine", sagt der ehemalige Bürgermeister, der Vorsitzender des Männergesangvereins war. "Im musischen Bereich waren wir Spitzenreiter." Neben dem Männergesangverein gibt es in der 1110-Einwohner-Gemeinde auch die Blaskapelle und den Kirchenchor. Dazu kommen etwa der Sportverein und der Imkerverein. Kein Wunder, dass Sedlacek sagt: "Wir haben in Ehingen ein sehr reges Dorfleben."
Hier finden Sie alle Teile unserer Serie: Was weiß Wikipedia über den Landkreis Augsburg?
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