Wahlkampf in Hamburg: Wenn dem Bürgermeister Pferdewurst angeboten wird
Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) kämpft gegen Katharina Fegebank (Grüne) um die Wiederwahl. Welche Auswirkungen hat ein Finanzskandal?
„Moin Herr Bürgermeister, unsere Pferdewurst, die müssen Sie probieren“, lockt der Mann vom Imbisswagen. Peter Tschentscher, kahlköpfiges Oberhaupt des Stadtstaats Hamburg, hat entweder schon gefrühstückt oder keinen Appetit auf die Spezialität aus der Rossmetzgerei. Der schlanke Mann mit der dunklen Drahtbrille lässt den Snack ausfallen.
Ein „Schnack“ aber, ein Plausch, ist natürlich drin beim Rundgang über den Wochenmarkt von Harburg, einem der ärmsten Teile der Hansestadt. Schließlich kämpft der SPD-Politiker um sein Amt – am Sonntag ist Bürgerschaftswahl. In Umfragen hat der Nachfolger von Olaf Scholz zwar Vorsprung vor seiner grünen Herausforderin Katharina Fegebank. Doch im Wahlkampfendspurt droht die Hamburger SPD in den Strudel eines Finanzskandals zu geraten. Die Affäre um krumme Geschäfte einer feinen Privatbank könnte Tschentscher gefährlich werden.
Auf dem Wochenmarkt in Hamburg ist die Stimmung gedämpft
Um Geld geht es auch am Pferdewurststand. Wie es um den Umsatz stehe, will der 54-Jährige vom Besitzer wissen. „Katastrophal“, antwortet der, das treffe alle Marktleute. Früher hätten sich die Familien den Einkauf auf dem Wochenmarkt leisten können, auch mit nur einem Einkommen. „Heute müssen beide arbeiten, und es reicht nur für den Discounter.“ Tschentscher nickt – und wirbt bei älteren Kunden um Unterstützung: „Wir haben gehalten, was wir versprochen haben, kostenlose Kitas und Ganztagesbetreuung an Schulen eingeführt, den Wohnungsbau angekurbelt.“
Harburg mit seinen fast 170.000 Einwohnern gilt als Problembezirk – weit entfernt von Weltläufigkeit und Hafen-Romantik, vom Glanz der Elbphilharmonie, vom gediegenen Wohlstand der Elbvororte. Harburg ist auch kein quirliger Szene-Kiez wie die Sternschanze. Für die Bewohner der anderen, der „richtigen“ Elbseite ist Harburg gar nicht Hamburg. Sondern schon „Nordbayern“.
Doch weil die Hansestadt mit ihren 1,8 Millionen Einwohnern beständig wächst, sind auch in Harburg die Mieten zuletzt massiv gestiegen. Viele Menschen treibt ihre Wohnsituation um, wie kein anderes Thema. Tschentscher kann auf die vielen neuen Gebäude verweisen, die in Harburg in den vergangenen Jahren entstanden sind – etwa am Binnenhafen. Ein Drittel der Appartements in den Blocks am Wasser sind Sozialwohnungen.
Amtsinhaber Tschentscher kommt im Wahlkampf bei den Menschen an
„Na denn, toi, toi, toi“, verabschieden sich die Gäste des Pferdewurststands. Tschentscher geht vorbei an der Auslage des Fischhändlers, aus der mit aufgerissenen Mäulern zwei riesige Rotbarsche starren. Wird hier von einer Rentnerin begrüßt und dort von einer türkischstämmigen Familie um ein Selfie gebeten. Als er sich zu einem Mädchen hinunterbückt, sagt er: „Du hast aber kalte Hände.“ Die Mutter strahlt.
Seine Begleiter von der traditionsreichen Harburger SPD, der politischen Heimat Herbert Wehners, freuen sich, wie gut der Spitzenkandidat bei den Marktbesuchern ankommt. Das sei nicht zu erwarten gewesen, als Tschentscher Ende März 2018 Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt Hamburg wurde. Der Posten war vakant, weil Olaf Scholz als Vizekanzler und Bundesfinanzminister nach Berlin wechselte. Tschentscher galt als stiller, unscheinbarer Arbeiter im Hintergrund der Partei. Inzwischen nennt ihn ein Harburger Genosse eine „Rampensau“.
Tschentscher, der studierte Mediziner, hat etwas Onkel-Doktor-haftes, manche seiner Sätze klingen wie Diagnosen, an denen es nichts zu deuteln gibt, nüchtern und wissenschaftlich. „Es gab da keine Einflussnahme“, ist so ein Satz. An diesem sonnigkalten Morgen sagt er ihn mehrmals.
Weil Leute ihn auf den „Cum-Ex-Skandal“ ansprechen. Die Steuerbehörden hatten laut Berichten 2017 im Zusammenhang mit Cum-Ex-Geschäften eine mögliche Steuernachforderung an die Warburg-Bank über 47 Millionen Euro verjähren lassen. Die Opposition wittert eine Einflussnahme der regierenden SPD, deren Finanzsenator Tschentscher damals war. Doch der Bürgermeister weist jeden Verdacht weit von sich, die SPD sieht in den Vorwürfen ein unfaires Wahlkampfmanöver.
An den Wahlplakaten kommt in Hamburg-Harburg keiner vorbei
Harburg mag als alte SPD-Hochburg gelten, doch auch die politische Konkurrenz versucht zu punkten. Überall im von breiten Nachkriegsstraßen durchschnittenen Stadtgebiet sind Wahlkämpfer unterwegs. Die Wände der gekachelten Unterführungen sind mit Plakaten zugepflastert.
