Abhör-Affäre: "Die Politik darf nicht in die russische Falle tappen"
Cybersicherheit-Experte Thomas Rid ist sich sicher, dass Moskau Deutschland als Ziel in einem Informationskrieg sieht. Verteidigungsminister Pistorius spricht von einem Fehler durch einen der Offiziere.
Die Affäre um die mitgeschnittene Schaltkonferenz vier hoher Offiziere nimmt klare Konturen an: Man weiß, worüber gesprochen wurde. Bekannt ist, dass die Russen abgehört haben. Und am Dienstag hieß es aus dem Verteidigungsministerium, dass einer der Militärs es den Lauschern durch "individuelle Fehlanwendungen" leicht gemacht hat.
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erklärte am Dienstag auf einer Pressekonferenz, einer der Gesprächsteilnehmer habe sich aus Singapur über Mobilfunk oder WLAN, sprich eine „nicht sichere“ Verbindung, in die gesicherte Konferenz über den Anbieter Webex eingewählt. Dabei handelt es sich um Brigadegeneral Frank Gräfe, der von 2013 bis 2015 Kommodore des Taktischen Luftwaffengeschwaders 74 in Neuburg war. Der gebürtige Saarländer ist aktuell Abteilungsleiter für Einsätze und Übungen im Kommando Luftwaffe in Berlin. Er befand sich dienstlich in Singapur.
Boris Pistorius will die Offiziere nicht "Putins Spielen opfern"
Gegen die vier Offiziere – darunter Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz – laufen disziplinarische Vorermittlungen. Allerdings erklärte Pistorius, dass er, falls nicht noch etwas Gravierenderes ans Licht komme, keinen seiner "besten Offiziere Putins Spielen opfern" werde.
Fachleute hegen Zweifel an der Sicherheit von Webex. "Wenn sich zwei Privatleute verschlüsselt über die Kommunikationsdienste Facetime oder Signal unterhalten, sind sie besser davor geschützt, belauscht zu werden, als es nach aller Wahrscheinlichkeit die Luftwaffenoffiziere waren", sagte der deutsche Experte für Cybersicherheit, Thomas Rid, im Gespräch mit unserer Redaktion. Rid, der für die Johns-Hopkins-Universität in Washington ein Institut für Cybersicherheitsstudien aufgebaut hat, hält jedoch die Frage, "wie effektiv die Computer der Bundeswehr vor Angriffen durch Hacker geschützt sind, für noch wichtiger als das Thema Verschlüsselung".
Wichtige Fragen in der Abhör-Affäre sind noch offen
Dass mit dieser technischen Erklärung von Minister Pistorius der Fall nun erledigt ist, daran glaubt keiner in Berlin. Die deutschen Geheimdienste warnen seit dem russischen Generalangriff auf die Ukraine im Februar 2022 verstärkt vor Spionageattacken und hybriden Angriffen aus Moskau. Vor rund zwei Monaten erst meldete das Auswärtige Amt eine großangelegte Kampagne auf der Plattform X. Die Bilanz: Von rund 50.000 gefälschten Nutzerkonten aus wurde insbesondere die Ukraine-Hilfe der Bundesregierung systematisch attackiert – in deutscher Sprache, versteht sich, und mit oft abstrusen Vorwürfen.
"Die Ironie ist doch: Russland wirft Deutschland vor, zu eskalieren und am Ukrainekrieg teilzunehmen – und tut das in einer aggressiven nachrichtendienstlichen Aktion, die selbst eskaliert und letztlich Teil des Ukrainekrieges ist", sagt Rid. "Der Kreml hat dabei vermutlich – das muss noch geklärt werden – seinen militärischen Geheimdienst in einer Operation eingesetzt, und sie dann öffentlich gemacht. Das ist etwas anderes als nur Spionage. Denn das würde bedeuten, dass Moskau Deutschland als Ziel in einem Informationskrieg sieht." Für den gebürtigen Baden-Württemberger ist nun entscheidend, dass "Berlin nicht in Moskaus Falle tappt und die Politik sich gegenseitig mit heftigen Vorwürfen überzieht. Dann hätte Russland sein Ziel, zu destabilisieren, erreicht". Rid begrüßt es, dass Pistorius nicht überstürzt mit der Entlassung der beteiligten Offiziere reagiert hat.
Grundsätzlich plädiert Rid für eine offensivere Taktik auch der deutschen Geheimdienste: "Ich sehe keinen Grund dafür, warum nicht auch westliche Dienste aktiv auf diese Weise gegen Russland vorgehen sollten. Allerdings sollten offene Demokratien dabei auf Fälschungen grundsätzlich verzichten." Die wichtige Aufgabe von Medien und Experten sei es "im Zeitalter von Fake News und KI, Fakten zu überprüfen, um die Gesellschaft vor Desinformation zu schützen".
Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt bei seiner Ablehnung von Taurus-Lieferungen
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) blieb am Montag dabei, dass eine Lieferung der Taurus-Marschflugkörper für ihn "ausgeschlossen" sei, wenn unklar sei, wer dieses Waffensystem programmieren und steuern würde. In der abgehörten Videoschalte hatten die Militärs die Ansicht geäußert, dass es zwar zeitaufwendig, aber durchaus möglich sein würde, ukrainische Soldaten so zu schulen, dass sie Taurus selbstständig einsetzen können. Scholz jedoch macht offensichtlich zur Bedingung, dass Deutschland die Kontrolle über den Einsatz behält, ohne dass eigene Experten daran beteiligt sind. Das wäre die Quadratur des Kreises, legt aber gleichzeitig nahe, dass der Kanzler der ukrainischen Seite nicht restlos traut – Kiew hatte versichert, dass Taurus mit seiner Reichweite von bis zu 500 Kilometern nicht gegen Ziele auf russischem Boden eingesetzt werde.
Besteht die Gefahr, dass Geheimdienste der Verbündeten auf Distanz gehen?
Der Sicherheitsexperte Peter Neumann äußerte am Dienstag im Deutschlandfunk die Befürchtung, dass verbündete ausländische Geheimdienste in Zukunft angesichts der russischen Lauschaktion zögern könnten, Deutschland brisante Informationen zur Verfügung zu stellen. Die Gefahr, dass dies geschieht, hält Experte Rid für nicht sehr groß. "Eher macht mir Sorgen, dass die Geheimdienste in Deutschland selbst stiefmütterlich und auch ein wenig abschätzig behandelt werden." Man solle die Affäre im Gegenteil zum Anlass nehmen, deutlich mehr gute Leute für die Dienste zu rekrutieren, die in der Lage sind, kreative Operationen durchzuführen. "Es wäre bei aller Aufregung ein großer Fehler, die Fähigkeiten der russischen Dienste zu überschätzen. Die Operation, die wir jetzt gesehen haben, ist relativ banal. Die westlichen, gerade die englischsprachigen Dienste der USA oder der Briten sind weit schlagkräftiger und kreativer."
Noch für diese Woche ist vorgesehen, dass der Militärische Abschirmdienst (MAD) seine Erkenntnisse über die Kommunikationspanne veröffentlicht. Danach soll die heikle Causa Thema einer Sondersitzung des Verteidigungsausschusses im Bundestag sein – an der, so fordert die Opposition, auch Kanzler Scholz teilnehmen soll.
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Man muss kein Scholz-Wähler sein, um ihm bei seinem Nein zur Taurus-Lieferung zuzustimmen. Könnte es sein, dass sich Scholz
mit dieser Meinung, die von der Mehrheit der Menschen getragen wird, von seinem Umfragtief erholt soz. als "Friedenskanzler" ?
Im Sinne von Nicola L. ( 6.3. )
Bitte um Antworten auf meine Frage ?
Da hätte ich noch ein paar Fragen an den Verteidigungsminister und evtl. an die eifrigen Befürworter der Lieferung:
Verfügt die Ukraine über Kampfflugzeuge, die zum Abwurf von Taurus geeignet sind oder "dürfen" wir die "Tornados" gleich mitliefern?
Gibt es in der Ukraine noch einen geeigneten Flugplatz oder "dürfen" wir die Taurus-Marschflugkörper der Einfachheit halber gleich von der Bundesrepublik aus ins Zielgebiet lenken?
Ach ja, und irgendwo las ich, dass Taurus auch mit Nuklearsprengköpfen ausgestattet werden kann: Trifft das zu könnte damit nicht die Kriegsdauer entscheidet verkürzt werden?
Hallo Georg KR., danke für Ihre sehr schlauen Fragen, ich greife die gerne als Diskussionsbeitrag auf und schlage vor, die Taurus Marschflugkörper gerne von Deutschen Flufplätzen abzufeuern aber auch gleich ein paar Tornados mitzuliefern, weil die Reichweite von 500 Km leider doch viele Ziele in Russland nicht erreichen lässt. Eigentlich könnten wir die ja dann auch selbst die Flieger steuern, um damit im Russischen Kerngebiet ein paar stark symbolträchtige Ziele anzugreifen, spart diese lästige Ausbilderei der Urainer und somit Zeit und Geld . Die Ausstattung der Taurus mit Nukleargefechtsköpfen sollten wir erst mal zurückstellen und auf die Reaktion der Russen warten, schließlich wollen wir ja als friedliebende Nation auf keinen Fall eine Eskalation, oder wie sehen sie das ?
Vielen Dank Christoph S. für's Creative Mitdenken.
