Proteste drohen zu eskalieren: Politik ruft Bauern zur Mäßigung auf
Exklusiv Sicherheitsbehörden warnen, dass Rechtsextreme bundesweite Proteste von Landwirten unterwandern. Landesinnenminister Herrmann warnt: werden Gesetzesbrüche nicht tolerieren.
Zu Beginn der Protestwoche der Bauern haben führende Politiker die Landwirte zur Mäßigung aufgerufen und vor einer Unterwanderung durch rechtsextreme Kräfte gewarnt. "Protest ist erlaubt, aber der Versuch der Unterwanderung durch radikale und völlig irre Kräfte ist leider Realität", sagte Lars Castellucci (SPD), der als Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag über die Sicherheitslage unterrichtet ist, unserer Redaktion. "Dagegen hilft nur glasklare Distanzierung: eine rote Linie zwischen Protest und Radikalisierung, also Protest gerne laut und wahrnehmbar, aber keine Gewalt, keine Gewaltandrohung, keine Nötigung, Respekt vor Sicherheitsbehörden."
Ähnlich äußerte sich der Augsburger Bundestagsabgeordnete und Innen-Experte Volker Ullrich (CSU). "Wer wie die Querdenker versucht, diese Proteste zu unterwandern, der will nicht die Anliegen der Bauern vertreten, sondern der verfolgt eine Agenda der Polarisierung. Konkrete Versuche vor allem via Telegram, Proteste zu unterwandern sehe ich mit Sorge."
Innenminister Joachim Herrmann: Bayerische Polizei werde konsequent einschreiten
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der die Anliegen der Bauern grundsätzlich unterstützt, warnt: "Soweit einzelne Landwirte und Gruppierungen in den Sozialen Medien dazu aufrufen, ihre Versammlungen nicht anzuzeigen und Verkehrsknotenpunkte mit ihren Traktoren gezielt zu blockieren, werden wir dies nicht tolerieren." Bayerns Polizei werde konsequent einschreiten und begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zur Anzeige bringen, sagte Herrmann unserer Redaktion.
Ab Montag planen Bauern zahlreiche Aktionen, um gegen Kürzungen von Agrar-Subventionen zu demonstrieren. Geplant sind etwa Traktorkonvois, Blockaden und Kundgebungen im gesamten Bundesgebiet. Nach Informationen unserer Zeitung waren bis Sonntagnachmittag für die gesamte Woche für Bayern bislang mindestens 309 Versammlungen polizeilich bekannt. Am Donnerstag war eine Protestaktion in Schleswig-Holstein eskaliert: Dort versuchten Demonstranten eine Fähre zu stürmen, mit der Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck aus dem Urlaub kam. Sein Gesprächsangebot lehnten sie ab. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Auch viele Politiker fordern nach dem Vorfall, dass sich Demonstranten an Recht und Gesetz halten müssen.
Bauernverband distanziert sich eindeutig von rechtsextremen Stimmen
Der Bauernverband erklärte nun, man distanziere sich scharf von Personen, die Umsturzfantasien propagierten oder Gewalt verherrlichten. Das gelte auch für rechtsextremistische Kreise und andere radikale Randgruppen – "auch weil diese teilweise unseren Protest für ihre niederträchtigen Anliegen vereinnahmen wollen". Landwirte seien aufgerufen, nur friedlich zu demonstrieren und nur an angemeldeten und genehmigten Aktionen teilzunehmen. Dem CDU-Europaabgeordneten Dennis Radtke reicht das nicht. "So klar ich die Bauern in ihren Anliegen unterstütze, so klar erwarte ich von Bauernpräsident Rukwied, eine klare Ansage an die AfD und andere Feinde der Demokratie, dass man mit denen nichts zu tun haben will."
Ähnlich hatten sich bei ihrer Klausur in Kloster Seeon auch führende CSU-Politiker geäußert. "Wenn Robustheit zu Radikalität wird, dann geht das nicht", sagte CSU-Chef Markus Söder. Auch Finanzminister Christian Lindner rief die Bauern auf, friedlich zu bleiben. "Lassen Sie sich nicht unterwandern und instrumentalisieren. Sie haben sich verrannt, bitte kehren Sie um", sagte der FDP-Chef beim Dreikönigstreffen seiner Partei in Stuttgart. Protest müsse verhältnismäßig und im Rahmen der demokratischen Ordnung erfolgen. Der baden-württembergische Landesvorsitzende der Liberalen, Michael Theurer, zeigte gegenüber unserer Redaktion dagegen Verständnis für die Proteste. "Die Bauern-Demos, die ich erlebt habe, waren friedlich und diszipliniert."
