Schwarz-grüne Flugabwehr gegen die dritte Startbahn
Herbert Knur und Christian Magerl gehören verschiedenen politischen Lagern an, haben aber dasselbe Problem: den Flughafen. Der Kampf verbindet Konservative und Grüne.
In Berglern im Kreis Erding riecht es nach frischem Gras, nach nassem Laub, nach Kuhdung und nach Kerosin. Je nachdem, wo man steht. Je nachdem, wie der Wind weht. Die Vögel, die sich auf den Dachfirsten aufgereiht haben, bemerken das Flugzeug als Erste und flattern auf, lange bevor es für Sekundenbruchteile hundert Meter hoch über den Häusern zu stehen scheint und das Pfeifen seiner Turbinen alle anderen Geräusche überdeckt. Die der Vögel, der Kühe, der Kirchenglocken und der Wasserstrahlen, die mit Hochdruck auf einen Traktor gesprüht werden.
Die Gemeinde Berglern hat beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Klage eingereicht gegen den von der Regierung von Oberbayern erlassenen Planfeststellungsbeschluss, die Baugenehmigung für die geplante dritte Startbahn am Münchner Flughafen. Mit der neuen Piste sollen 120 statt 90 Starts und Landungen möglich sein. Jede Stunde.
"Die Tötung einer Gemeinde"
Herbert Knur wirkt wie das Realität gewordene Klischee eines oberbayerischen CSU-Bürgermeisters: in sich ruhend, selbstbewusst, heimatverbunden und, auch das, durchaus korpulent. Christian Magerl entspricht dem Klischee eines Grünen: Pullover und Vollbart. Zu beiden passt das Wort „Mannsbild“. Wer nun denkt, der „schwarze“ Knur (65) und der „grüne“ Magerl (56) lägen um Welten auseinander, der täuscht sich. Herbert Knur, Berglerns Bürgermeister, sagt: „Wenn die dritte Startbahn gebaut wird, dann kommt das einer Tötung meiner Gemeinde und einer Zerstörung meines Lebenswerks gleich.“ Christian Magerl, Landtagsabgeordneter der Grünen aus Freising, spricht von „Unsinnsplanung“, „Aberwitz“ und einem „menschenverachtenden“ Projekt.
Wegen der Startbahn aus der CSU ausgetreten
Knur wurde bundesweit bekannt, weil er am 4. August aus der CSU ausgetreten ist, und mit ihm der gesamte Ortsvorstand, die Vorsitzenden, die Schatzmeisterin, der Schriftführer und die Beisitzer. Der CSU-Ortsverband Berglern zählte einmal 64 Mitglieder, inzwischen seien es zwölf, sagt Knur. Seit 1990 ist er ehrenamtlicher 1. Bürgermeister. Er erlebte, wie Berglern von 1200 auf 2600 Einwohner anwuchs. Nun erlebt er, wie wegen des Flughafenausbaus die Grundstückspreise fallen, Berglern „von der ehemals jüngsten Gemeinde Bayerns zu einem Altersheim“ zu werden droht und die CSU, allen voran Ministerpräsident Horst Seehofer, die Bewohner des Flughafen-Umlandes im Stich lässt. So sieht das Knur.
Etwas Böses über Seehofer
Ab und zu schließt er die Augen, als er davon erzählt, warum er in die CSU eintrat und sie 34 Jahre später verließ. Es ist eine lange Geschichte mit unversöhnlichem Ende. „Jetzt sag ich vielleicht etwas Böses“, sagt Knur, und sagt etwas Böses über Seehofer. Der hatte ihm, so Knur, 2009 in einem Telefonat versprochen, mit ihm und anderen Startbahngegnern zu reden – bevor endgültige Entscheidungen für oder gegen den Bau der dritten Startbahn getroffen werden. Als die Regierung von Oberbayern am 26. Juli das Projekt genehmigte, sprach sich Seehofer dafür aus. Ohne sein Versprechen eingelöst zu haben. Eine Demütigung für Knur. Stets hatte er gesagt, er könne innerhalb der Partei mehr erreichen, er bleibe CSU-Mitglied, solange er etwas bewegen könne. Daran erinnerten sie ihn in Berglern. Knur trat aus.
