
Horst Seehofer: "Was in Afghanistan geschieht, ist ein Desaster"


Exklusiv Bundesinnenminister Seehofer spricht im Interview über zu erwartende Flüchtlingsströme, Kritik an der EU und warum er den Einsatz in Afghanistan für gescheitert hält.
Herr Seehofer, in Afghanistan spitzt sich die Lage immer weiter zu, der Vormarsch der Taliban zwingt Menschen zur Flucht. Kommt eine neue Flüchtlingswelle auf Deutschland zu?
Horst Seehofer: Man muss damit rechnen, dass sich Menschen in Bewegung setzen, auch in Richtung Europa. Das ist keine Angstmache, sondern eine realistische Beschreibung der Situation. Dabei müssen wir nicht nur den Krisenherd Afghanistan im Blick behalten, sondern genauso Belarus, Pakistan, den Iran, die Türkei, Tunesien, Marokko, Libyen – um nur die wichtigsten zu nennen. Wir stehen vor schwierigen Entwicklungen.
Sie haben in der vergangenen Woche kurzfristig entschieden, die Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen – es wirkt wie ein Meinungsumschwung. Was hat Sie dazu bewogen?
Seehofer: Wir haben als Bundesinnenministerium seit Wochen bei jeder Abschiebung darauf hingewiesen, dass wir die Sicherheitslage in Afghanistan genau beobachten und Abschiebungen dann nicht mehr durchführen, wenn die Sicherheit für die Beteiligten, also für die Abzuschiebenden, das Begleitpersonal und die Flugzeugbesatzung nicht gewährleistet werden kann. Ich kann so manche Berichterstattung, ich hätte eine Kehrtwende hingelegt, nicht nachvollziehen, denn ich habe immer auf diesen Zusammenhang hingewiesen. Wir können stündlich verfolgen, wie sich die Situation in Afghanistan entwickelt. Die Botschaften werden evakuiert. Die Sicherheit ist aktuell nicht mehr gewährleistet. Sie müssen sehen: Bei einem Flug abzuschiebender Personen sind Polizisten, Ärzte, Übersetzer und Verwaltungsangestellte in der Maschine. Ich muss auch an deren Sicherheit denken. Deshalb habe ich mich am Mittwoch ganz persönlich entschieden, diese Flüge auszusetzen. An der Richtigkeit der Entscheidung kann man nicht ernsthaft zweifeln, denn die Situation hat sich seither noch verschärft. So wichtig es ist, dass Straftäter und Gefährder abgeschoben werden: Ich kann das angesichts des derzeit bestehenden hohen Risikos nicht verantworten.
Horst Seehofer: "Wir haben bislang nur Straftäter abgeschoben"
Befürchten Sie, dass durch die Garantie, dass niemand abgeschoben wird, Flüchtlinge motiviert werden, sich auf den Weg nach Deutschland zu machen?
Seehofer: Nein, diese Befürchtung habe ich nicht. Die vielen Krisenherde, die ich Ihnen genannt habe und aus denen sich neue Flüchtlingsströme ergeben können, haben vor allem mit der innenpolitischen Situation in den Ländern zu tun und nicht mit der Frage, ob abgeschoben wird oder nicht. Außerdem haben wir bislang ohnehin nur Straftäter und Gefährder nach Afghanistan abgeschoben.

Afghanistan hat für Deutschland durch den langen und schwierigen Bundeswehreinsatz eine besondere Bedeutung. Wie blicken Sie auf diese Krise?
Seehofer: Was im Moment in Afghanistan geschieht, ist ein Desaster. Das große Ziel war es, die Lebensbedingungen für die Menschen zu verbessern und Stabilität ins Land zu bringen. Heute muss man leider festhalten: Das ist gescheitert. Das trifft mich auch menschlich sehr.
War der Einsatz der Bundeswehr umsonst, war er ein Fehler?
Seehofer: Die Motivation für den Einsatz in Afghanistan war damals berechtigt. Hinzu kam die Bündnistreue gegenüber den Amerikanern nach dem 11. September 2001. Aber im Ergebnis ist der langfristige Einsatz nach 20 Jahren relativer Stabilität gescheitert. Das ist das Betrübliche. Trotzdem würde ich nicht sagen, dass man sich damals anders hätte entscheiden müssen. Es gibt in der Außenpolitik Entwicklungen, die scheitern – trotz bester Motivation.
