Der Fall des van Gaal
Van Gaal war der Wunschtrainer des FC Bayern, doch nach den letzten Niederlagen bröckelt das Bündnis. Wie aus dem Holländer ein Entlassungskandidat wurde, der nur knapp seinem Rauswurf entgangen ist.
Wer eine Antwort auf die Frage sucht, wann die Beziehung zwischen Louis van Gaal und dem FC Bayern ihren schwersten Schaden genommen hat, wird wohl Anfang September vergangenen Jahres fündig. Was immer damals passiert ist, es hat die Führungsebene des deutschen Fußball-Rekordmeisters dazu bewogen, den Vertrag mit seinem holländischen Trainer ohne Not vorzeitig um ein Jahr zu verlängern. „Wir wollten ein Zeichen setzen“, hat Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge damals gesagt.
Beziehungen zwischen Trainern, Spielern und Managern sind emotionale Gebilde, zusammengehalten von Tränen, Hormonräuschen und sich knäuelnden Menschengebirgen. Ihr wichtigster Klebstoff aber ist der Erfolg. Wann immer aber jemand in einer Beziehung glaubt, ein Zeichen setzen zu müssen, ist die Liebe in Gefahr. Der überraschende Brillantring, der neue Vertrag, wenn keiner ihn braucht.
Sechs Monate hat die Beziehung zwischen dem FC Bayern und Louis van Gaal das verräterische Geschenk überlebt – am Sonntag schien es in vertrauter Routine zu zerbrechen. Stundenlange Vorstandssitzung, Dutzende Kameras an der Säbener Straße, Fotografen unterm Trainerfenster. Das Übliche, wenn eine Fußball-Beziehung scheitert.
Nur das Tempo, das der Prozess des Zerfalls aufgenommen hat, war atemberaubend. Nach dem 1:0-Triumph im Achtelfinale der Champions League am 23. Februar beim Titelverteidiger Inter Mailand hatten selbst Bayern-Gegner noch Hymnen auf das Münchner Ensemble gesungen. Sie waren verklungen, als Borussia Dortmund den Münchnern den letzten Rest Hoffnung auf die Meisterschaft raubte. Es folgte die Pokal-Pleite gegen Schalke und das Debakel in Hannover, das die Qualifikation für die Champions League nächste Saison gefährdet.
Drei wegweisende Niederlagen hintereinander übersteht so gut wie kein Bayern-Trainer. Wer mit einer solchen Bilanz keine starken Fürsprecher hat, muss eigentlich gehen. Aloysius Paulus Maria Louis van Gaal, man muss das so sagen, hatte ein gutes Gespür dafür, sich Fürsprecher vom Hals zu halten. Er hat sich mit Uli Hoeneß angelegt, bis ihm der Präsident „Beratungsresistenz“ attestierte. Er hat das Angebot des Vorstands, nach der anstrengenden Weltmeisterschaft in neue Spieler zu investieren, abgelehnt – was sich später als Fehler erwies. Er hat keine stabile Abwehrreihe mehr auf die Beine bekommen und er hat ohne Not den Torhüter getauscht; den verlässlichen 36-jährigen Hans-Jörg Butt für den talentierten 22-jährigen Thomas Kraft. Damit hat er gleichzeitig die Pläne der Bayern-Bosse, Schalkes Manuel Neuer für die nächste Saison zu verpflichten, empfindlich gestört. In Hannover hat Kraft zudem danebengegriffen – und damit auch van Gaal.
Dabei wollten die Bayern einen wie van Gaal. Einen, der sie in nichts mehr an dessen Vorgänger Jürgen Klinsmann erinnerte. Dem Stoppuhr und Trillerpfeife um den Hals wichtiger waren als die Buddha-Figuren auf der Mauer.
Gleich an seinem ersten Arbeitstag machte der Holländer klar, wo es unter seiner Führung langgehen würde: „Mia san mia und ich bin ich: selbstbewusst, arrogant, dominant, ehrlich, arbeitsam, innovativ.“ Hier wehte der alte Bayern-Geist derart stürmisch, dass sich die Führungsspitze veranlasst sah, darauf hinzuweisen, dass der FC Bayern nicht arrogant sei. Van Gaal hat Hoeneß & Co. in ihrem Glauben gelassen und pflegte weiter den Stil einer holländischen Ausgabe des deutschen Trainer-Diktators Otto Rehhagel. Nur ist es mit Rehhagel nicht lange gut gegangen. Nach elf Monaten war Schluss. Van Gaal hat 18 Monate überlebt, in denen er das Double gewann, im Finale der Champions League stand und zum „Feierbiest“ wurde.
Wahrscheinlich aber ist es die größte Leistung seiner Karriere, dass er den Sonntag im Amt überstanden hat, während das Münchner Scharfgericht über seinen Trainerkopf verhandelte.
Ein Triumph, zu dem van Gaal selbst freilich nichts beigetragen hat. Er bleibt im Amt, weil der FC Bayern auf die Schnelle keinen passenden Nachfolger für ihn gefunden hat. Am Saisonende aber ist auch für Aloysius Paulus Maria Louis van Gaal Schluss in München. Dann ist auch klar, wie viel ein Vertrag wert ist, der ein Zeichen setzen sollte.
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