Er ist ein geübter Interviewpartner. Vielleicht erwähnt er deshalb eine Rede, in der er Martin Luther zitierte: „Tu’s Maul auf, tritt hart auf, hör bald auf.“ Knur mag es nicht, wenn Zeitungsredakteure zu viel in seine Aussagen „hineingeheimnissen“. Bis Oktober war er Direktor der Akademie der Bayerischen Presse, einer Weiterbildungseinrichtung für Journalisten. Um sie 1988 aufzubauen, verzichtete der Diplom-Verwaltungswirt auf seinen Status als Beamter auf Lebenszeit.
Auf Horst Seehofer traf er zuletzt am 26. Oktober in der Staatskanzlei bei einer „Verkehrskonferenz zur Verbesserung der Verkehrserschließung des Flughafens München“. „Er kam auf mich zu“, sagt Knur, „schüttelte mir die Hand, guckte mir in die Augen, sah mich dann von oben bis unten an, mit ernster Miene, sehr kritisch, und ging weg, drehte sich nach etwa zwei Metern um, und sagte: ,Das war freundlich gemeint.‘ So quasi, als hätte er sagen wollen: Wenn ich unfreundlich gewesen wäre, hätte ich dich jetzt erdolcht.“
"Fairer und transparenter Dialog"
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt möchte sich nicht zum Parteiaustritt Knurs äußern. Nur dies: „Gerade in der Region um den Flughafen wollen viele Menschen ihre Anliegen mit der CSU vertreten und treten deshalb in unsere Partei ein. Ein klarer Beleg dafür ist, dass der Kreisverband Freising die meisten Neueintritte in die CSU unter allen Kreisverbänden Oberbayerns aufweisen kann.“ Man sei „in einem fairen und transparenten Dialog mit allen Beteiligten“.
Uwe Büchner möchte sich öffentlich äußern, darf aber nicht. Büchner leitet das Luftamt Südbayern, das zur Regierung von Oberbayern gehört. Er hat den Flughafenausbau genehmigt und an dem 2837-seitigen Planfeststellungsbeschluss mitgeschrieben. Vier Jahre Arbeit stecken darin. Es ist der Tag, an dem der Verwaltungsgerichtshof mitteilt, dass 22 Kläger gegen den Beschluss vorgehen. Ihr Gegner heißt offiziell „Freistaat Bayern“, indirekt heißt er Uwe Büchner.
Ein Regierungssprecher meint: „Alles, was Büchner sagt, könnte sich aufs Gerichtsverfahren auswirken.“ Ein anderer: „Wir wollen ihn aus der Schusslinie nehmen.“ Büchner ist bekannt für seine bilderreiche Sprache. In einem Zeitungsbericht, der drei Tage zuvor erschienen ist, räumt er ein, dass ihn die Kritik der Startbahngegner berührt und ihn das Genehmigungsverfahren aufreibt. Erstaunlich offene Worte für einen Spitzenbeamten.
Der geplante Bau der dritten Startbahn ist ein hoch emotionales Thema. Für Uwe Büchner ebenso wie für Herbert Knur, Horst Seehofer, Alexander Dobrindt und Christian Magerl. Der Freisinger Grüne liebt es, im Frühjahr den Brachvögeln zu lauschen, ihrem wehmütigen „kuri li“. Wenn er es hört. „Der Ostwind weht ein permanentes Grollen vom Flughafen her bis an mein Haus“, sagt er. Magerl ist studierter Biologe. Sein Aufsatz „Bestandsaufnahme und Untersuchungen zur Habitatstruktur des Großen Brachvogels Numenius arquata im nordöstlichen Erdinger Moos“ aus dem Jahr 1981 wurde in Fachkreisen oft zitiert. Magerl sitzt im Besprechungszimmer seines Münchner Büros nahe des Maximilianeums. Das Zimmer und der Flur davor ähneln einer Studentenbude.
