Neuer Kanzler, alte Sorgen: So lief Scholz' erster EU-Gipfel
Steigende Corona-Zahlen, hohe Energiepreise und russische Truppen an der Grenze zur Ukraine – bei seinem ersten Auftritt in Brüssel ist Olaf Scholz gleich im Krisenmodus.
Während die Staats- und Regierungschefs noch langsam eintrudelten, sich mit vorsichtigen Halbumarmungen oder per Faust begrüßten, saß Olaf Scholz bereits an seinem Platz in dem großen Rund und studierte noch einmal seine Unterlagen. Akribische Vorbereitung statt allzu viel Small Talk – der Neue im Kreis der 27 EU-Mitgliedstaaten präsentierte sich bei seinem ersten EU-Gipfel in Brüssel als deutscher Bundeskanzler zunächst zurückhaltend, fast fremdelnd.
Auch wenn der SPD-Politiker einige Kollegen aus „alter Verwendung“ kennt, wie es ein Offizieller nannte, allzu viel Zeit für Geplauder war am Donnerstag ohnehin nicht. Das lag keineswegs nur daran, dass der Gipfel von zwei Tagen auf einen zusammengestrichen wurde und sich deshalb bis spät in die Nacht ziehen sollte. Die Staats- und Regierungschefs hatten vor allem eine lange Liste von Krisen zu bearbeiten, vorneweg die Zersplitterung der Gemeinschaft im Kampf gegen die Corona-Pandemie, die hohen Energiepreise, das Vorgehen gegen Belarus sowie Russlands Gebaren nahe der Grenze zur Ukraine.
Drohen jetzt neue Corona-Auflagen für Reisende?
Ausreichend Möglichkeiten also für Olaf Scholz, sich bei seinem Einstand zu profilieren, Akzente zu setzen – oder erst einmal abzuwarten. Sorgen bereitet der Gemeinschaft die rasante Ausbreitung der Omikron-Variante. Neben einem eindringlichen Appell, die Impfkampagnen zu beschleunigen – bei den Impfraten etwa gibt es ein starkes Ost-West-Gefälle –, diskutierten die Staatenlenker über neue Corona-Auflagen für Reisende.
Droht abermals ein Regel-Flickenteppich? Einige Länder sind mit Maßnahmen bereits vorgeprescht, Italien etwa führte ohne große Absprache eine Testpflicht bei Einreise auch für Geimpfte ein. Der Gipfel schloss solche Auflagen nicht aus und gab mit dem gestrigen Treffen einen Vorgeschmack. Vor dem Eintritt ins Brüsseler Ratsgebäude mussten Funktionäre, Beamte und Medienvertreter Impfung plus negativen PCR-Test vorweisen. Konkrete Beschlüsse gab es beim Thema Corona am Ende nicht.
Die steigenden Energiepreise sorgen für Diskussionen
Die EU27 verständigten sich in ihrer Abschlusserklärung lediglich darauf, dass „koordinierte Anstrengungen“ auf Grundlage von wissenschaftlichen Erkenntnissen gefragt seien. Außerdem müsse man sicherstellen, dass Beschränkungen das Funktionieren des europäischen Binnenmarkts nicht untergraben und die Bewegungsfreiheit zwischen den Mitgliedstaaten und Reisen in die EU nicht „unverhältnismäßig behindern“. Da Grenzschutz und Gesundheit in der Verantwortung der einzelnen Länder liegen, kann der Gipfel ohnehin nur empfehlen – und mahnen. Einzelaktionen wie zum Start der Pandemie, als etliche Regierungen teils unkoordiniert Grenzen dichtgemacht oder Kontrollen eingeführt haben, will man vermeiden. Auch bei der Gültigkeit der EU-Corona-Zertifikate sei es wichtig, abgestimmt vorzugehen, wie es in den gemeinsamen Schlussfolgerungen zu Covid-19 hieß.
Beim Mittagessen, serviert wurden Langusten und Rind, begannen die Politiker über die gestiegenen Energiepreise. zu diskutieren – und rangen bis zum späten Nachmittag um eine gemeinsame Linie. Mitgliedstaaten wie Spanien fordern strukturelle Reformen. Andere, darunter Deutschland, sind der Meinung, dass es sich um ein vorübergehendes Phänomen handelt, das lediglich kurzfristig Ausgleichsmaßnahmen für arme oder besonders stark betroffene Verbraucher verlangt. Wie schon beim letzten Gipfel herrscht hier weiter Uneinigkeit. Die Gespräche wurden zunächst unterbrochen.