Horst Seehofer: "Leider waren die Erfolge nicht nachhaltig"
Es gab ja auch Erfolge – die nun aber von den Taliban in kürzester Zeit wieder zunichte gemacht werden.
Seehofer: Genau so ist es. Ich war immer ein etwas kritischer Abgeordneter in unserer Fraktion, was den Einsatz betrifft. Aber mir wurde gesagt, dass deutliche Verbesserungen für die Frauen, für die Bildung, für die Schulen erreicht wurden. Das habe ich akzeptiert. Aber leider waren diese Erfolge nicht nachhaltig. Das ist das Dilemma.
War der Westen vielleicht zu naiv? Die afghanische Gesellschaft ist grundlegend anders.
Seehofer: Es ist eine völlig andere Kultur. Trotzdem sollte man immer wieder versuchen, die Grundwerte, die uns prägen und die uns auch hier in Europa stabile Demokratien beschert haben, in anderen Ländern zu etablieren. Wir haben leider auch nach dem arabischen Frühling erleben müssen, dass dies ein äußerst schweres, wenn nicht gar unmögliches Unterfangen ist. Jedenfalls kurzfristig.

Die deutsche Politik ist aktuell zum Zuschauen verdammt, die Bundeswehr ist abgezogen. Wie kann den Afghanen jetzt geholfen werden?
Seehofer: Ein militärisches Eingreifen halte ich nicht mehr für möglich. Das, was jetzt durch die Amerikaner und durch die Briten geschieht, dass man die Reduzierung des Botschaftspersonals militärisch absichert, ist das Maximum. Jetzt schlägt die Stunde der Außenpolitik. Die Innenpolitik kann nicht Entwicklungen in der Außenpolitik korrigieren. Die Außenpolitik muss jetzt auf europäischer Ebene abgestimmt werden. Leider ist die europäische Kommission in dieser so entscheidenden Phase sehr zurückhaltend. Gemeinsam mit den westlichen Partnern, den Amerikanern muss man versuchen, über die Diplomatie einen Weg zu finden, Grundelemente des Dialogs zu retten – im Interesse der Menschen. Das Gleiche gilt gegenüber Belarus, Marokko, Tunesien. Aber das geht nur im internationalen Verbund, das kann Deutschland allein nicht schultern.
"Die Entwicklung in Afghanistan berührt mich auch persönlich sehr"
Wird der Politik in solchen Situationen vorgeführt, wie sehr sie bisweilen zur Hilflosigkeit verdammt ist – während die Menschen im Land leiden?
Seehofer: Es ist nur zu begrüßen, dass die Nichtregierungsorganisationen erklären, dass sie weiterhin in Afghanistan tätig bleiben wollen, um den Menschen zu helfen. Von der medizinischen Versorgung bis zum Brunnenbohren. Das ist sinnvoll. Die Politik muss aber dafür sorgen, dass die Sicherheit auch dieser Helfer gewährleistet ist. Die Entwicklung in Afghanistan ist wirklich sehr bitter und berührt mich auch persönlich sehr. Gerade weil es der Kern des politischen Anliegens war, die Lebensbedingungen der Menschen Stück für Stück zu verbessern. Jetzt muss man miterleben, dass es einen gewaltigen Rückschlag gibt.
Die Diskussion ist geschlossen.
Ich glaube, Seehofer glaubt wirklich, was er da sagt: dass nur Straftäter nach Afghanistan abgeschoben wurden. Auch die AZ hat über Fälle berichtet, wo völlig unbescholtene Menschen, die Arbeit, Wohnung und soziales Umfeld hatten, abgeschoben wurden. Auch nach Afghanistan. Ich würde mir sehr wünschen, dass ihm die 69 zu seinem Geburtstag Abgeschobenen öfter mal im Traum erscheinen.
Die neuen Machthaber in Afghanistan werden nicht nur unfreundlich begrüßt. Eine nicht geringe Anzahl will ein solches System, das die Taliban nun aufbauen werden. Nicht alle politischen System sind westlich orientiert.
