Wettlauf der Ministerien um den Atomausstieg in Bayern
Umwelt- und Wirtschaftsressort legen unabhängig voneinander Konzepte vor
Augsburg Wie hätten Sie’s denn gerne? „Bayern regenerativ – Neue Energie für Bayern“? So heißt das Konzept zur Energiewende im Freistaat von Umweltminister Markus Söder. Gestern präsentierte es der CSU-Mann in München. Oder doch lieber: „Energie innovativ denken“? Das ist der Titel des bayerischen Energiekonzeptes aus dem Hause von Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP). Ein Arbeitspapier liegt unserer Zeitung in Auszügen vor. Gestern ist das Konzept den beteiligten Ressorts zur Stellungnahme weitergeleitet worden.
Die beiden Ministerien haben sich in den vergangenen Tagen einen regelrechten Wettlauf geliefert, wer als Erster seine Ideen unters Volk bringt. Nachtschichten in der Ministerialbürokratie waren angesagt. CSU-Politiker Söder versicherte am Donnerstag, er habe mit der Vorstellung seines Konzeptes Zeil nicht „überfahren“ wollen. „Letztlich aber ist es so, dass die Zuständigkeit sich durch die Qualität der Idee definiert.“
Inhaltlich verfolgen die Konzeptionen in vielen Punkten ähnliche Vorstellungen und Ziele. Unvereinbar sind jedoch die zeitlichen Abläufe. Söder will, dass spätestens im Jahr 2022 mit Isar 2 das letzte bayerische Atomkraftwerk vom Netz geht. Besser wäre zwei Jahre früher. Zeil hält diese Planung für „nicht realistisch“. Die Energieversorgungslücke, die durch die Abschaltung der Kernkraftwerke entsteht, könne bis dahin nicht geschlossen werden. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass es keine Sicherheitsbedenken geben soll, wenn wir dann Atomstrom aus dem französischen Fessenheim oder aus Temelin in Tschechien importieren müssen.“ Auch dank der energieintensiven Industrien Bayerns sind wir auf dem Weg zur Vollbeschäftigung, betonte der Wirtschaftsminister. „Die Bezahlbarkeit der Energie und die Versorgungssicherheit muss ich deshalb im Auge behalten.“
Nachfolgend einige Eckpunkte aus den beiden Konzepten, in deren Zentrum der Ausbau der regenerativen Energien steht:
Wasserkraft Die Stromerzeugung aus Wasserkraft (ohne Pumpspeicherkraftwerke) soll in Bayern nach Zeils Vorstellungen bis 2021 um rund 2 Milliarden Kilowattstunden (kWh) im Jahr auf einen Anteil von 17,1 Prozent erhöht werden. Mit dem zusätzlichen Strom aus Wasserkraft könnten rund 500000 Haushalte versorgt werden. Allein durch die Modernisierung an den großen bayerischen Flüssen Donau, Iller, Lech, Wertach, Isar, Inn und Main könne eine zusätzliche Stromerzeugung von rund 700 Millionen kWh/Jahr ermöglicht werden. Das Umweltministerium setzt im Gegensatz zum Wirtschaftsressort nicht auf Neubauten, da die Potenziale der Wasserkraft „weitgehend erschlossen“ seien. Die Erweiterung bestehender Standorte wird bevorzugt.
Windenergie Weil die Anlagen mehr Strom als früher produzieren können, rechnet das Wirtschaftsministerium künftig mit einem überdurchschnittlichen Windenergiezuwachs in Bayern. Die 410 Windräder in Bayern reichen für eine ehrgeizige Steigerung der Windenergie in den nächsten zehn Jahren (von 0,6 Milliarden auf 5 Milliarden kWh im Jahr) durch bloße Leistungssteigerung aber nicht aus. 950 bis 1000 neue Windenergieanlagen müssen in diesem Zeitraum zusätzlich entstehen, um das Ziel zu erreichen. In der Landes- und Regionalplanung sollen ausreichend große Gebiete für die Windenergienutzung berücksichtigt werden. Umweltminister Söder setzt noch stärker auf die Windenergie und fordert rund 1500 zusätzliche Windkrafträder. Dabei sei eine Konzentration der Anlagen in Schwerpunktgebieten notwendig.
Bioenergie Söders Ziel ist es, bis 2020 den Anteil der Biomasse an der Stromerzeugung von rund 8,5 auf maximal 10 Prozent zu erhöhen. Die Zahl der Biogasanlagen müsse deshalb von 2000 auf 3000 erhöht werden. Einig sind sich beide Häuser, dass die zunehmende „Vermaisung“ der Landschaft durch den ausgedehnten Anbau ökologisch problematisch ist. Zeil will weitere Energiepflanzen in Bayern etablieren.
Photovoltaik Bayern ist in Deutschland führend beim Einsatz von Photovoltaik. 40 Prozent des deutschen Solarstroms werden im Freistaat erzeugt. Darauf will Zeils Haus ebenso aufbauen wie Söders Ministerium. Auch die Größenordnung ist vergleichbar: Beide sprechen von einem Anteil an der Stromerzeugung von 16,4 Prozent beziehungsweise 16 Prozent als Zielmarke. Die Förderung von Bürgersolaranlagen und Solarparks wird vorgeschlagen. Im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das gerade reformiert wird, sollen Freiflächenanlagen auf Ackerflächen wieder vergütet werden. Das Wirtschaftsministerium hat angekündigt, auf eine Änderung der Bayerischen Bauordnung hinzuwirken. Die Installation einer Photovoltaikanlage, die in das öffentliche Stromnetz einspeist, soll dann keine automatische Nutzungsänderung des Gebäudes (Gewerbe) bedeuten.
Tiefengeothermie Die geothermische Wärme- und Stromproduktion soll Zeils Konzeption zufolge vorangetrieben werden. Ziel ist, dass bis zum Jahr 2021 die Tiefengeothermie rund 1 Prozent (derzeit: 0,2 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs) deckt. Ein Institut für Tiefengeothermie ist an einer Universität oder Hochschule vorgesehen.
Selbstbewusst hat der Umweltminister sein grundsätzliches Ziel formuliert: „Bayern soll an der Spitze des technischen Fortschritts auf dem Weltmarkt für Energie- und Umwelttechnologien stehen.“
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