Ob in der Zahnarztpraxis oder im Büro: Azubis werden dringend gesucht
Seit Jahren mangelt es an Nachwuchs, auch weil die Zahl der Schulabsolventen zurückgeht. Aber sind Jugendliche gut genug vorbereitet auf die Arbeitswelt?
Obwohl die Zahl an neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen im vergangenen Jahr wieder zunahm, setzt der Nachwuchs- und der daraus resultierende Fach- und Arbeitskräftemangel den Unternehmen weiterhin stark zu. 2022 blieben fast 20.000 Stellen in ganz Bayern unbesetzt. Mussten früher angehende Auszubildende die Personalchefs von sich überzeugen, ist es inzwischen umgekehrt: Unternehmen sind im Wettbewerb um Bewerber und Bewerberinnen. Das wird vor allem im Frühjahr deutlich, wenn besonders viele Ausbildungsmessen stattfinden. Die Gründe für die geringen Zahlen an Auszubildenden und was die Betriebe unternehmen, um dagegen zu wirken, sind vielfältig. Aber gibt es neben der rückläufigen Zahl an Bewerbern auch ein Problem in der Vorbereitung aufs Berufsleben bei einigen Jugendlichen?
Mehr Förderung an Schulen
Berufsschulen, wie das Staatliche Berufliche Schulzentrum in Neusäß, bieten für diese Gruppe berufsvorbereitende Klassen an. Zum einen gibt es das Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) für Schüler, die ihre Vollzeitschulpflicht zwar schon erfüllt haben, aber meist dennoch keinen Abschluss vorweisen können. "Wir sind die letzte Station. Wir müssen sie auf den Weg bringen", sagt Schulleiter Rainer Bartl. Viele dieser Schüler seien orientierungslos, hätten teilweise private oder psychische Probleme oder lebten in schwierigen Verhältnissen. Daher werden für diese Klassen mehr sozialpädagogische Stunden in den Stundenplan eingearbeitet als in anderen Angeboten.
Die BJV-Klassen bestehen aus maximal 20 Leuten, denn oft bestehe hier ein starker Bedarf an Individualbeschulung. Bartl sieht schon Bewegung im System: Das Kultusministerium gab dem Einzelhandelszweig die Möglichkeit einer Förderfachklasse. Für schwache Schüler und Schülerinnen werden noch zusätzliche Lehrerstunden ermöglicht, sodass man in den Förderfachklassen viel Unterricht teilen kann: "Eine Rückmeldung der Kollegen ist, dass sie sagen, 'das ist dringend notwendig'."
Sprachförderung in Neusässer Berufsschule
Und dann gibt es noch Berufsintegrationsklasse (BIK) für frisch aus dem Ausland kommende Jugendliche. Ein Schwerpunkt wird auf die Vermittlung der deutschen Sprache gelegt. Schüler wie Alpin Shimshek, 16 Jahre, aus der Türkei zum Beispiel. Er hat sich für die Zeit nach dem vorbereitenden Jahr bei einer Wirtschaftsschule angemeldet und möchte zuerst seine mittlere Reife nachholen. "Aber wenn eine Firma, bei der ich eine Bewerbung zum Industriekaufmann abgegeben habe, mich nimmt, dann gehe ich nicht in die Wirtschaftsschule, sondern direkt zur Ausbildung", sagt er. Sein Traumberuf ist Schriftsteller, aber der sei zu unsicher, sagt er. Trotzdem arbeitet er in seiner Freizeit an einem Comic-Projekt.
Die 20-jährige Sorila Aziz aus Afghanistan hat in ihrer Heimat schon zwölf Klassen absolviert. Jetzt ist sie in Deutschland, die Realität sieht nun anders aus, ihren Traum gibt sie aber nicht auf. Sie macht eine Ausbildung zur Bürokauffrau, um später als Rechtsanwaltsfachangestellte arbeiten zu können. Julia, 18 Jahre, aus Kasachstan möchte lieber auf die FOS, um dann zu studieren. Aber als Plan B sehe sie die Ausbildung zur Steuerfachangestellten. Und die 17-jährige Soraya Noori aus Afghanistan hat schon einen Ausbildungsplatz bei einer Zahnarztpraxis. Im medizinischen Bereich wollte sie schon als Kind arbeiten. Die Schule hier gefällt ihr gut: "Es ist manchmal schwierig, weil es eine fremde Sprache ist. Aber mir persönlich macht es Spaß".
Aktiv werden: Unternehmen müssen stärker auf Bewerber zugehen
Doch nicht nur in diesen Klassen geht es um den Nachwuchs. Die IHK setzt ihren Schwerpunkt auf die Berufsorientierung an allen weiterführenden Schulen, um möglichst früh den Kontakt zu potenziellen Interessenten zu finden. „Wir können es uns nicht leisten, dass interessierte Schulabgänger ohne Ausbildungsplatz bleiben, weil sie nicht wissen, welche Möglichkeiten sie haben oder wie sie Zugang zum Ausbildungsmarkt finden“, sagt Christian Fischer, Leiter der Abteilung Ausbildung bei der IHK Schwaben. Doch Berufsorientierung sei nicht alles, findet Rainer Bartl. Es gehe auch darum, richtiges Sozialverhalten zu vermitteln, wenn es um die Reife für einen Beruf geht. "Man hat schon versucht, darauf zu reagieren. Aber es ist schon schwierig, wenn die Schule viel versucht, dann aber das Freizeitverhalten problematisch ist."
Ähnlich sieht das die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG). Ohnehin schon gefährdete Jugendliche müssten stärker unterstützt werden. „Es kommt darauf an, dass diese Jugendlichen intensiver gefördert werden. Sie müssen für eine Ausbildung fit gemacht werden“, so Laura Schimmel, Geschäftsführerin der NGG. Sie finde auch, man müsse sich aktiv darum kümmern, überhaupt erst an die jungen Menschen heranzukommen. Der Rahmen für unterschiedliche Hilfen sei gar nicht schlecht, findet Schulleiter Bartl. "Aber das ist so ein Thema, wo die Schulen immer überlegen, jedes Jahr wieder, 'wie ist unser Angebot, passt das auf die Jugendlichen?'"
Laut seiner Kollegin Daniela Matheis, Verantwortliche für den Bereich Berufsvorbereitung an der Berufsschule Neusäß, sei die Vermittlungsquote hoch, Betriebe seien bereit, auch jenen eine Chance zu geben, die nicht auf den ersten Blick den besten Eindruck vermitteln. Allerdings: die Abbrecherquote sei ebenfalls hoch. Häufig komme es vor, dass schon vermittelte Schüler nach einem Jahr wieder in der Schule sitzen. Dann ist Geduld und Durchhaltevermögen gefragt. "Manche brauchen einfach ein bisschen länger. Man darf nicht vergessen, manche stehen erst im 15. Lebensjahr, wenn sie zu uns kommen", so Matheis.
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