Hansi Flick hat es einfach wieder gemacht
Hansi Flick hat der Nationalmannschaft ähnlich schnell einen neuen Geist eingehaucht wie vor zwei Jahren dem FC Bayern. Es bleiben trotzdem Fragen offen.
Das Geld saß beim DFB schon mal lockerer. So locker, dass sogar 6,7 Millionen Euro auftauchen und verschwinden konnten und sich später keiner mehr erinnern konnte, zu welchem Zweck das Konto der Fifa gefüllt wurde. Die Deutschen freuten sich später, das Sommermärchen ausrichten zu dürfen und präsentierten sich als freudvolle Gastgeber. Vier Jahre später begeisterte die junge Mannschaft Joachim Löws mit erfrischendem Fußball in Südafrika, ehe 2014 der Triumph von Rio folgte. Die Deutschen hatten sich als gute – weil unterhaltsame – Gäste gezeigt. Als sie 2018 wenig zur Stimmung in Russland beizutragen wussten, verabschiedeten sie sich schnell wieder.
Am Montagabend hat sich die mittlerweile von Hansi Flick trainierte Mannschaft als erstes Team weltweit für die WM im kommenden Jahr in Katar qualifiziert (den Gastgeber mal ausgenommen). Das trifft sich auch insofern gut, dass der mittlerweile sparsamer auftretende Verband allerlei Frühbucher-Rabatte in Anspruch nehmen kann. Am 21. November beginnt das Turnier. Offen ist freilich, wie lange die Mannschaft die Hotelzimmer belegt. Mit dem 4:0-Sieg gegen Nordmazedonien hat sich die Elf zwar frühzeitig den zur Teilnahme berechtigenden ersten Platz in der Gruppe gesichert – die Vorjahresleistungen lassen aber eine etwas schwerere Vorrundengruppe erwarten.
Bei der WM wartet früh ein schwerer Gegner
Voraussichtlich werden die acht Gruppenköpfe aus den sieben in der Weltrangliste am besten positionierten Teams und dem katarischen Gastgeber gebildet. Deutschland rangiert nach den eher tristen vergangenen Jahren lediglich auf Position 14. Somit droht bereits in der Vorrunde ein Duell mit einem der Titelfavoriten aus Brasilien, Italien oder Frankreich. Immerhin aber lassen die ersten Auftritte unter Flick glauben, dass im kommenden Jahr eine Mannschaft auf dem Feld stehen wird, die sich nicht mit einem Aus in der Vorrunde begnügen wird. Das sieht auch der Trainer so. "Von der Qualität unserer Spieler, wenn man mal anschaut, wo sie spielen, muss man einfach sagen, haben sie auch die Qualität, gegen Italien, Spanien, Frankreich, Belgien zu bestehen. Ich bin da sehr zuversichtlich", verkündete er nach dem Erfolg.
Unter ihrem neuen Trainer gewann das Team jedes seiner fünf Spiele. Eine beeindruckende Quote, doch selbstder möglicherweise voreingenommene DFB-Direktor Oliver Bierhoff relativierte: "Das Ergebnis braucht man in der Gruppe auch nicht überzubewerten." Siege gegen Armenien, Liechtenstein oder Rumänien lösen auch in sportlich mageren Zeiten keine Euphorie aus. Allerdings ist es gar nicht so lange her, dass eine deutsche Nationalmannschaft nach einem 1:2 gegen Nordmazedonien kurzzeitig um die WM-Qualifikation bangen musste. Es war die letzte Partie vor der EM-Kadernominierung und ließ nochmals die Zweifel an der Mannschaft wachsen.
Ein halbes Jahr später sind Siege gegen fußballerische Leichtgewichte wieder zur Normalität geworden. Auch und vor allem, weil die Akteure wieder einer kollektiven Idee auf dem Feld folgen. Aus der Passivität der letzten Löw-Jahre ist wieder eine freudvoll nach vorne spielende Mannschaft erwachsen. Flick hat somit ähnliches vollbracht wie beim FC Bayern, als er von Niko Kovac eine zögerliche Auswahl übernahm und schnellstmöglich an die internationale Spitze führte.
In weiten Teilen hat der Bundestrainer auch nun Spieler zur Verfügung, mit denen ein derartiger Sprung möglich scheint. Im offensiven Bereich kann sich kaum ein Land über eine derartige Fülle von Dribblern und Sprintern erfreuen, wie die Deutschen. Das Zentrum wird von Joshua Kimmich abgedichtet, der sich in Skopje auch von ihn anstrahlenden Laserpointern nicht aus der Ruhe bringen ließ. Zusammen mit Leon Goretzka waltet er autoritär auf den Plätzen dieser Welt.
Lediglich auf den defensiven Flügeln franst der Kader etwas aus. Starelf-Debütant David Raum, Jonas Hofmann, Thilo Kehrer oder Lukas Klostermann entsprechen nicht den allerhöchsten Ansprüchen. Andererseits: 2014 wurde man Weltmeister mit dem Linksverteidiger Benedikt Höwedes.
Einen ernsthaften Maßstab erhält Flick erst kommendes Jahr
Noch fehlt der Mannschaft ein Referenzwert. Sie wird ihn in diesem Jahr nicht mehr erhalten. Die abschließenden Länderspiele werden im November gegen Liechtenstein und Armenien ausgetragen. Gegner, die schwer als Maßstab zu werten sind. So wird Flick bis zum kommenden März warten müssen, ehe er ein realistisches Bild der Leistungsstärke seiner Mannschaft erhält. Dann nämlich stehen die ersten Länderspiele des WM-Jahren an, die Gegner der Freundschaftsspiele sind noch nicht bekannt.
Immerhin aber kann sich Flick schon mal sicher sein, den Zuschauerschwund aufgehalten zu haben. Durchschnittlich 7,16 Millionen Menschen verfolgten den 4:0-Sieg gegen Nordmazedonien bei RTL und bescherten dem Sender einen Marktanteil von 26,3 Prozent. Damit sahen mehr Menschen als zuletzt am Freitagabend bei der Partie gegen Rumänien (6,86 Millionen) zu. Die Zuschauerzahl lag auch über dem Durchschnittswert des Vorjahres (7,12 Millionen). Fans und Mannschaft nähern sich ein Jahr vor der WM wieder an. Das ist mehr als noch vor wenigen Monaten zu erwarten gewesen war. Deutschland könnte ein gern gesehener Gast in Katar werden.
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