Die multikulturelle Nationalmannschaft
Von Anton Schwankhart, Augsburg Die Nummer 9 der deutschen U-21-Nationalmannschaft sieht nicht aus, wie man sich früher einen deutschen Fußballspieler vorgestellt hat. Und mancher Stammtisch sieht Ashkan Dejagah auch heute noch nicht gern im deutschen Trikot. Aber würde man sich alle deutschen EM-Spieler wegdenken, deren familiäre Wurzeln in die Fremde reichen - der DFB-Kader würde um die Hälfte schrumpfen.
Zwölf der 23 Akteure, die in Schweden um den EM-Titel spielen, besitzen Migrationshintergrund, beim ersten Spiel gegen Spanien (0:0) kamen von der Startelf einzig die Schalker Manuel Neuer und Benedikt Höwedes aus einem rein deutschen Elternhaus.
Selbst Marko Marin, der aussieht, als hätte er am Gladbacher Bökelberg das Licht der Welt erblickt, ist nicht hier, sondern in Bosanska Gradiska, Bosnien-Herzegowina, geboren. Als er zwei Jahre alt war, kam die Familie nach Frankfurt. Marin hätte für Bosnien spielen können, entschied sich aber für Deutschland.
So war es bei vielen. Ein Zurück gab es bislang nicht mehr. Eine neue FIFA-Regel aber besagt: Wer zwei Staatsangehörigkeiten besitzt und kein Pflichtländerspiel absolviert hat, darf sich auch im vorgerückten Alter noch auf eine Fußball-Nationalität festlegen. Mehmet Özil, den Bundestrainer Joachim Löw im Freundschaftsspiel gegen Norwegen eingesetzt hat, könnte immer noch ins türkische Team überlaufen. Und der dreifache deutsche Nationalspieler Jermaine Jones liebäugelt gerade mit einem Wechsel zum US-Team. Die Spieler begrüßen die Regel, Trainer und Verbände fürchten endloses Tauziehen.
Dass der Sport Jugendlichen Erfolgschancen bietet, die ihnen woanders vorenthalten bleiben, ist nicht neu. Amerika hat dafür viele Beispiele geliefert. Dass nun ausgerechnet der deutsche Fußball zur überproportional besetzten Bühne für Migrantenkinder wird, überrascht. 18 Prozent beträgt deren Anteil im Bevölkerungsdurchschnitt, 50 Prozent sind es in der U 21.
Heiner Schuhmann war in den 70er und 80er Jahren der erfolgreichste Fußball-Nachwuchstrainer des Landes, später auch Jugendkoordinator des FC Bayern. Der 60-Jährige hat diese Entwicklung lange begleitet, gleichwohl ist er von ihrer Dynamik überrascht. Schuhmann verweist auf das "Besondere dieser Typen, deren Leben grundsätzlich stärker am Sport ausgerichtet ist", als das bei deutschen Jugendlichen der Fall sei.
Viele brächten Voraussetzungen mit, die sich andere erst hart erarbeiten müssten. "Die sind technisch besser, geschmeidiger, schneller. Da gibt es nichts Plumpes", beschreibt er seine Erfahrungen. Kommen zum Talent Ausdauer und Wille hinzu, ist der Weg nach oben geebnet.
An dieser Stelle, sagt der Kölner Sportsoziologe Dr. Hans Stollenwerk, trenne sich die Spreu vom Weizen. Migrantenkinder würden in einer Vergleichssituation "voll auf die Karte Fußball setzen, wenn er die Chance zum sozialen Aufstieg bietet". Stollenwerk: "Sie sind bissiger."
Eine Entwicklung, die der Deutsche Fußball-Bund fördert. "Das Fördersystem des DFB ist vorbildlich", lobt der Kölner Wissenschaftler den Verband.
Nicht alle im Land identifizieren sich mit diesem System der Integration, das in den jüngsten Auftritten der U 21 wunderbare Blüten treibt. Teammanager Oliver Bierhoff weiß das. Dennoch, so Bierhoff, werde der DFB diesen Weg weitergehen. Daran lässt auch ein Blick auf die Mitarbeiter der U-21-Expedition keinen Zweifel. Teammanager ist Joti Chatzialexiou, Fahrer Rafik El Atiaoui.
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