Noch bevor die Staats- und Regierungschefs am späten Abend zu sicherheitspolitischen Fragen, Belarus und zum Dauerstreitpunkt Migration kamen, stand das heikelste Thema auf der Agenda: der russische Truppenaufmarsch nahe der Grenze zur Ukraine.
Es handele sich um eine „schwierige Situation“, meinte Scholz zum Start des Gipfels, was man als deutliche Untertreibung bezeichnen darf.
Die EU sucht eine Antwort auf die russische Provokation
Die Europäer sind äußerst nervös, nicht nur in Polen, im Baltikum oder in der Slowakei. Litauens Präsident Gitanas Nauseda sprach von der „gefährlichsten Situation der letzten 30 Jahre“ und verlangte, auch Wirtschaftssanktionen gegen Russland ins Auge zu fassen. Der EU-Gipfel wollte ein klares Signal gen Kreml aussenden. Das Land müsse dringend die Spannungen entschärfen, hieß es im Entwurf der Abschlusserklärung. „Jede weitere militärische Aggression gegen die Ukraine wird massive Konsequenzen und einen hohen Preis nach sich ziehen.“ Aber mit was, außer mit Sanktionen, könnte die EU auf eine Eskalation der Krise antworten?
Man werde noch einmal betonen, „dass die Unverletzbarkeit der Grenzen eine der ganz wichtigen Grundlagen des Friedens in Europa ist und dass wir gemeinsam alles tun werden, dass es bei der Unverletzbarkeit wirklich bleibt“, kündigte Scholz an. Der Kanzler hatte in den vergangenen Tagen mehrmals betont, dass er dabei auf das sogenannte Normandie-Format setzt, in dem Deutschland und Frankreich seit Jahren versuchen, zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln.
So war das EU-Gipfeldebüt für den deutschen Kanzler geprägt von Krisen, da ging es Olaf Scholz keineswegs anders als Angela Merkel. Welche Rolle er für sich beansprucht und ob er wie seine Vorgängerin als „Kompromissmaschine“ auftreten will, als die sie der Luxemburger Xavier Bettel bei ihrem Abschied lobte, ließ Scholz bei seinem ersten Auftritt noch offen.
Die Diskussion ist geschlossen.
Hat Scholz für DEU recht gut gemacht, ein bisschen nach Merkel Art. Sich die Türen offen lassen und nicht wie von den Grünen gewünscht wie die Axt im Walde und allen Gegnern der Realpolitik nacheifern. Was helfen Sanktionen, wenn die gegnerischen Parteien nicht mehr miteinander reden wollen oder können und jede Seite sich auf seine Seite als die allein selige Lösung versteift. Die USA und auch die Ukraine können ja gerne die scharfe Klinge auspacken; aber die USA sind im Ernstfall weit weg und die Ukraine hat von Haus nicht mehr viel zu verlieren. Aber die Staaten Europa müssen hier auf dem Kontinent auf Dauer miteinander leben, aber gibts kein Rückzugsgebiet. Die Aufbruchsstimmung von Frau Baerbock mag zwar vielen gefallen, wird aber auf Dauer nichts bringen.
Kleinstes gemeinsames Vielfaches. So kann das Fazit des EU Gipfels nennen. Von Corona bis Energie und Ukraine- keine weittragenden Beschlüsse- ausser Ankündigungen und Androhungen von Strafmassnahmen. So wie auch schon zu Zeiten von Frau Merkel. Zu unterschiedlich sind die Interessen der " alten" EU Staaten und der Neu Mitglieder. Am Ende sind im Grunde doch wirtschaftlichen Abhängigkeiten und Verflechtungen wesentlich wichtiger als hohe idiele "Werte". Zeigt sich insb. bei den Vorstellungen der Grenzstaaten zu Russland und der Mehrheit der EU Mitgliedsstaaten. Die ständige Medienpräzens von Polen, der Baltischen Staaten und der Ukraine im Verhältnis zu Russland bewirkt eher das Gegenteil als dass RU als Bedrohung für Europa wahr genommen wird.