Auf dem Stoffmarkt vor dem Backstein-Rathaus wirbt ein FDP-Mitglied um Stimmen. Und bekommt von einem weißhaarigen Mann in schwarzer Regenjacke die Leviten gelesen. Die Wahl des FDP-Mannes Thomas Kemmerich zum Thüringer Ministerpräsidenten mit Stimmen der AfD sei ja wohl „eine echte Sauerei“ gewesen. Laut Prognosen bewegt sich die FDP um die Fünfprozenthürde, muss also um den Einzug in den Senat bangen. Am Wahlkampfstand der CDU beim Marktplatz ist es ruhig, obwohl sich Spitzenkandidat Marcus Weinberg angesagt hat. In Umfragen dümpeln die Christdemokraten bei rund 14 Prozent.
In der Lüneburger Straße, Harburgs Einkaufsmeile, wirbt ein Laden für den „Handyvertrag ohne Schufa“, „Harem Brautmoden“ hat prächtige orientalische Kleider dekoriert. Ein Junge im Grundschulalter steht an der Hand einer älteren Frau vor dem Schaufenster eines Pfandleihhauses. „Da sind die Ohrringe von der Jasmin“, ruft er. Die Frau nickt verlegen. Türkische Juweliere, Schnellrestaurants und Lebensmittelläden dominieren die Fußgängerzone. AfD-Plakate bleiben in diesem multikulturellen Umfeld nicht lange hängen. Hamburgweit liegt die AfD in den Umfragen um die sechs, sieben Prozent, die Linke knapp darüber.
Die Grünen lagen in den Umfragen lange gleichauf
Echte politische Gefahr droht Peter Tschentscher nur von einer Seite – von seinem Koalitionspartner, den Grünen. Katharina Fegebank, seine Stellvertreterin, will ihn stürzen. Und zeitweise sah es so aus, als könnte der 42-jährigen Wissenschaftssenatorin das auch gelingen. Eine Infratest-Umfrage im Januar sah Grüne und SPD gleichauf bei 29 Prozent. Inzwischen ist die SPD, die auf Wahlkampfhilfe aus der Berliner Parteizentrale verzichtet, auf 38 Prozent gestiegen. Dagegen sind die Grünen auf 23 Prozent gefallen. Bei den Harburger Grünen, die ausgerechnet auf dem Herbert-Wehner-Platz ihren Stand aufgebaut haben, herrscht über die Gründe Rätselraten. Während sie auf den Besuch Fegebanks warten, fragen sie sich: Haben sich manche Bürger von CDU und FDP nach dem Thüringen-Debakel der SPD zugewandt? Schließlich gilt die Hamburger SPD als pragmatisch und wirtschaftsnah.
Doch auch Fegebank ist gut vernetzt in Handel und Gewerbe. Die Mutter von einjährigen Zwillingen wird von standesbewussten hanseatischen Reedern und Kaufleuten gern als Gesprächspartnerin eingeladen, für ihre Hochschulpolitik geschätzt. Im Wahlkampf wird sie von der Grünen-Bundesspitze um Annalena Baerbock und Robert Habeck unterstützt. Denn auf Fegebank ruht die Hoffnung, dass Hamburg nach Winfried Kretschmanns Baden-Württemberg das zweite grün regierte Bundesland wird.
Plötzlich steht sie da, eine quirlige Frau im Wintermantel, den gelben Schal um den Hals geschlungen. Sie greift zum Mikrofon, vor dem „Sauna-Fass“, das ihre Parteifreunde aufgebaut haben. Von den eigenen Parteifreunden wird „Katha“ wie ein Star gefeiert. „Supertoll“, freut sie sich über den Empfang. Mit ihr als Bürgermeisterin werde Klimaschutz zur „Chefinnensache“ und Hamburg Klimahauptstadt Europas. Für die liberale Demokratie werde sie einstehen, die Grünen seien eine „Brandmauer gegen Rechts“. Einfache Sätze, kurze Botschaften. Mit den Passanten in Harburg ist es eher kompliziert.
Die Klimapolitik ist für viele Leute ein Reizthema
Ein Mann mit Kurzhaarschnitt und Funktionsanorak ist skeptisch, was die Klimapolitik der Grünen betrifft: „Autofahren, Heizung, Urlaub, alles soll teurer werden. Das trifft doch am Ende wieder nur die, die ohnehin knapp bei Kasse sind.“ Fegebank widerspricht: „Das sehe ich komplett anders.“ Die CO2-Bepreisung gehe ja mit einer Senkung der Strompreise einher. Und die Grünen würden sich ja auch für niedrigere Preise im Nahverkehr einsetzen, beteuert sie. Überzeugt ist der Mann nicht. Niedrigere Fahrpreise brächten wenig, wenn die S-Bahn-Anbindung so miserabel sei wie in Harburg, kontert er. Fegebank räumt ein, dass es da tatsächlich ein Problem gebe. Schuld sei aber die Bahn AG. Der Passant wirft dann noch ein, dass die oft elektrischen Carsharing-Autos in den Außenbezirken kaum verfügbar seien. „Das ist natürlich doof“, sagt Fegebank. Ob sie den Mann überzeugt hat, bleibt offen. Viele Wähler gelten noch als unentschlossen. Fegebank will alles versuchen, um von der Zweiten zur Ersten Bürgermeisterin zu werden.
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Dass die Strompreise fallen würden ist ein Märchen. So was glauben nur Infantile.