Eine Reise in die alte Bundesrepublik
Gespräche mit Knur und Magerl können zu einer Zeitreise werden. Eine Reise in die 60er und 70er Jahre, zurück in die alte Bundesrepublik, in der die SPD die einzige linke Alternative zur konservativen Union war, in der es noch politische Vor- und Feindbilder gab, Charakter- und Querköpfe, „preußisch“ und „barock“ wirkende Politiker wie Hans-Jochen Vogel (SPD) oder Franz Josef Strauß (CSU). Zurück in eine Zeit, in der einige CSU-Politiker als „harte Hunde“ galten und – Magerl sagt, er habe das mal rausgesucht – Hans-Dietrich Genscher von der FDP den Begriff „Umweltschutz“ in Deutschland eingeführt habe. In diesen Jahren – Ende der 60er, Anfang der 70er – wollte der „forsche Schorsch“, wie Der Spiegel den SPD-Bundesverkehrsminister Georg Leber bezeichnete, den elf Millionen Autofahrern freie Fahrt auf den voller werdenden Autobahnen verschaffen – durch eine Fernverkehrssteuer für gewerbliche Fuhrunternehmer. „Dicke Brummer runter von der Autobahn“, forderte die Bild-Zeitung. Kein Deutscher sollte mehr als 20 Kilometer von einer Autobahnauffahrt entfernt wohnen. Magerl erinnert sich genau.
Als die Grünen noch "Schmuddelkinder" waren
Mit Magerl und Knur kann man auch in die 80er Jahre reisen, als die Grünen als „Schmuddelkinder“ geschmäht wurden und Magerl 1986 als einer von 15 Abgeordneten in den Landtag einzog, mit einem Päckchen verstrahlten Heus als Geschenk für Ministerpräsident Strauß, nach dem später der Flughafen im Erdinger Moos benannt wurde. Die Katastrophe von Tschernobyl lag fast ein halbes Jahr zurück.
Magerl wurde zu einer Zeit „politisiert“, als Herbert Knur 1972 aus der SPD aus- und 1977 in die CSU eintrat. Damals liefen im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens zum Flughafenneubau im Erdinger Moos Erörterungstermine, und Magerl ärgerte sich, wie „der Staat“ mit den Leuten und ihren Ängsten umsprang, so „von oben herab“. Auch Knur hatte sich geärgert, über den Umgang des linken Parteiflügels der Münchner SPD mit Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel. Knur erinnert sich genau. Er verehrt Vogel bis heute, und bis heute machen für ihn Köpfe Parteien aus, mehr als deren Programme.
1979, Knur war Hauptverwaltungsleiter und Pressesprecher des Landratsamtes Erding, wurde der Flughafen-Neubau genehmigt. Die zuständigen Gerichte befassten sich anschließend mit Klagen von Flughafengegnern. Nach einem Baustopp wurde 1987 das erste Gebäude errichtet. Magerl zog von einem Dorf ins andere, zeigte in den Wirtshäusern Dias von der Baustelle und Flugrouten-Pläne. Im März 1988, „es war saukalt“, seien die Leute bis auf die Straße hinaus gestanden, so groß sei das Interesse an seinen Informationsveranstaltungen gewesen. Über zwanzig Jahre danach tourt er wieder durch die Dörfer des Erdinger Mooses. Er hat einen Standardvortrag in drei Varianten, den er regelmäßig aktualisiert.
Aus Knur wird kein „Grüner“, aus Magerl kein „Schwarzer“. Und doch gleichen sich die beiden nicht nur in ihrer Sprech- und Argumentationsweise. „Er ist einer, der mit Fakten arbeitet“, lobt Knur Magerl. „Ich hege Hochachtung für den Mann“, sagt Magerl über Knur.
Und in Berglern flattern die Vögel auf den Dachfirsten auf.
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