Der Vollstrecker und sein Gegenspieler
Im Streit um den Atomausstieg haben Ministerpräsident Seehofer (CSU) und sein Wirtschaftsminister Zeil (FDP) bis zuletzt verhandelt. Durchgesetzt aber haben sich CSU-Minister Söder und FDP-Fraktionschef Hacker
München Hubert Aiwangers Prognose ist eindeutig. Mit dem Brustton der Überzeugung sagte der Chef der Freien Wähler im Landtag: „Wir werden in Bayern keine schwarz-gelbe Mehrheit mehr haben. Ich gehe davon aus, dass die Freien Wähler 2013 bestimmen werden, wer regiert.“ Ministerpräsident Horst Seehofer werde nach einer massiven Niederlage bei der Landtagswahl in der CSU eine Revolution erleben. Die FDP werde den Wiedereinzug in den Landtag verpassen. Und die Freien Wähler hätten die Wahl, entweder mit der CSU oder mit Rot-Grün zu regieren.
Aiwangers Wunschtraum ist der Albtraum der Regierungsparteien in Bayern. CSU und FDP wissen aus Umfragen, dass dieses Szenario Wirklichkeit werden könnte. Doch sie ziehen daraus eine Konsequenz, die auf den ersten Blick seltsam erscheinen mag: Statt durch gute Regierungsarbeit zu überzeugen, lassen sie alte Grabenkämpfe wieder aufbrechen. Der Streit um den Atomausstieg diese Woche zeigte, dass es dabei hinter Ministerpräsident Seehofer und seinem Vize, Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP), vor allem auf zwei Männer ankommt: Umweltminister Markus Söder (CSU) und FDP-Fraktionschef Thomas Hacker. Es kam nämlich nicht so, wie Seehofer und Zeil sich das gedacht hatten. Es kam so, wie Söder und Hacker es wollten.
Seehofers Taktik ging schon im CSU-Vorstand nicht auf
Seehofers Plan war taktisch klar: Er wollte mit einem starken Votum aus Bayern im Rücken in Berlin dafür streiten, das Jahr 2022 als Datum für den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft festzulegen. Doch seine Kraft reichte nur dazu, dem CSU-Vorstand bei der Klausurtagung in Kloster Andechs ein zwar einhelliges, aber trotzdem zweifelhaftes Votum abzutrotzen. Der Vorstand stimmte lediglich der „Grundlinie“ Seehofers zu, bis 2022 auszusteigen und den Anteil erneuerbarer Energien an der Stromerzeugung um 50 Prozent zu verdoppeln. Das schriftliche Energie-Konzept, das CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt vorgelegt hatte, blieb im Stadium des Entwurfs stecken.
Nach Andechs wollte Seehofer dann auch noch die FDP in der Staatsregierung auf Linie bringen. Im Berliner Koalitionsausschuss, der über den Ausstieg entscheidet, hätte er damit an diesem Wochenende einen starken Trumpf gegen die FDP in der Hand gehalten nach dem Motto: Wir in Bayern sind uns einig, sogar die Liberalen machen mit.
Wäre es nur nach Zeil gegangen, hätte Seehofer sich vermutlich durchgesetzt. Der FDP-Minister hatte ihm am Vorabend Gespräche über einen Kompromiss angeboten und sich tags darauf in der Kabinettssitzung angeblich schon von 2025 auf 2023 herunterhandeln lassen. Dann aber übernahmen die Hardliner das Ruder.
Söder drohte mit „tief greifenden Konsequenzen“
Erst drohte Söder mit „tief greifenden Konsequenzen“ – was als Rücktrittsdrohung gedeutet wurde, aber wohl eher als Kampfansage gemeint war. Aus Söders Umfeld jedenfalls verlautete hinterher, dass es ihm ganz recht sei, dass die FDP jetzt als „letzte Atom-Partei“ und „Nein-Sager-Truppe“ dastehe. Von Seehofers Versuch, die FDP mit ins Boot zu holen, habe er von Anfang an nicht viel gehalten.
Dann griff in einer Sitzungspause FDP-Fraktionschef Hacker ein und beendete die Verhandlungen mit einem strikten Nein. Mit Nachdruck, so heißt es, habe er seinen Wirtschaftsminister daran erinnert, dass es ein einstimmiges Votum in der FDP-Landtagsfraktion gebe, wonach ein Ausstieg realistischerweise erst frühestens 2025 möglich sei.
Söder und Hacker also setzten sich durch. Statt Einigkeit vorzugaukeln, suchen sie in der Atomdebatte die Konfrontation. Damit sind die Fronten klar: Der Umweltminister will demonstrieren, dass es der CSU ernst ist mit dem Ausstieg. Der FDP-Fraktionschef will seine Liberalen als „Partei der Vernunft“ etablieren. In Seehofers Projekt, die Mehrheitsfähigkeit der CSU durch die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie zu erreichen, sieht sich Söder als den Vollstrecker. Hacker avanciert als starker Mann der bayerischen FDP zu ihrem Gegenspieler.
Und Freie-Wähler-Chef Aiwanger kann für sich immerhin in Anspruch nehmen, als Erster ein konkretes Ausstiegsdatum für Seehofer genannt zu haben.
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