Wer produziert den die Kriege in den Kriesenländer, es ist der Islam. Aber das man in all den Ländern von Lybien bis Afghanistan keine Demokratie nach westlichen Mustern transferieren kann sollte eigentlich jedem klar sein. Diese Menschen sind nicht reif für Demokratie. Die Armee in Afghanistan war hoch ausgerüstet und ausgebildet, aber sie haben den Taliba welche aus dem Untegrund kamen nicht entgegengesetzt, gegen diese Macht hätten die Taliban keine Möglichkeit der Übernahme gehabt, wenn die Armee es nicht zugelassen hätte. Man sieht es daran, was gewollt war, das die Taliban gerüstet sind wie ein Natoland. Wenn ein Politwechsel nicht von der eigenen Bevölkerung kommt, von Außen kann man es nicht erzwingen und dort war er von der Mehrheit nicht gewollt.
Es sind nicht der Islam, es waren und sind die amerikanischen Waffenproduzenten.
Nachdem jetzt Afghanistan gefallen ist werden wir irgendwo in der Welt einen neuen Feind finden , der neue Waffen braucht!
Frage: wer wird dieser sein?
"Die Taliban durch einen Steinzeit Islam, der immer mehr Anhänger findet, auch in der Türkei."
Hätten Sie jetzt noch eine Antwort auf die Frage, warum denn dieser Steinzeit-Islam für so viele Menschen, beileibe nicht nur alles Dummköpfe, offenbar attraktiver ist, als die westlich-kapitalistischen Demokratien, in denen es bei genauerem Hinsehen mit den Menschenrechten auch nicht so weit her ist?
Religiöser Fanatismus allein dürfte kaum die Ursache sein.
10 Jahre waren die "bösen" Russen am Kunduz und 20 Jahre die "guten" Amis und ihre Beauftragten. Was hat es genutzt?
Die "bösen" Russen tun sich z.B. durch staatliche Tötung von Oppositionellen hervor. Die Taliban durch einen Steinzeit Islam, der immer mehr Anhänger findet, auch in der Türkei. Die USA haben durch Islamisten tausende Tote zu beklagen, deren Terroristen sich vor allem in Afghanistan organisieren konnten. Es ist ein Dilemma. Demokratie ist leider kein Selbstläufer, die USA alles andere als fehlerfrei, aber die einzige echte Kraft für Demokratie und Menschenrechte in der Welt.
Unsere Politiker arbeiten seit Jahrzehnten mit den Amerikanern zusammen. Diese unterstützen sie, wo sie nur können.
Das Interesse an der Destabiliserung Eruopas wurde und wird weiterhin daran gearbeitet.
Obwohl das offiziell bekannt ist, macht man weiter wie bisher.
Auch ist es ein Armutszeugnis, das die REICHSTEN Länder der Welt es nicht geschafft haben, dort Wohlstand zu etablieren.
Man hatte sich nur auf kriegerische Auseinandersetzungen konzentriert.
Nicht um das wohlergehen der Bevölkerung.
Wohlstand geht nur mit Arbeit, Bildung, Leistungswillen und Einbindung von Frauen in das Erwerbsleben.
"Wohlstand geht nur mit Arbeit, Bildung, Leistungswillen und Einbindung von Frauen in das Erwerbsleben."
Trotzdem reicht es immer mehr Familien nicht mal für die Miete, geschweige denn Wohneigentum . . .
Statt Sozialleistungen zu kürzen, wie Sie es an anderer Stelle fordern, sollte bei den Sozialschmarotzern zugelangt werden, denen Staat und Sozialkassen mit Kurzarbeitergeld während des Lockdowns den Laden gerettet haben. Und die jetzt großzügig Dividenden verteilen.
Liebe Ilona V.: Auch "unbescholtene Afghanen" haben in Deutschland nix zu suchen!!
Denn Deutschland ist nicht der (momentan noch) "etwas friedlichere" Vorposten von Afghanistan!
Also.. verfolgte Menschen haben erstmal grundsätzlich ein Recht auf Asyl. Auch aus Afghanistan stammende. Wenn Sie dies ablehnen, müssen Sie auch dazu stehen, damit die Verfassung der BRD abzulehnen.
Seehofer behauptet halt eine Tatsache, die von Fakten nicht gestützt wird. Wenn er gesagt hätte "jo, wir schieben auch ungefährliche, nicht kriminelle, Afghanen mit Ausbildungsplatz ab" wär er wenigstens ehrlich.
"Also.. verfolgte Menschen haben erstmal grundsätzlich ein Recht auf Asyl."
Leider falsch. Lesen Sie §16a GG. Dieses falsche Argument wird immer wieder verwendet.