Landwirte protestieren wegen gestrichener Zuschüsse der Ampel-Koalition
Der Protest der Landwirte hatte sich an Sparplänen der Ampel-Koalition entzündet. Die Kraftfahrzeugsteuerbefreiung für die Landwirtschaft soll nun allerdings weiter gelten. Und die Steuerbegünstigung beim Agrardiesel soll nur schrittweise auslaufen. Die Branche argumentiert unter anderem mit dem internationalen Wettbewerb. Dem Bauernverband reicht die teilweise Rücknahme der Pläne nicht aus. Sowohl Bundesfinanzminister Lindner wie Landwirtschaftsminister Cem Özdemir lehnen ein weiteres Entgegenkommen jedoch strikt ab.
Die Aktion gegen Habeck hat eine Diskussion über die Protestkultur in Deutschland ausgelöst. "Demokratischer Protest lässt sich einfach erkennen: Er zeigt Respekt vor anderen Meinungen, verzichtet auf Gewalt oder deren Androhung und er ist bereit zum Kompromiss", sagte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert unserer Redaktion. "Wer das beherzigt, der muss politisch angehört werden. Wer dazu nicht in der Lage ist, dem sollte im Interesse der Sache und unserer Demokratie keine Bühne geboten werden", so Kühnert.
Die Welt am Sonntag berichtete unterdessen, dass Behörden im Zusammenhang mit den geplanten Protesten Mobilisierungsaufrufe und Solidaritätsbekundungen von Rechtsextremisten, Gruppierungen der Neuen Rechten und der Querdenker-Szene, besonders in den sozialen Medien, beobachteten. Dabei berief sich das Blatt auf das Bundeskriminalamt und Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. Darunter seien Aufrufe für einen "Generalstreik" und "Umsturzrandale" sowie für eine „Unterwanderung“ der Demonstrationen. (mit dpa)
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CSU-Innenminister Joachim Herrmann spricht, was die Bauern-Tracktor-Proteste betrifft, eine ehrliche Sprache, nämlich eine, die
versöhnen statt spalten will. Dobrindts populistische Sprache dagegen spaltet ebenso wie die von Aiwanger. Von einem Minister-
präsidenten Herrmann könnte Bayern nur träumen !
Franz X : ein in Inhalt und Sprache hervorragendes, ehrliches Statement, für Rechtsradikale aber nicht einsichtig.
Danke an die AZ-Kommentatoren Junginger, Müller und Stifter für die sachliche Aufarbeitung des Themas.
Irgendwo in der klassischen satirischen Zeitschrift Simplicissimus sagt ein biederer deutscher Untertan à la Heinrich Mann: Ich bin auch für Protest, aber doch nur für solchen mit obrigkeitlicher Bewilligung. So sieht es wohl auch Lars Castellucci (SPD).
Leider hetzt Alexander Dobrindt weiter und schürt das Feuer.
Siehe in der "Bild" Zeitung. Die kommt ihrer Verantwortung nicht nach.
Ist es nicht schon bezeichnend, wie die Proteste der Bauern durch die Politik mittlerweile angesehen bzw. was diesen angedichtet wird? Da wird vehement hinsichtlich Unterwanderung agiert, da wird unterstellt, dass die Proteste kurz vor einer "Übernahme" durch AfD oder sonstiger Gruppierungen stehen würde, da wird gejammert und gezaudert, etc. Es wird aber nach wie vor davor die Augen verschlossen, wie denn diese berechtigten Protest ablaufen und durch wen. Die Politik und leider auch große Teile der hysterischen Bevölkerung scheinen nicht zu verstehen, dass in Deutschland diese Proteste noch relativ gemäßigt ablaufen. Blickt man nach Frankreich, Belgien oder Italien, so laufen dortige Proteste aber mit mehr Direktheit ab. Nach wie vor ist eine Zurückhaltung der Deutschen bei solchen Aktionen zu beobachten, auch wenn die Politiker scheinbar dies anders sehen. Nur, ob dies so bleibt, nach Jahrzehnten der politischen Misswirtschaft, kann man derzeit nicht eindeutig beantworten. Es kann durchaus sein, dass berechtigte Interessen nunmehr deutlicher zum Ausdruck gebracht werden; scheinbar für die derzeitigen verantwortlichen Politikern genauso gefährlich wie das Weihwasser für den Teufel.
Joachim Herrmann sollte nicht jammern, es waren die Politiker die es in den letzten 20 Jahren übertrieben, ja nicht geliefert haben.
In den letzten 20 Jahren? Und was machen die jetzigen Politiker? - der Bogen wurde anscheinend überspannt!
Da wird doch schon wieder versucht die Proteste der Landwirte in die rechte Ecke zu schieben. Ein bekanntes Muster von Rot-Grün um unliebsame Kritik mundtod zu machen.
Und dem CSU Minister Herrmann ist sehr wohl bewusst wo seine Partei die meisten Stimmen holt und entsprechend vorsichtig agieren.