Corona-Krise: Wann öffnet Seehofer die Grenzen?
Auch in der Union wächst die Kritik am Kurs von Innenminister Seehofer. Ein Gutachten stützt die Forderung nach Lockerungen. Andernfalls droht eine Klagewelle.
Nach der Kritik am strengen Corona-Reglement im Innern gerät die Regierung nun auch wegen ihrer Grenzpolitik immer stärker unter Druck. Abgeordnete der CDU fordern Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) auf, die Schlagbäume wieder hochzufahren. Unterstützt werden sie dabei nicht nur von der Opposition, sondern auch von einem neuen Gutachten. Am Mittwoch könnte es zum offenen Schlagabtausch kommen: Nach Informationen unserer Redaktion wird sich Seehofer dann dem Innenausschuss des Bundestages stellen.
Seehofer hat die Mitte März beschlossenen Grenzkontrollen, die für viele Menschen de facto einer Grenzschließung gleichkommen, gerade erst bis 15. Mai verlängert. „Die Grenzkontrollen haben etwas bewirkt und sind Teil unseres bisherigen Erfolgs bei der Eindämmung des Infektionsgeschehens“, erklärte er. In der kommenden Woche werde über das weitere Vorgehen entschieden.
Rechtsprofessor Thym: Es muss bald eine Kursänderung geben
Wenn es nach dem Konstanzer Rechtsprofessor Daniel Thym geht, dann muss es bald eine Kursänderung geben. In einem Gutachten kommt er zu dem Schluss, dass eine unveränderte Fortsetzung der Ein- und Ausreiseverbote europarechtlich unzulässig wäre. Dabei argumentiert Thym auch mit den jüngsten Lockerungen der strengen Regeln im Inland. Diese könnten nicht ohne Auswirkungen auf den Grenzverkehr bleiben. „Ohne sachlichen Grund dürfen externe Einschränkungen nicht deutlich strenger sein als interne Restriktionen“, heißt es in dem Gutachten, das unserer Redaktion vorliegt. Nach dem Willen der EU-Kommission sollen die weitreichenden Einreisebeschränkungen in der Europäischen Union dagegen um weitere 30 Tage bis zum 15. Juni verlängert werden.
Aus der Sicht des Europarechts, betont Experte Thym dagegen, müsse „die interne Öffnung zwangsläufig mit einer externen Flexibilisierung einhergehen, soweit die Situation in den Nachbarstaaten der deutschen Lage prinzipiell entspricht“. Das tut sie zum Beispiel in Österreich. Dort erklärte Kanzler Sebastian Kurz, derzeit seien die Ansteckungszahlen geringer als in Deutschland. Auf die Frage, wann die Grenzen zwischen beiden Staaten geöffnet werden könnten, sagte er: „Sobald Deutschland dazu bereit ist.“ Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer, die Vize-Präsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley, und der Trierer Oberbürgermeister Wolfram Leibe (alle SPD) forderten in einer gemeinsamen Erklärung, die Grenzen zu Luxemburg und Frankreich noch an diesem Samstag zu öffnen.
Grenzen: Bayerns Innenminister Herrmann hofft auf Erleichterungen
In der CDU argumentieren viele Abgeordnete ähnlich. „Schon jetzt müssen unverzüglich die Schlagbäume abgeräumt und alle Grenzübergänge wieder geöffnet werden“, erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Andreas Jung, der mit elf weiteren Europa- und Bundestagsabgeordneten einen entsprechenden Brandbrief verfasst hat. An die Stelle von Ein- und Ausreisesperren müsse eine grenzüberschreitende Strategie zur Bekämpfung der Pandemie treten.
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärte, der Staatsregierung sei es „ein dringendes Anliegen“, dass der grenzüberschreitende Alltag mit Österreich und Tschechien baldmöglichst wieder stattfinden könne. „Wir hoffen, kurzfristig zumindest einige Erleichterungen zu erreichen“, sagte er laut Münchner Merkur. Der FDP-Innenexperte Benjamin Strasser warf Seehofer Politik nach Gutsherrenart vor. „Geschlossene Grenzen helfen schon länger nicht mehr bei der Eindämmung des Virus, während die Menschen in den betroffenen Regionen täglich mehr unter den Maßnahmen leiden“, sagte er unserer Redaktion und kritisierte zugleich: „Binationale Paare und Familien werden auseinandergerissen, die lokale Wirtschaft kann nicht mehr richtig arbeiten und Berufspendler fahren ewige Umwege und stehen im Stau.“
Lesen Sie dazu auch unseren Kommentar: Seehofers Maßnahmen in der Corona-Krise: An der Grenze
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Lobbyisten und die Ministerpräsidenten einiger Bundesländer hatten sich in den letzten Wochen stark gemacht, dass trotz Kontrollbestimmungen tausende von Saisonarbeiter aus Polen, Ungarn und Rumänien als Erntehelfer oder Mitarbeiter einreisten um in der verarbeitenden Lebensmittelindustrie beschäftigt zu werden. Jetzt wird bekannt, dass in einer baden-württembergischen Fleischfirma knapp ein Drittel der 1.100 Beschäftigen an Sars-CoV-2 erkrankt ist sowie Schlachthöfe in Nordrheinwestfalen und Schleswig-Holstein steigende Corona-Infektionen verzeichnen. Zeitgleich hierzu machen einige Länder und die Presse Druck, dass der Innenminister Seehofer endlich die Grenzen öffnen solle.
Der Corona-Virus macht wieder einmal deutlich, dass das Gesamtwohl und die Sicherheit des Landes durch die Eitelkeiten und Einzelinteressen der 16 föderalen Landesfürsten gefährdet werden kann, wenn keine starke Gesamt-Führung kontrolliert, koordiniert und falls notwendig dagegen steuert.