Ob ein Mensch hier etwas zu suchen hat, darf nicht davon abhängen, ob einer schwarz, gelb oder gestreift ist. Der Spruch "Deutschland den Deutschen" ist nicht nur von vorgestern, sondern auch ziemlich dumm. In einer globalen Welt kann man nicht mehr die Schranken runtermachen wie es einem passt, man muss sich schon arrangieren mit dem Rest der Welt. Und wenn man mit den Dikatoren dieser Welt gute (Waffen-)Geschäfte machen will, muss man eben die Kollateralschäden aufnehmen.
https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/rede-des-bundesministers-der-verteidigung-dr-peter-struck--784328
Rede des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Peter Struck (SPD)
>> Um zu verdeutlichen, worum es wirklich geht, habe ich davon gesprochen, dass unsere Sicherheit auch am Hindukusch verteidigt wird. <<
Dann müssen wir jetzt in Deutschland weiter kämpfen?
Oder ist hier auch eine kampflose Übergabe geplant?
"Oder ist hier auch eine kampflose Übergabe geplant?"
Wir sollten auf jeden Fall eine Verhandlungslösung bevorzugen . . .
Ja, aber erst am Montag, den heute ist Sonntag. Da wird ja nicht mal das Botschaftspersonal aus Kabul ausgeflogen, obwohl die Taliban bereits vor den Toren stehen. Erst müssen die Rettungsmaßnahmen natürlich auch noch durch den Bundestag mandantiert werden und ob schon eine Lösung für die zu zahlenden Überstunden des Flugpersonals gefunden ist weiß man auch nicht. Da kann man nur hoffen, dass die Taliban noch ein paar Wochen mit dem Sturm auf Kabul warten, bis auch die letzte Büroklammer in der deutschen Botschaft in Kabul inventarisiert wurde und man dann alle ausfliegen kann.
Flucht aus Kabul. Helos über der US Botschaft, das erinnert an Saigon, als der Vietcong die Einnahme der Stadt begann, nachdem die südvietnamesische Armee nicht in der Lage oder willens war , das Land zu verteidigen. Analog Afghanistan- sobald die Schutzmacht ihre Truppen abzieht, bricht das System zusammen.
Seehofer behauptet es wären nur Straftäter oder Gefährder bisher abgeschoben worden?
Mindestens 50 der 69 Abgeschobenen zu Seehofers 69sten Geburtstag waren unbescholten.
Entweder er glaubt wir haben das vergessen, oder er selbst hat es vergessen.
Quelle:
https://www.tagesschau.de/investigativ/panorama/abschiebung-afghanistan-seehofer-103.html
"Die vielen Krisenherde, die ich Ihnen genannt habe und aus denen sich neue Flüchtlingsströme ergeben können, haben vor allem mit der innenpolitischen Situation in den Ländern zu tun und nicht mit der Frage, ob abgeschoben wird oder nicht. Außerdem haben wir bislang ohnehin nur Straftäter und Gefährder nach Afghanistan abgeschoben."
Dem kann man nur widersprechen. Das Wunschziel nahezu aller Migranten ist Deutschland. Sind doch hohe Sozialleistungen und geringen Abschiebezahlen ein Magnet für Migranten aus der ganzen Welt. Alle wollen nach Deutschland, nicht in die EU!
Der Wunschzettel mit Deutschland ist nur bei den nicht gut ausgebildeten oder armen Migranten vorhanden. Wer Geld und /oder eine gute Ausbildung hat, der geht wahlweise in die USA oder nach Kanada. Denn die lassen nur Migranten und Flüchtlinge mit Geld und /oder einer guten Ausbildung rein. Bitter aber wahr. Die wenigen Fälle von armen Flüchtlingen sind zahlenmäßig unbeachtlich. Dem entgegen wird die EU, insbesondere Frankreich und Deutschland absaufen, wenn wir weiter die Folgen der ewigen US Eskapaden ausbaden dürfen.
Wer es anders sieht möge darstellen, wieviele Flüchtlinge aus Afghanistan, Irak, Libyen, etc. jeweils vor dem US Kriegen und danach in Deutschland angekommen sind.
@ ANDREAS B.
Immerhin arbeiten in Deutschland rund 56000 ausländische Ärzte, davon ca. 4970 syrische.
Ihre Meinung zur Rolle der USA in den Krisenregionen dieser Erde und insbesondere Bush jr. betreffend teile ich zu 100%.