Was die Steuerung des Tornados betrifft haben wir sicher ein Problem. Ein lösbares jedoch wie ich finde. Habe zwar meinen Wehrdienst bei der German Air Force geleistet aus dem ich mich im Rang eines Obergefreiten verabschieden durfte und fahre privat ein Fahrzeug mit Automatik-Getriebe. Sollte der Tornado mit Auto-Pilot ausgestattet sein, könnte also vom Vorhandensein gewisser Grundkenntnisse zum Fliegen eines Düsenjets ausgegangen werden. Wären Sie evtl. bereit unter diesen Gegebenheiten quasi als Waffensystemoffizier mit Verantwortung für den Taurus auf dem 2. Sitz mitzufliegen?
Falls Ihnen das zu riskant erscheint dachte ich an unseren sehr geschätzten Mitdiskutanten Franz Wildegger, dem ich damit gerne seinen Herzenswunsch erfüllen würde - nämlich dem Putin einmal zu zeigen "wo der Barthel den Moscht holt" - falls Sie verstehen was er meint.
In diesem Sinne uns allen hoffentlich frohe Ostern . . .
Ranghohe Bundeswehroffiziere theoretisieren darüber, inwieweit mit von Deutschland gelieferten Taurusraketen die Brücke zur Krim erreichbar und damit zerstörbar ist.
Da jagt mir einen Schauer über den Rücken. All die, die da die Lieferung von Taurusraketen fordern, fordern den aktiven Kriegseintritt. Und was das für uns in Mitteleuropa bedeutet kann sich jeder ausrechnen.
"den aktiven Kriegseintritt"
Offensichtlich sind alle wahnsinnig geworden. Wir schlafwandeln gerade in den 3. Weltkrieg.
Hallo Wolfgang S. Sie haben Recht, wir sollten uns lieber auf das besinnen, was wir können: Friedensdemos und Lichterketten. Da sind wir weltweit mit langjährigem Know How, schon aus Zeiten der SS20 Friedensdemos n den 1980 er Jahren, ganz vorne mit dabei ! Da wird Putin, nachdem er sich die Ukraine einverleibt hat, so beeindruckt sein, das er Deutschland vorläufig verschont. Na ja, vielleicht auch nur gegen laufende Zahlung von ein paar Milliarden Euro zur Unterstützung Russischer Kriegsveteranen und Überlassung des Hamburger Hafens als Zugang zur Nordsee. Aber was ist schon alles Geld der Welt und Verlust eigener Souveränität gegen immerwährenden Frieden mit Russland ?
"Bundeskanzler Olaf Scholz bleibt bei seiner Ablehnung von Taurus-Lieferungen"
Schluss jetzt. Der Krieg ist verloren und kann nur noch verlängert oder nach Macron Vorstellungen ausgeweitet werden. Es müssen sofort Verhandlungen mit Russland und China aufgenommen werden, koste es, was es wolle! Die Alternativen wollen wir uns nicht ausmalen.
Glückwunsch an die Kommentatoren die ihr Leben offensichtlich fehlerfrei meistern können. :)
Danke, Glückwunsch angenommen, und das so früh am Morgen!
Putin kann dises „Spiel“ nur spielen, weil die Bundeswehr und Teile Ihres Führungspersonals ihm das fahrlässig ermöglicht haben. Daraus abzuleiten, dass man deswegen daraus keine Konsequenzen ziehen darf, ist eine seltsame Art das Ministerium zu führen, welches für die Landesverteidigung zuständig ist.
Boris Pistorius müsste eigentlich diese Fragen beantworten:
Wie ist es möglich, dass die Führung der Luftwaffe sich nicht an die eigenen Regeln zur sicheren Kommunikation hält oder gar keine hat? Wie kann es sein, dass diese Regeln nicht eingehalten werden, wenn es um Leben und Tod, Krieg und Frieden, um die wichtigsten Geheimnisse unseres Landes geht?
Wie kann es sein, dass der Chef der Luftwaffe am Telefon über die Geheimnisse der engsten NATO-Verbündeten plaudert, darüber, wie britische Marschflugkörper in der Ukraine transportiert und geschützt werden, mit welcher Panzerung sie vor russischen Angriffen gesichert sind?
Wie kann es sein, dass die Russen in den Telefonaten deutscher Soldaten Dinge erfahren, die der Bundeskanzler den deutschen Wählern komplett anderes darstellt? Wenn es in einem Telefonat um die wichtigsten Geheimnisse der NATO-Verbündeten geht, wenn diese offen besprochen werden, wie kann es dann sein, dass ein solches Telefonat in eine Geheimhaltungsstufe fällt, die man auf WebEx besprechen darf?
All das deutet auf massive und brandgefährliche strukturelle Probleme hin. All das sind legitime Fragen, die Verteidigungsminister Boris Pistorius eigentlich beantworten müsste. Aber niemand stellt sie ihm. Stattdessen verfallen nahezu alle Journalisten dem Spin der Regierung, dass man Putins Geschäft erledigen würde, wenn man genau diese unangenehmen Fragen stellt.
Schlimm, schlimm, es wird nur emotional diskutiert, um von der eigenen Inkompetenz und Fehlern abzulenken.