>> An die Stelle von Ein- und Ausreisesperren müsse eine grenzüberschreitende Strategie zur Bekämpfung der Pandemie treten. <<
Klassisches Politiker blabla, wenn sich bereits die Strategie von Bundesland zu Bundesland in Deutschland unterscheidet!
Corona macht es deutlich; regionale Verantwortung funktioniert besser und findet beim Bürger höhere Akzeptanz als internationalistische Floskeln mit globaler Nichtverantwortlichkeit.
Und jede Strategie braucht auch operative Umsetzungsmechanismen für das Tagesgeschäft - und gerade die funktionieren in der EU nicht. Gerade Menschen die vielfach nach einer "Strategie" rufen, sind im Alltag oft auf Tauchstation.
@Richard M.
Den Spruch mit den Grenzen, die das Virus nicht kenne schätze ich nicht. Zwar stimmt er inhaltlich, verkennt aber, dass eine örtliche Abschottung sehr wohl zielführend sein kann, die Krankheit auszu'grenzen' bzw. in Schach zu halten, weshalb es genau zu den Grenzschließungen kam. Wenn in Italien reihenweise Hotspots bestehen und in Österreich oder Deutschland noch kaum ein Fall bekannt ist, dann ist es eben sehr sinnvoll, niemanden aus Itlien einreisen zu lassen , ohne ihn in Quarantäne zu nehmen. Dazu hätte freilich auch gehört, dass man an den Flughäfen nicht derart lax vorgegangen wäre, wie es immer wieder - nicht lediglich vereinzelt - von Reisenden berichtet wurde.
Wenn man im eigenen Staat Vorkehrungen trifft und Beschränkungen anordnet, die im Nachbarstaat in der Form nicht üblich sind, dann besteht selbstverständlich ein Interesse daran, Menschen aus dies Land kommend, nicht ungehindert oder ohne besonderes Augenmerk auf sie zu haben einreisen zu lassen. Das Virus kennt keine Grenzen, aber dessen Bekämpfer kennen sie.
In Deutschland haben sich sogar die Bundesländer gegeneinander abgeschottet, was zu dem grotesken Umstand führte, dass man Mieter oder Eigentümer mit Zweitwohnungsstatus nicht mehr in ihre Wohnungen/Häuser ließ und wenn sie schon dort waren, wieder nach Hause schickte.
Zweckfreie Konstrukte, die Arbeitende, die lediglich für einen kurzen Arbeitsweg nur durchfahren wollen, zig Kilometer Umwege auferlegen, gehören natürlich nicht zu einer sinnvollen und vertretbaren Grenzschließung.
Das Coronavirus kennt keine Grenzen, stimmt. Aber es ist lediglich Mitreisender. Alleine bleibt es wo es ist.
"Das Coronavirus kennt keine Grenzen, stimmt. Aber es ist lediglich Mitreisender. Alleine bleibt es wo es ist."
Da haben Sie durchaus recht, allerdings bleibt kein Mensch so gerne alleine. Deutlicher kann man es an den neuesten Lockerungen nicht erkennen. Mit Abschottung durch Grenzen ist damit nicht geholfen.
Ich bin der Meinung, dass schon Anfang März eine Notwendigkeit bestand, Abstandsregelungen, Mund-Nasen-Schutz usw. genauer zu definieren. Es hat sich furchtbar gerächt, dass das Coronavirus nicht ernst genug genommen wurde, was gerade in Pflege- und Altersheimen und nach den Starkbierfesten in einigen Kommunen nachweislich sichtbar wurde. Trotzdem wurde im Allgemeinen von allen Bürgern die Angelegenheit nach und nach ernst genommen, insbesondere durch die Horrorbilder aus Italien.
Es geht jetzt aber hauptsächlich darum, dass die Ansteckungsgefahr durch die allgemeinen Lockerungen weitaus höher liegen als bei Grenzöffnungen zu einigen Nachbarländer. Die Zahl der Corona-Infizierten gehen in den meisten Nachbarländer eben so zurück wie in Deutschland.
Eine Abschottung über die Grenzen hinweg wäre richtig, wenn zumindest Corona Hotspots abgeschottet werden. Leider lässt sich nicht mal das in Deutschland überall durchsetzen. Diese Gefahr schätze ich durchaus höher ein als die Öffnung einiger Grenzen.
Stellen Sie sich vor, dass sie seit 2 Monaten nicht mehr in ihren Nachbarort dürfen, egal ob zum Einkaufen oder warum auch immer. Millionen von Menschen, egal auf welcher Seite haben mittlerweile in der Nähe der Grenzen ein großes Problem. So zu tun, als wären auf der anderen Seite der Grenze nur Corona Infizierte halte ich für absolut schädlich, weil es nicht zutrifft. Nehmen Sie mal den Bereich von Rosenheim zu Österreich und vergleichen die Zahl der Corona Infizierten. Es bieten sich durchaus auch andere Gebiete zum Vergleich an.
Jetzt ist der Egoismus schon so weit, dass bei vielen das Virus gar nicht mehr existiert.
Wer unbedingt alle Grenzen wieder offen haben will, soll doch fahren und nach Rückkehr in Quarantäne gehen müssen.
Dann hält sich der Drang bestimmt sehr zurück. Gemeint sind damit natürlich nicht Berufspendler und der Handel.
Corona Virus kennt keine Grenzen, sondern verteilt sich von Mensch zu Mensch. Die Ansteckungsgefahren durch die neuesten Lockerungen dürften weitaus gefährlicher sein als die Grenzen zu unseren Nachbarländer zu öffnen.