Für den Klimaschutz sollen mehr Reisende und Güter über die Schiene transportiert werden. Dazu müssen allerdings erst gewichtige Nachteile beseitigt werden.
Eigentlich ist gerade kein geeigneter Zeitpunkt, um über eine Stärkung der Bahn zu reden. Wegen des Coronavirus scheuen sich viele Reisende, in einen Zug zu steigen. Die Auslastung ist gering. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will mit seinen Amtskollegen aus den EU-Staaten an diesem Montag dennoch eine Berliner Erklärung zum Bahnverkehr verabschieden. In der gesamten Europäischen Union soll sie der Auftakt dafür sein, sowohl den Passagier- als auch den Güterverkehr zu stärken.
Die Bahn soll das umweltfreundliche Verkehrsmittel werden, um die Aufheizung des Planeten zu bremsen. Das Ziel wird oft beschworen, doch die eindringlichen Worte ändern bislang nichts daran, dass Europa noch weit davon entfernt ist. Das hat mehrere Gründe. In der Eisenbahn geht es zwar einerseits jeden Tag um nichts anderes als Zeit, damit der Fahrplan eingehalten werden kann. Andererseits sind die großen Bahngesellschaften langsame Bürokratien. Umstellungen brauchen Jahre, zum Beispiel weil Strecken neu gebaut oder neue Züge angeschafft werden müssen. Die Netze sind zudem nicht international ausgerichtet, sondern national, was damit zusammenhängt, dass das Militär früher bei der Planung ein erhebliches Wörtchen mitredete.
Nur wenn Fliegen teurer wird, rechnet sich die Bahn
Die Bahngesellschaften in Europa schleppen alle viel Geschichte mit sich herum, aber das muss nicht nur ein Nachteil sein. Verkehrsminister Scheuer greift sich einen leuchtenden Aspekt heraus und will die Linien des Trans-Europ-Express (TEE) wieder aufleben lassen. Gediegenes Reisen in der ersten Klasse auf dem Weg in eine andere Metropole des Kontinents, als Fliegen reiner Luxus war. Eine Renaissance dieser Expresszüge kann nur gelingen, wenn Flüge teurer werden. Die Kosten für den Ausstoß von Kohlendioxid samt seiner Folgen für die Umwelt müssten voll in den Ticketpreis einberechnet werden. Es geht nicht darum, das Fliegen zu verbieten, sondern für die Bahn gerechte Wettbewerbsbedingungen zu schaffen. Für lange Distanzen braucht Europa eine Renaissance der Nachtzüge, um beim Reisen weniger Zeit zu verlieren.
Apropos Zeit: Das Verlegen und Ertüchtigen von Gleisen muss viel schneller gehen, und hier hat Gastgeber Scheuer vor der eigenen Türe zu kehren. Die deutschen Zubringer zum Brenner-Basistunnel und zum Gotthard-Basistunnel liegen Jahrzehnte hinter dem Plan. Eine Beschleunigung der Vergabeverfahren ist zwar beschlossen, ob sie wirkt, müssen die nächsten Jahre zeigen.
Die Bahn braucht eine Chance im Wettbewerb mit der Straße
Beim Güterverkehr leuchtet der Rückgriff auf die Vergangenheit weniger gülden, sondern rostrot. Gekoppelt werden die Waggons wie in der Pionierzeit der Eisenbahn mit der Hand. Das kostet viel Geld und dauert. Ohne die Automatisierung haben Güterzüge keine Chance gegen den Lastwagen.
Ihnen stehen aber noch andere Hindernisse im Weg. Während ein Lkw-Fahrer beispielsweise in Kopenhagen einsteigt und seine Ladung nach Turin steuert, braucht er dafür nur einen Führerschein. Die Verkehrszeichen sind nicht in allen Ländern gleich, aber doch harmonisiert. Anders auf der Schiene, wo sich die Verkehrszeichen je nach Land deutlich unterscheiden können. Die Lokführer müssen deshalb an den Grenzen wechseln, oder brauchen eine Lizenz für das andere Land. Dafür sind teilweise auch Sprachkenntnisse vorgeschrieben. Im Transportsektor, wo die Konkurrenz im Cent-Bereich entschieden wird, sind das erhebliche Nachteile. Eine europäische Vereinheitlichung würde den Güterzügen helfen, im Wettbewerb gegen die Straße eine faire Chance zu haben. Scheuer und seine Kollegen haben viel Arbeit vor sich.
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Noch ist der Zug nicht abgefahren, weil trotz Privatisierung die Bahn zum Glück immer noch nicht an der Börse ist. Vor der Privatisierung war die DB ein Fortbewegungsmittel für die Unterschicht, etwas angegammelt aber preiswert. Wenn man sich die heutigen schwindelerregend hohen Preise für Fernreisen von ca. 30 Cent pro Person und Kilometer anschaut (welche Familie soll das zahlen?), hat sich viel geändert. Außerdem ist es ein Unsinn zu behaupten, die Bahn wäre nicht international. Nach dem Wiederaufbau aus den Trümmern des zweiten Weltkriegs war das System sehr leistungsfähig und verband die Zentren der Städte miteinader. Auch vor einer Schengenzone konnte man relativ unkompliziert über die Grenzen Westeuropas reisen.
In Stuttgart wurden Milliarden von Euro in einen sinnlosen Tunnelbahnhof reingepumpt und dadurch das Stadtbild nachhaltig zerstört, während 100 Jahre alte Eisenbahnbrücken vor sich hinrosten und es eine Frage der Zeit ist, bis es zu einem großen Unglück kommt. Bekannter Weise lässt der pseudo- privatisierte Konzern die Brücken verfallen, damit der Bund die Renovierungskosten zahlen kann, obwohl das eigentlich ein Nullsummenspiel ist, die DB befindet sich ja zu 100% im Bundeseigentum.
Das Fliegen teurer und damit wieder zum Luxus der Wohlhabenden zu machen, kann am stümperhaften Umgang mit der Bahninfrastruktur nichts ändern.
Sehr gut argumentiert! Die Schweiz ist wieder einmal Magnum Exemplum!