
Europa hat mit der Europäischen Politischen Gemeinschaft ein neues Forum


44 Staats- und Regierungschefs sind zum Gründungstreffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft zusammengekommen. Was das Ziel der neuen Vereinigung ist.
Eineinhalb Stunden dauerte das Schaulaufen der Macht. Island machte den Anfang, mit Belgien endete der Begrüßungsmarathon hoch oben in der Prager Burg vor der Bilderbuch-Kulisse der Stadt. Dazwischen schritten im Minutentakt und fein orchestriert mehr als 40 Staats- und Regierungschefs aus ganz Europa nacheinander über den langen roten Teppich, um sich im nicht weniger prächtigen Innern über die großen Krisen dieser Zeit auszutauschen.

Hier sollte an diesem Donnerstag im Oktober so etwas wie Geschichte geschrieben werden: die Gründung der Europäischen Politischen Gemeinschaft. Als „großen Tag für Europa“ würdigte folglich der tschechische Ministerpräsident und Gastgeber des Gipfels, Petr Fiala, das Treffen der Mammutrunde.
Tschechien hat in diesem Halbjahr die EU-Ratspräsidentschaft, weshalb Prag als Veranstaltungsort gewählt wurde. Mehr als 2200 Gäste, darunter Delegationen, Sicherheitsbeamte und rund 1200 Journalisten reisten aus ganz Europa an die Moldau.
Neben den 27 EU-Staaten waren weitere 17 Staaten geladen
Er sei „zuversichtlich“, dass sich daraus „etwas Nützliches und Vernünftiges ergibt“. Europa will im neuen Format auf die aktuellen Herausforderungen Antworten finden, ohne „eine Laberrunde“ zu sein, wie die britische Premierministerin Liz Truss im Vorfeld warnte. Die Konferenz ging auf eine Initiative von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zurück. Das von Brüssel ausgegebene Ziel. „eine Plattform für einen Dialog schaffen“.
Neben den 27 EU-Mitgliedern waren weitere 17 Länder geladen, darunter die Ukraine, die Türkei, die Westbalkan-Staaten, das Vereinigte Königreich und die Schweiz – Partner also, die entweder in die EU wollen oder keineswegs in die EU wollen oder aber von der EU nicht im inneren Zirkel gewollt sind. Es gehe darum, dass die Länder sich „auf Augenhöhe“ begegnen, sagte EU-Ratspräsident Charles Michel. Zugleich erhoffte man sich ein Zeichen der „Einheit“ gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin, sagte Macron. Stabilität. Solidarität. Und politische Kooperation.
Bei der Konferenz sollte es um Frieden, Sicherheit, Energie, Wirtschaft und das Klima gehen
Auf der Agenda für die vier Runden Tische standen einerseits die Themen Frieden und Sicherheit, andererseits Energie, Wirtschaft und Klima. Dass allein die Sitzordnung die Organisatoren vor Schwierigkeiten stellte, weil etwa die Nachbarn Armenien und Aserbaidschan verfeindet sind oder sich der Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland zuspitzt – geschenkt. Es war zunächst nicht überliefert, wie die bilateralen Probleme organisatorisch gelöst wurden. Für das traditionelle Familienfoto aber posierten alle bis auf die dänische Regierungschefin Mette Frederiksen, die aus innenpolitischen Gründen erst am Abend anreiste.

Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach von einer „großen Innovation“. Einen ganzen Tag lang „einfach frei von einer Tagesordnung und von der Notwendigkeit, Beschlüsse zu fassen, über die gemeinsamen Anliegen, die wir in Europa haben, sprechen“, so meinte Scholz, sei „gut für den Frieden und die Sicherheitsordnung“. Auch ihm waren natürlich nicht die kritischen Stimmen entgangen, die in den vergangenen Wochen den Sinn dieses neuen Formats infrage stellten.
Oder vor einem weiteren EU-Ableger warnten. Insbesondere die Briten lehnen es ab, einem Klub beizutreten, der den blau-gelben Stempel der Union trägt. Auch deshalb waren die Veranstalter bemüht, den Eindruck zu vermeiden, hier könnte es sich um eine institutionelle Geschichte handeln, dominiert und geleitet von der EU. Wie es in London ankam, dass sowohl Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als auch Ratspräsident Charles Michel anwesend waren? Das werden am Tag danach die Titelseiten der schrillen Boulevardblätter auf der Insel zeigen.
Kritiker bezeichneten die EPG als "EU zweiter Klasse"
Nicht zuletzt ging es in den Debatten der letzten Wochen auch um die Runde der Teilnehmer. Sollte Türkeis Autokrat Recep Tayyip Erdogan dazugehören? Ja oder nein? Am Ende einigte man sich auf eine Einladung, auch weil man eine mögliche Vergeltung aus Ankara fürchtete, die den Westen in Form einer türkischen Blockade des Nato-Beitritts von Finnland und Schweden schmerzlich treffen würde. Vom langen EU-Beitrittsprozess frustrierte Kandidaten wie Nordmazedonien fürchten dagegen, mit der Gründung der EPG auf unbestimmte Zeit in einen neuen, sogar noch größeren Wartesaal abgeschoben zu werden. Als „EU zweiter Klasse“, bezeichneten einige Kritiker den neuen Club. Auch die Ukraine hatte im Vorfeld betont, dass das neue Forum nicht als Ersatz für die Aufnahme in die EU akzeptiert werden würde. Deren Präsident Wolodymyr Selenskyj wurde per Video nach Prag zugeschaltet. Die EPG sei eine Möglichkeit, Frieden in Europa wiederherzustellen, sagte er. Die Ukraine zu unterstützen bedeute, „euch selbst zu helfen“, lautete sein Appell.
Emmanuel Macron hatte im Mai die EPG im Zuge der Debatten um eine Erweiterung der Gemeinschaft vorgeschlagen. Der Plan: Rund zwei Mal im Jahr soll sich der lose Verband in einem lockeren Nachbarschaftsrahmen treffen, um über die aktuellen Herausforderungen zu sprechen. Die nächste Zusammenkunft soll nach Aussage eines EU-Beamten in Moldawien stattfinden, dann will Spanien Gastgeber sein, gefolgt von London.
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