Den Sündenbock will er nicht spielen
Horst Seehofer gibt sich nach der Wahlpleite selbstkritisch – zumindest ein bisschen. An seinem Amt hält er trotzdem fest. Die CSU-Landesgruppe identifiziert inhaltliche Schwächen
Es ist ein bemerkenswerter Tag in Berlin: Einer der unbeliebtesten Politiker der Bundesregierung will verprellte Wähler zurückgewinnen. Zwei Tage nach der CSU-Wahlpleite in Bayern versucht Horst Seehofer, die Misere vor der Bundespressekonferenz zu erklären. Die Arme hält er immer wieder vor der Brust verschränkt, als wolle er sich auch körperlich zusammenreißen. Der neue Seehofer gibt sich als sanfter Seehofer. Es müsse immer klar sein, was man vertrete, erklärt der Innenminister und CSU-Chef. „Aber man kann richtige Positionen auch milde“ – er korrigiert sich – „milder vertreten“. Für diesmal gelingt es: Der neue Seehofer hat den alten im Griff. Doch reicht das aus?
An seinem eigenen ungebrochenen Willen, sowohl als CSU-Chef als auch als Bundesinnenminister weiterzumachen, lässt Seehofer am Dienstagmittag bei seiner Wahl-Analyse keinen Zweifel. Das Medieninteresse ist so groß wie sonst allenfalls bei Auftritten von Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Während noch Journalisten in den Saal drängen, kommt auch schon Seehofer, ganze acht Minuten zu früh. Er nimmt Platz, knipst ein Grinsen an wie eine Lampe und scheint das Blitzlichtgewitter zu genießen. Deutlich entspannter als in den vergangenen Tagen sieht er aus. Wie einer, der erst am Sonntag das Abrutschen seiner Partei um gute zehn Prozentpunkte auf nur noch 37,2 Prozent hinnehmen musste, wirkt er nicht. Und erst recht nicht wie jemand, der sich dafür zum Sündenbock stempeln lassen will.
Weil es aus Sicht der CSU am Sonntag nicht ganz so schlimm gekommen ist, hat der Druck auf Seehofer merklich nachgelassen. Nur vereinzelt werden in der CSU Rücktrittsforderungen laut. Zwei Kreisverbände, ein CSU-Landrat und mehrere Mitglieder von Bezirksvorständen fordern bereits seine Ablösung. Es dürfte nun auf einen Parteitag hinauslaufen, auch weil die mächtige Oberbayern-CSU inzwischen einen solchen fordert.
Der Vorsitzende selbst sieht für das schwächste Abschneiden seiner Partei bei einer Landtagswahl seit mehr als einem halben Jahrhundert ganz andere Gründe als den Dauerstreit in der Großen Koalition, bei dem er die männliche Hauptrolle spielt. Bayern habe in vielen Bereichen „fraglos die beste Bilanz“, trotzdem habe die regierende CSU ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren. Seehofers Analyse zielt kaum verhohlen in Richtung der Wahlkampfstrategen in Bayern.
Auch die zweite Schlussfolgerung Seehofers weist nach München: „Die Menschen wollten offenbar nicht mehr, dass die CSU alleine regiert.“ Das müsse die Partei nun wohl oder übel akzeptieren. Zudem sei die CSU durch Änderungen der gesellschaftlichen Strukturen in eine „Sandwich-Position“ geraten, unter Druck von zwei verschiedenen Seiten. Auf der einen Seite des politischen Spektrums seien Wähler an die Grünen verloren worden, auf der anderen Seite aber auch an die AfD und die Freien Wähler. Und zwar doppelt so viele wie an die Grünen. Es sei also keineswegs so, dass die CSU vor allem für Seehofers harte Positionen in der Flüchtlingspolitik abgestraft worden sei.
Zuvor, in einer Sitzung der Landesgruppe, hat sich Seehofer rund einem Dutzend kritischer Wortmeldungen stellen müssen. Wie Teilnehmer übereinstimmend berichten, wurde als Konsequenz aus dem Landtagswahl-Debakel ein Kurswechsel in Stil, Kommunikation und Themensetzung der CSU angemahnt. Der Augsburger Bundestagsabgeordnete Volker Ullrich mahnte nach eigenen Angaben eine „klare und tief greifende Analyse des Wahlergebnisses“ an. Auch Stil und Kommunikation müssten auf den Prüfstand. „Wer nur nach rechts schaut, wird in der Mitte mehr verlieren“, sagt Ullrich mit Blick auf die künftige inhaltliche Ausrichtung. Über künftige Themenschwerpunkte und auch über Personalfragen müsse „wirklich ergebnisoffen diskutiert werden“.
Unionsfraktionsvize Ulrich Lange (Nördlingen) fordert „mehr Breite in den Themen und weniger Konflikt“. Es gelte, die Verzahnung zwischen München und Berlin deutlich zu verbessern. „Schließlich lag gerade darin immer die Stärke der CSU als Vertreterin bayrischer Interessen in Berlin.“ Digitalexperte Hansjörg Durz aus Neusäß sieht auch „Stilfragen“ als Ursache für das schlechte Abschneiden. Die CSU müsse sich zudem auch Gedanken machen, warum sie bei Erstwählern und im städtischen Milieu so wenig punkten konnte.
Georg Nüßlein, Unionsfraktionsvize aus Neu-Ulm, sieht Luft nach oben, was die Positionierung der CSU in der Umweltpolitik betrifft. Doch das bedeute nicht, dass die CSU den „wirtschaftsfeindlichen und von Verboten geprägten“ Kurs der Grünen kopiere. Es sei richtig, nach der Regierungsbildung alles auf den Prüfstand zu stellen, auch das Personal. Doch die CSU solle sich jetzt nicht „in die Selbstzerfleischung drängen lassen“.
Trotz vereinzelter Kritik – die Landesgruppensitzung verlässt CSU-Chef Horst Seehofer jedenfalls in scheinbar gelöster Stimmung. In der Bundespressekonferenz erklärt er, wie er sich die Zukunft vorstellt. An der Großen Koalition wolle die CSU festhalten, doch gleichzeitig werde es natürlich weiter Diskussionen geben, etwa beim Einwanderungsgesetz. Nötig sei eine neue Debattenkultur, auch über Stil und Ton müsse jetzt geredet werden, räumt er ein. Im Hinblick auf seinen häufigen Streit mit Kanzlerin Angela Merkel sagt er grinsend: „Ich habe doch gutes Verhalten zugesagt.“ Und ergänzt, dass er sich „irgendwelchen Machtfragen“ nicht mehr stellen müsse. „Ich werde jetzt 70, ich bin froh, wenn ich mich zu Hause durchsetze.“
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